Scharfe Reaktionen auf ersten russischen Lenkwaffen-Einsatz

Grafik aus dem Moskauer Kommersant

Russisches Verteidigungsministerium widerspricht CNN-Behauptung, vier Lenkwaffen-Raketen seien auf iranischem Territorium abgestürzt.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Abschuss von 26 russischen Raketen-Lenkwaffen auf Ziele in Syrien hat im Westen heftige Reaktionen ausgelöst. Der US-Verteidigungsminister Asthon Carter erklärte, Russland greife "rücksichtslos" in das Kriegsgeschehen ein. Der Abschuss der Lenkwaffen sei nicht vorher angekündigt worden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich besorgt darüber, dass Russland im Syrien-Krieg modernste Waffen einsetze.

Das russische Verteidigungsministerium widersprach einer Meldung des US-Fernsehkanals CNN, wonach vier der 26 russischen Lenkwaffen über iranischem Gebiet abgestürzt seien. Nach einer anonymen Quelle im iranischen Verteidigungsministeriums, welche die Nachrichtenagentur Sputnik wiedergab , gibt es keinerlei Informationen über den Absturz russischer Lenkwaffen.

Nach offiziellen russischen Angaben wurden am Mittwoch früh von vier im Kaspischen Meer stationierten russischen Raketen-Kreuzern Lenkwaffen-Raketen auf Stellungen des Islamischen Staates (IS) in Rakka, Idlib und Aleppo abgeschossen. Es war der erste Einsatz von sowjetischen bzw. russischen Lenkwaffen auf Bodenziele in einer Kriegssituation, schreibt der Moskauer Kommersant.

Flugroute verlief über Iran und Irak

Die 1.500 Kilometer lange Flugroute der Lenkwaffen über den Iran und den Irak sei mit den Verteidigungsministerien dieser Länder abgestimmt worden, erklärte der russische Generalstab. Russische Medien veröffentlichten die Flugroute der Lenkwaffen-Raketen.

Die 26 Geschosse seien vermutlich vom südlichen Teil des Kaspischen Meeres gestartet, dass unter der Kontrolle des Iran steht, erklärte Aleksej Melzow, ein Moskauer Experte für internationale Beziehungen, gegenüber der Nesawisimaja Gaseta. Die Lenkwaffen hätte Russland auch von seiner Flotte im Schwarzen Meer abschießen können.

Doch wenn eine Rakete während des Fluges abgestürzt wäre, hätte es mit der Türkei wesentlich größere Probleme gegeben als mit Iran und dem Irak, meinte der Experte. Die Frage, warum Russland die Lenkwaffen nicht von russischen Kriegsschiffen im Mittelmeer abschoss, wurde von russischen Experten nicht erörtert.

Sollte es die Abstimmung über die Flugroute der Lenkwaffen zwischen Moskau, Teheran und Bagdad tatsächlich gegeben haben, würde das darauf hindeuten, dass sich die Kooperation zwischen Russland, Iran, Irak und Syrien festigt. Im September nahm bereits ein Kooperations-Büro in Bagdad seinen Betrieb auf.

In der politischen Elite des Iraks mehrten sich die Stimmen, die Russland bitten wollen, den IS auch im Irak zu bekämpfen, berichtete der Moskauer Kommersant. Doch einflussreiche Sunniten im Irak, seien gegen eine Einladung der russische Luftwaffe. Außerdem würden die Amerikaner einen solchen Schritt nicht zulassen, vermutete das Blatt.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu erstattet dem russischen Präsidenten in Sotschi Bericht über den Einsatz von Lenkwaffen. Foto: Kreml

Bei den russischen Lenkwaffen, die am Mittwochmorgen zum Einsatz kamen, handelte es sich um 6,2 Meter lange Raketen des Typs "Kaliber NK". Sie sind den US-Lenkwaffen Tomahawk ähnlich. Dass alle abgeschossenen 26 Raketen trotz der Distanz von 1.500 Kilometern ihre elf Ziele erreichten, zeuge von der "hohen Effektivität" der Waffen, erklärte der russische

Verteidigungsminister Sergej Schojgu bei einem Treffen mit Wladimir Putin am Mittwoch in Sotschi. Einige deutsche Medien wiesen darauf hin, dass die Lenkwaffen nicht zufällig am 63. Geburtstag des russischen Präsidenten gestartet wurden. Das bleibt jedoch Spekulation.

Russen zwischen Zustimmung und Skepsis

Umfragen des Moskauer Lewada-Instituts zeigen, dass die Bevölkerung Russlands gegenüber einer direkten Einmischung in den Syrien-Krieg zwar immer noch skeptisch ist, die Luftschläge gegen den "Islamischen Staat" (IS) aber begrüßt. Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrum begrüßen 72 Prozent der Befragten die Angriffe der russischen Luftwaffe und 63 Prozent die Angriffe der französischen Luftwaffe gegen den IS.

Noch im September waren 69 Prozent der befragten Russen gegen ein direktes Eingreifen der russischen Streitkräfte in Syrien. Nach der letzten, Anfang Oktober durchgeführten, Umfrage des Lewada-Meinungsforschungsinstituts wollen 78 Prozent der Befragten nicht ausschließen, dass die direkte militärische Einmischung Russlands in Syrien so ende wie in Afghanistan. Von dort mussten die sowjetischen Truppen 1989 nach zehnjährigem Kampf erfolglos abziehen.

Offenbar haben vom russischen Präsidenten - als Oberkommandierender der Streitkräfte - getroffene Entscheidungen zur Folge, dass die Russen ihre Zweifel über die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme überwinden. Wegen seiner hohen Popularität folgen die Russen dem Kreml-Chef auch in schwierigen Fragen. Nach einer Umfrage des Lewada-Zentrums von Anfang Oktober glauben 74 Prozent der befragten Russen, dass Wladimir Putin "die ehrliche Absicht" habe, das Leben der Menschen in Russland zu verbessern.

US-Verteidigungsminister: "Russland wird Verluste hinnehmen müssen"

Der US-Verteidigungsminister Asthon Carter erklärte am Donnerstag, die russischen Lenkwaffen- Raketen seien "nur einige Kilometer" von einer unbemannten US-Drohne ("of one of our unmanned aerial vehicles") geflogen. Die Behauptung Russlands, man kämpfe vor allem gegen den "Islamischen Staat" stimme nicht mit den tatsächlichen Zielen der russischen Luftangriffe überein. Auch "russische Dschihadisten" würden von der russischen Luftwaffe angegriffen. Diese könnten "eines Tages" Russland angreifen, warnte der US-Verteidigungsminister.

Auch von der westlichen Militärallianz gab es eine scharfe Stellungnahme. Unter Bezugnahme auf die beiden kurzzeitigen Verletzungen des türkischen Luftraumes durch russische Kampfflugzeuge erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die Allianz sei bereit, alle ihre Mitglieder, auch die Türkei, "gegen Bedrohungen zu verteidigen".

Nach einem Bericht des Moskauer Kommersant wurden bis Mittwoch von den russischen Luftstreitkräften 112 Ziele in Syrien angegriffen. Das Blatt berichtete, dass sich das Pentagon geweigert habe, seine Kenntnisse über Stellungen des Islamischen Staates mit dem russischen Verteidigungsministerium zu teilen, da man die russische Strategie für "völlig verfehlt" halte. Die Verteidigungsministerien der USA und Russland würden bisher nur technische Daten austauschen, um zu verhindern, dass Kampfflugzeuge zusammenstießen.

Wladimir Putin erklärte, er sei nicht dagegen, die Freie syrische Armee in eine gemeinsame Front gegen die IS einzubinden. "Wir wissen allerdings noch nicht, wo sie (die FSA, U.H.) ist und wer sie führt", ironisierte der Kreml-Chef. Wenn es jedoch gelänge, den militärischen Arm "des sogenannten gesunden Teils der Opposition" im Kampf gegen "den gemeinsamen Feind, gegen die terroristischen Organisationen zu vereinen", sei das eine "gute Voraussetzung" für eine politische Regulierung in Syrien, erklärte der Kreml-Chef.