Schlacht um Awdijiwka: Haben Russen mit Taktik aus Erstem Weltkrieg Erfolg?

Knallt es hier bald? Kokerei von Awdijiwka. Bild: MOs810, CC BY-SA 3.0 DEED

Moskaus Truppen nähern sich ukrainischen Stellungen auf ungewöhnliche Weise. Militärexperte hinterfragt Vorgehen. Auch andernorts bleibt das Geschehen dynamisch.

Beim Kampf um die ukrainische Stadt Awdijiwka scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Russische Militärs haben anscheinend mit dem Graben von Tunneln in Richtung der Kokerei Awdijiwka begonnen. So versuchen Moskaus Streitkräfte, sich den ukrainischen Stellungen zu nähern.

Dies berichtete die ukrainische Nachrichtenseite Strana. Sie zitiert Anton Kotsukon, ein Vertreter der 110. Separaten Mechanisierten Brigade, die in der Nähe von Awdijiwka im Einsatz ist.

"Es werden Tunnel gegraben, die sich unseren Stellungen nähern, erstens zur Tarnung und zweitens, um irgendwo unerwartet in der Nähe unserer Stellungen aufzutauchen", so Kotsukon gegenüber Strana. Awdijiwka ist stark befestigt, mit Schützengräben, Betonbunkern und Tunneln.

Die Technik des Tunnelgrabens wurde in großem Umfang im Ersten Weltkrieg, im sogenannten Minenkrieg eingesetzt. Um den Stellungskrieg wieder in Bewegung zu bringen, wurden Tunnel tief unter die gegnerischen Verteidigungslinien gegraben. Oft waren diese Minen genannten Tunnel weitverzweigten Stollensystemen, in die riesige Mengen Sprengstoff gebracht und unterhalb der gegnerischen Schützengräben gezielt gesprengt wurden.

Die größte Minenexplosion ereignete sich am 1. Juli 1916 in der Schlacht um die Somme in der Lochnagar-Mine, der Knall soll noch in London zu hören gewesen sein.

Die ungeheure Detonation hinterließ einen Krater mit einem Durchmesser von 100 Metern und 21 Metern Tiefe. 27 Tonnen Ammonal-Sprengstoff gingen damals 16 Meter unter der Schwabenhöhe genannten Verteidigungsstellung der Kaiserlich deutschen Truppen hoch.

Warum wenden russische Militärs eine über hundert Jahre alte Strategie an? Eine bewegliche Kriegsführung ist zurzeit nicht mehr möglich, sagt dazu der österreichische Oberst Markus Reisner. Von ukrainischen und russischen Streitkräften würden mittlerweile tausende Drohnen auf engstem Raum und gleichzeitig auf dem Gefechtsfeld eingesetzt, argumentiert er. Aufklärungsdrohnen schaffen ein transparentes Lagebild, Angriffsdrohnen erzielen zerstörerische Wirkung.

Vor allem sogenannte "First Person View"-Drohnen, die billig produziert und mit hohlladungsbildenden Sprengkörpern abgestattet werden können, stürzen sich dabei, vom Bediener aus der sicheren Ferne gesteuert, sehr wirksam auf alles, was sich auf dem Gefechtsfeld bewegt.

Somit ist für Angreifer und Verteidiger keinerlei taktisches oder operatives Manöver mehr möglich. Jeder Ansatz von mechanisierten Kräften wird sofort aufgeklärt und im Ansatz durch umfangreiche Angriffsdrohnenschwärme oder durch von Drohnen gesteuerten Artillerieeinsatz zerschlagen.

Hinzu kommen Minen und Hinterhalte mittels Panzerabwehrlenkwaffen. "Beide Kriegsparteien sind in einen elenden Abnützungskrieg gezwungen", so Reisner gegenüber Telepolis.

Seit mehr als zehn Tagen ist eine russische Großoffensive im Gange, die sich besonders nördlich der Großstadt Donezk auf die befestigte Industriestadt Awdijiwka konzentriert. Hier greift die russische Armee stetig an.

In den ersten Tagen wurden große Kolonnen mit gepanzerten Fahrzeugen in Richtung der ukrainischen Stellungen geworfen, die mit hohen Verlusten der angreifenden Russen einhergehen – die ukrainische Seite spricht von bis zu 200 außer Gefecht gesetzten, russischen Panzerfahrzeugen.

Den russischen Streitkräften scheint es gelungen zu sein, die wichtige Schlackehalde der Kokerei Awdijiwka zumindest in Teilen wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Ziel dieser Angriffe im Norden sind die Dörfer Stepove, Berdychi und Semenivka.

Von dort können die russischen Streitkräfte die einzig befestigte Straße, die noch unter ukrainischer Kontrolle steht, gezielt unter Beschuss nehmen und so den überlebensnotwendigen Nachschub in die Festungsstadt hinein abschnüren – eine Taktik, die schon in Bachmut erfolgreich war.

In der jetzt einsetzenden Schlammperiode sind für schwere Fahrzeuge nur noch befestigte Straßen nutzbar.

Der als Zangenbewegung ausgeführte Einkesselungsversuch konnte hingegen im Süden in der Nähe von Sieverne von den ukrainischen Streitkräften abgewehrt werden. In einem Gegenangriff wurden die russischen Truppen hier zurückgedrängt. Die Bedeutung der Stadt für die ukrainischen Verteidiger macht auch die Verlegung von Leopard-Panzern deutlich, die in der Nähe von Awdijiwka gesichtet wurden.

Strana berichtet im eingangs zitierten Artikel, dass der ukrainische Geheimdienst den Einsatz von "ferngesteuerten Transportrobotern" durch die Russen registriert haben. Nähere Informationen sind nicht bekannt. Ist es Russland gelungen, seine bestehenden Panzerfahrzeuge zu selbstfahrenden Robotern zu transformieren? Unter dem Namen "Udar" wird tatsächlich eine ferngelenkte Version des russischen Schützenpanzers BMP-3 entwickelt.

Hier kann auf die Schützenpanzer-Besatzung vollständig verzichtet werden und die Infanteristen werden ferngesteuert zu ihrem Einsatzort gebracht. Vielleicht haben wir in Awdijiwka den ersten Einsatz dieser BMP-3-Schützenpanzer-Drohne gesehen.

Zusätzlich wurde erst im Juli dieses Jahres bekannt, dass der russische Rüstungsgigant Rostec unter dem Namen Prometheus einen Robotik-Rüstsatz entwickelt, der jedes russische Panzerfahrzeug in eine Drohne verwandeln kann.

Neuigkeiten gibt es von der Südfront in der Nähe von Cherson: Dort gelang es ukrainischen Truppen, über den Dnipro überzusetzen und mindestens zwei kleine Brückenköpfe zu bilden, und zwar in der Krynky und Richtung Oleshky. Militärbeobachter erwarten hier einen neuerlichen Offensivversuch der ukrainischen Streitkräfte.

Zudem ist es, wie hier berichtet, der Ukraine gelungen, mit Schlägen durch die von den USA neu gelieferten ATACMS-Raketen bis zu 15 russische Kampfhelikopter auszuschalten. Falls das stimmt, wäre das ein herber Verlust für die russischen Luftstreitkräfte. Allerdings berichtet der britische Spectator, dass bis zu 18 ATACMS für den Angriffe auf die beiden Hubschrauberstützpunkte in Lugansk und Berdyansk benutzt worden sein sollen – doch nur drei Raketen kamen demnach ins Ziel.

Das würde eine hohe Abschussrate durch die russische Luftabwehr bedeuten, obwohl dies der erste Angriff mit den US-Raketen war und die russische Luftabwehr als lernendes System erst Datenpunkte braucht, um die ATACMS effektiv bekämpfen zu können.

Zudem standen die Kampfhubschrauber nicht in Bunker-Hangars, sondern offen unter freiem Himmel. Die auch Shelter genannten Bunker hätten die Wirkung des Angriffs vermutlich enorm reduziert.

Indes behauptet das russische Verteidigungsministerium, gleich sieben MiG-29 durch Luftabwehrsysteme abgeschossen zu haben. Russland reagiert auf die steigende Bedrohung durch Raketen- oder Flugzeugangriffe unter anderem mit einer Ausweitung der Produktion seiner Luftverteidigungssysteme.

Neue Probleme könnte für die Ukraine an der gemeinsamen Grenze zu Russland drohen: ist diese Front in er Regel ruhig, berichten ukrainische Quellen jetzt davon, dass die russische Armee 20.000 Soldaten dorthin verlegt hat. Über den genauen Einsatzort der russischen Kräfte ist nichts bekannt.

Die hier zusammengestellten Informationen speisen sich aus folgenden OSINT-Quellen: Weeb Union, Military Summary Channel, Suriyakmap, Deepstatemap, Remilind23, Red Fish Bubble 2.1 (geschlossene Gruppe)

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