Schärfere Gesetze und mehr Polizei

Während in Italien die letzten Globalisierungsgegner freigelassen werden müssen, bereiten sich Regierung und Polizei schon auf den NATO-Gipfel in Neapel vor

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Mehr als einen Monat nach dem Weltwirtschaftsgipfel von Genua sorgt der Polizeieinsatz gegen Globaliserungsgegner noch für Verstimmungen zwischen der deutschen und der italienischen Regierung. Anlass ist ein Brief, in dem sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei seinem italienischen Amtskollegen Ferdinando Casini für die bei den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel Inhaftierten einsetzt. Casini lehnte die Bitte mit Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz ab und sprach von schwerwiegenden Hinweisen, dass die Häftlinge Angehörige des seien.

Doch das scheint nicht mal die italienische Justiz zu überzeugen. Am 1. September hat ein italienisches Gericht die Freilassung von 10 Inhaftierten mit der Begründung verfügt, die Anordnung, welche die Polizei zur Festnahme der Personen autorisierte, sei von Anfang an nichtig gewesen. Jetzt rechnen Juristen damit, dass auch die übrigen 7 Gefangenen, davon 5 mit deutschem Pass, in den nächsten Tagen freigelassen werden. Nur einer der Betroffenen, ein junger Mann aus Nordrhein-Westfalen, wurde in Italien unter Hausarrest gestellt, weil in seinem Fall mit einem Prozess zu rechnen ist. Gegen die anderen Freigelassenen wurden keinerlei Auflagen erlassen. Die Freilassung und mehr noch ihre Begründung ist eine weitere Ohrfeige für die italienische Regierung und die Polizei.

Deren Verhalten in den heißen Tagen von Genua könnte demnächst auch die italienische Justiz beschäftigen. Die leitete am 28.August gegen 16 Beamte Verfahren wegen Körperverletzung gegen Globalisierungsgegner ein. Die meisten Polizisten waren bei dem Sturm auf die Diaz-Schule, bei der es viele Schwerverletzte gab, im Einsatz. Doch ein Schuldbewusstsein, oder zumindest etwas Nachdenklichkeit, ist bei der Polizeiführung nicht zu erkennen. Im Gegenteil! Am 3.September demonstriert die Polizei in Neapel gegen die Kriminalisierung der Ordnungskräfte nach dem G8- Gipfel. Der Demonstrationsort ist nicht zufällig gewählt. Auf der für Ende September in Neapel stattfindenden NATO-Konferenz wird wieder mit starken Protesten gerechnet, denen schon im Vorfeld mit härteren Gesetzen vorgebeugt werden soll (siehe Indymedia Schweiz).

Tatsächlich scheint die NATO-Konferenz für die italienische Regierung ein Prestigeobjekt geworden zu sein, das mit allen Mitteln durchgesetzt werden soll. Der noch von der linksliberalen Vorgängerregierung eingefädelte Gipfel der Welternährungsorganisation FAO hingegen soll nach dem Willen der Berlusconi-Regierung in ein afrikanisches Land verlegt werden. Dabei ist Kennern der Protestszene klar, dass sich eher an der NATO als an der FAO Proteste entzünden werden. Gesetzesverschärfungen dürften daran allerdings wenig ändern. Zumal die italienischen Medien kürzlich Auszüge aus einem Bericht veröffentlichen, in dem der Präfekt von Genua Gianni de Gennaro die enormen geheimdienstlichen und polizeilichen Maßnahmen im Vorfeld des Gipfels ausschlüsselte. (vgl. TP-Bericht Dossier bestätigt Lauschangriff auf Genua-Aktivisten)

Demnach wurden seit Sommer letzten Jahres italienische Polizeibeamte zu Schauplätzen von internationalen Protesten in Europa (Nizza, Göteborg, Salzburg, etc.) entsandt, um die Protestformen zu analysieren.. Am 12.07.2001 erhielt der Polizeichef von Genua Colucci eine aus 26 Geheimdienstberichten zusammengestellte Liste aller europäischen Gruppen, die sich an den Protesten beteiligen wollten. Dort waren auch die Transportmittel aufgeführt, mit denen die Demonstranten anreisen wollten. Schon im Vorfeld wurden Listen mit Namen von Personen ausgetauscht, die mindestens ein Mal bei Demonstrationen verhaftet worden waren. 1439 Namen seien in einer zentralen Datenbank gespeichert. Die Zahl der an der italienischen Grenze zurück gewiesenen Demonstranten habe allerdings 2093 betragen.

Die englische Bürgerrechtsorganisation Statewatch sieht denn auch in solchen Maßnahmen, den Versuch, die Freizügigkeit und das Demonstrationsrecht in Europa auszuhöhlen. (vgl. TP-Bericht EU plant Lauschangriff gegen Globalisierungsgegner) Die Bürgerrechtler unterstützen einen Aufruf verschiedener in der Dachorganisation "Bewegung für weltweite Gerechtigkeit" zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen, die in Mails an Weltbankpräsident James Wolfensohn und IWF-Chef Horst Köhler fordern, dass die Treffen dieser Organisationen für alle frei zugänglich sein sollen. Eine Forderung, die nicht nur beim NATO-Treffen im September in Neapel ein frommer Wunsch bleiben dürfte.