Schafft Multi-Kulti Gemeinschaften, die sich dem Wandel besser anpassen können?

Nach einem Experiment konkurrieren verschiedene Bakterienarten nicht unter neuen Bedingungen, sondern nutzen gemeinschaftlich und kooperativ die Ressourcen

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Bakterien konkurrieren nicht notwendigerweise um die Ressourcen miteinander, wie man platt gemäß der Evolutionstheorie meinen könnte. Sie können, wie nun britische Forscher herausgefunden haben, zusammen ein Ökosystem aufbauen und sich so evolutionär entwickeln, dass die Ressourcen von allen Arten besser verwendet werden können, indem beispielsweise die eine Art den Abfall der anderen recycelt.

Leben gibt es nur in Ökosystemen, in denen verschiedene Arten sich mit- und gegeneinander entwickeln. Meist wurden nur isolierte Arten oder Paar-Relationen von Jäger und Beute oder Wirte und Parasiten untersucht, wie sie sich ihrer Umwelt evolutionär anpassen, aber nicht die evolutionäre Dynamik, die sich aus den Interaktionen zwischen unterschiedlichen Arten ergeben.

Britische Forscher vom Imperial College London haben für ihre Studie, die im Open-Access-Journal PLoS Biology erschienen ist, untersucht, wie sich fünf Bakterienarten jeweils einzeln als Monokultur und zusammen im Labor verändern, wenn sie einer neuen Umgebung ausgesetzt werden. Die Bakterien wurden im Wasser, das sich vorübergehend in Wurzellöchern von Rotbuchen findet, eingesammelt, wo sie gemeinsam vorkommen. Im Labor konnten sich Bakterienkulturen den neuen Bedingungen, einer ausschließlichen Versorgung mit Extrakt aus Rotbuchenblättern in einer konstanten Umgebung über 70 Generationen bzw. 8 Wochen hinweg anpassen.

Dann wurden die Ernährungsgewohnheiten untersucht, indem die Kulturen zur Ernährung einmal frischen Blätterextrakt erhielten und das andere Mal den von einer Art benutzten Extrakt. So lässt sich sehen, ob sich die Nischen der beiden Arten überschneiden, sie also um Ressourcen konkurrieren, oder nicht. Wächst die Bakterienkultur mit dem "gebrauchten" Extrakt langsamer als mit "ungebrauchtem", ist dies ein Indiz dafür, dass von beiden Bakterien dieselben Materialien zum Metabolismus genutzt werden. Wächst die Bakterienkultur hingegen mit dem "gebrauchten" Extrakt besser als mit dem "ungebrauchten", dann ist die Indiz dafür, dass die eine Art Ressourcen benutzt, die von der anderen Bakterienart aufbereitet worden sind. Die Ernährungsgewohnheiten der verschiedenen Bakterienarten wurden vor und nach dem Experiment mittels einer chemischen Analyse gemessen.

Die Bakterien in Monokulturen wuchsen deutlich schneller als in der natürlichen Umgebung, während die Bakterien in Polikulturen langsamer wuchsen und ihre Ernährung veränderten, um die Ressourcen besser aufzuteilen und die von anderen Bakterienarten aufbereiteten Produkte kooperativ zu nutzen, wie dies die Wissenschaftler interpretieren. Drei der in Polikulturen sich entwickelnden Bakterienarten konnten nicht mehr vom "ungebrauchten" Extrakt leben, während eine Art schneller mit diesem wuchs, als wenn sie in Monokultur oder in der natürlichen Umgebung lebte. Obgleich dies der Hypothese zuwiderläuft, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass durch die in Polikulturen ko-evolutionär veränderten Nahrungsgewohnheiten die Artengemeinschaft als Ganze besser funktionieren lässt, weil sie hier "positive" Interaktionen zwischen einigen Bakterienarten herausbilden und negative Interaktionen (Konkurrenz) geringer werden. Mixt man Bakterienarten, die in einer Polikultur gewachsen sind, zusammen, dann zeigen eine höhere Produktivitätsrate, gemessen am CO2-Ausstoß, als eine Mixtur von Bakterienarten aus Monokulturen. Danach steigt die Produktivität in Polikulturen, weil die Bakterienarten sich so entwickeln, dass sie unterschiedliche Ressourcen verwenden und Abfallprodukte der anderen nutzen. Bakterien, die sich in Polikulturen angepasst haben, wachsen unter den Bedingungen einer Monokultur entsprechend langsamer.

Für die Wissenschaftler lassen sich aus dem Experiment weitreichende Schlüsse ziehen, weil alle Arten mit vielen anderen Arten zusammenleben und daher unter veränderten Umweltbedingungen, beispielsweise unter den Folgen der Klimaerwärmung, ähnliche Phänomene zu erwarten seien. Gemeinsam in einem Ökosystem lebende Arten verändern ihre Umwelt, indem sie neue Ressourcen generieren, so die Autoren: "Damit werden auch die Selektionsdrücke auf andere Arten und auf deren Nutzung der vorhandenen Ressourcen verändert." Allerdings räumen die Autoren ein, dass die von ihnen untersuchten Bakteriengemeinschaften viel einfacher sind. Unter natürlichen Bedingungen leben in Baumlöchern Tausende von Bakterienarten zusammen. Die Frage ist, ob sich unter diesen Bedingungen eine ähnliche evolutionäre Dynamik durch die Interaktion von Tausenden von Arten ergibt.

Interessant wäre dies auch für konkrete Anwendungen. Tim Barraclough, einer der Autoren, weist auf die Bakteriengemeinschaften hin, die in den menschlichen Därmen leben und sich veränderten Bedingungen durch eine Umstellung der Ernährung oder einer Behandlung mit Antibiotika anpassen müssen. Will man beispielsweise Darm-Bakteriengemeinschaften für medizinische Zwecke herstellen, dann wäre ein "besseres Verständnis der Interaktionen zwischen Arten notwendig, als wir es gegenwärtig haben". Einen Schritt in diese Richtung habe man in dem Experiment geleistet.