Schlechte Zeiten für kiffende Zwerge

Morgen beginnt in der Leipziger Messe die Games Convention, die deutsche Publikums- und Fachmesse für interaktive Spiele. Teut Weidemann, einer der ersten hauptberuflichen Spieldesigner in Deutschland, über Spielentwicklung in Deutschland

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Teut Weidemann entwickelte 1985 erste Budgetspiele wie Sarcophaser für den Amiga. Von 1987 bis 1991 leitete Teut Weidemann beim Düsseldorfer Entwickler Rainbow Arts und dem Kaarster Publisher Softgold die Produktion von mehr als 32 Spielen wie Turrican. Nach einigen Jahren als IT-Berater gründete er 1996 Wings Simulations, veröffentlichte 1999 die Simulation "Panzer Elite" und arbeitet nun an "Söldner".

Was hat Leipzig mit Los Angeles gemeinsam?

Teut Weideman

Weidemann: Wenig. Dort schließen im Mai auf der E3 die Publisher Deals fürs US-Weihnachtsgeschäft mit dem Großhandel und machen Marketing Arbeit...

...und in Leipzig...

Weidemann:...sind vor allem Privatbesucher. Ein wenig Marketing wird auch gemacht. Aber noch ist es eine reine Consumer-Messe.

Noch?

Weidemann: Bisher wurden die Weihnachts-Geschäfte für Europa auf der ECTS Ende August in London gemacht. Doch langsam ändert sich das. Leipzig gewinnt da an Bedeutung.

Betrifft sie das als Entwickler direkt? Präsentieren sie den Verlagen auf solchen Messen Ideen?

Weidemann: Das ist weniger geworden. Auf der E3 haben Entwickler überhaupt nichts mehr zu suchen, das wird nun auf der Games Developer Conference in San Jose gemacht.

Für die deutschen Entwickler gibt es jetzt im Vorfeld der Leipziger Messe eine eigene Veranstaltung. Lohnt sich das? Passen nicht inzwischen alle deutschen Entwicklerteams in ein Wohnzimmer?

Weidemann: Es stimmt schon, im vorigen Jahr sind in Deutschland fast 80 Prozent aller Teams gestorben, aber das heißt ja nicht das alle interessierten Entwickler weg sind. Ich fange jetzt kein Krisengeheul an. Das war eine ganz normale Entwicklung. Und im Moment sitzen immer noch etwas mehr als zehn deutsche Teams an High-end-Spielen.

Warum ist so ein Einbruch normal? Es wurden doch weltweit nicht weniger Spiele gekauft, sondern eher mehr.

Weidemann: Das eine hat mit dem anderen nicht direkt etwas zu tun. Die Nachfrage nach neuen Spielen geht zunächst von den Verlagen, den Publishern aus. Und die ist in Deutschland in den vergangenen drei, vier Jahren unnormal stark gestiegen. Deswegen gab es dann auch 20 und mehr Studios. Inzwischen haben wir wieder den alten Stand. Und der ist noch immer viel besser als die Lage Anfang der neunziger Jahre. Da gab es in Deutschland sehr wenig große Entwickler: Blue Byte in Mülheim und einige wenige andere.

Und warum wurden es dann auf einmal so viel mehr?

Weidemann: Der Bedarf an Produkten stieg, weil mehr Geld von Investoren da war.

Warum?

Weidemann: Die hohen Umsätze mit Titeln für die Playstation 1 haben die Investoren gelockt. Das fing in den Vereinigten Staaten 1998 an. Dort stiegen die großen Spielefirmen wie Mattel und Hasbro in das Videospielgeschäft ein. Sie wollte am Spielzeugwunsch Nummer 1 verdienen. In Deutschland kamen dann Ravensburger, CDV, Jowood und Phenomedia. 2000 mussten in den USA Mattel und Hasbro das Geschäft aufgeben. Denn sie waren zu spät dran, um Erfolg zu haben. Wenn man die Zeit für Entscheidung für konkrete Titel und deren Entwicklung betrachtet, sind die Spiele ein bis zwei Jahre nach den hohen Umsätzen und dem Einstieg ins Videospielgeschäft fertig. Nur kommt da schon die neue Konsolengeneration, das alte Format stirbt oder ist schon tot. Die Übergangsperiode von einer Konsolengeneration zur nächsten war 2000 bis 2001. Im Jahr 2000 war in den Staaten das große Entwicklersterben, ein Jahr später waren gut 40 Studios in England dran und mit noch etwas Verzögerung ist das dann auch hier bei uns passiert.

Die große Entwicklerpleite..

Weidemann:... ist ein ganz klares Ergebnis der falschen Strategien der jungen Publisher und Investoren. Schade, dass die Entwickler dran glauben müssen, weil junge, unerfahrene Publisher mit Verzögerung das machen, was die erfahrenen bis dahin schon längst gemacht haben.

Also passiert in Deutschland dasselbe wie in den Vereinigten Staaten? Geht es dann also mit etwas Verzögerung auch hier wieder aufwärts?

Weidemann: So würde ich das nicht sagen. Zum einen haben deutsche Publisher eine andere Tradition als die Riesen aus Frankreich und den USA. Die meisten hierzulande kommen aus dem Vertrieb. Sie haben zuerst US-Spiele hier vertrieben und sind dann in die Entwicklung eingestiegen. Da denkt man oft noch in Kategorie wie: "Ich gebe so und so viel für ein Projekt aus und bekomme so und so viel zurück." Dazwischen passiert aber bei den Amerikanern und Franzosen noch einiges: Die arbeiten sehr intensiv am Produkt der Entwickler mit und bringen ihr Wissen über den Markt und die allgemeine Entwicklung ein. Und zum anderen haben sie einfach all diese Erfahrung schon. Sie setzten nicht auf falsche Plattformen, falsche Ideen oder falsche Teams. Und sie wissen, was zu welchem Preis möglich ist. Spielproduktion ist ein magisches Dreieck mit den Faktoren Geld, Zeit und Qualität. Optimieren kann man davon immer nur zwei. Also: Entweder längere Zeit zu moderaten Kosten entwickeln und dann hohe Qualität liefern. Oder schnell und fristgerecht gute Spiele liefern und viel Geld für die Entwicklung bezahlen. In Deutschland gilt das Modell aber meistens gar nicht, da stimmen weder Zeit noch Kosten noch Qualität.

Sind sie da nicht etwas zu negativ?

Weidemann: Nein, das ist doch eine normale Sache, wenn die Erfahrung fehlt. Ein Entwickler kann erst seinen dritten Titel so richtig gut machen. Nur leider verliert eigentlich jeder deutsche Entwickler seinen Publisher, wenn er gerade an seinem dritten Titel sitzt. Dieses Chaos verhindert jede Kontinuität. Und dieses Chaos ist da, weil den deutschen Publishern das Geld leider nur selten reicht, um die Fehler finanziell durchzuhalten, aus denen man die für das Geschäft nötige Erfahrung zieht.

Und dieses Geld haben die großen Verlage in den Vereinigten Staaten und Frankreich?

Weidemann: Ja. Die haben schon die Erfahrung aus den letzten Jahren und dadurch auch das Geld verdient, um im immer größer werdenden Geschäft mitzuhalten.

Weil Spieleentwicklung teurer wird?

Weidemann: Ja. Sony gibt für die nächste Playstation-Generation derzeit nur Entwicklern Lizenzen, die mehr als 100 Leute an ein Projekt setzen. Welcher Publisher kann so etwas finanzieren? Klar: Electronic Arts, Activision und die anderen großen. Die haben über Jahre mit höheren Budgets die Erwartungshaltung gesteigert. Als ich Ende der Achtziger Entwicklungschef bei Rainbow Arts war, haben die Titel zwischen 13 000 und 200 000 Euro gekostet. Die Entwicklung von "Panzer Elite" hat Mitte der Neunziger 1,1 Millionen Euro gekostet. "Söldner" wird mehr als 2 Millionen Euro kosten. Und Electronic Arts hat Budgets von 5 bis 12 Millionen Dollar. Aber deren Geschäftsprinzip geht ja auf. Im vergangenen Jahr haben sie von gut 22 Titeln je über eine Million Exemplare verkauft.

Immer weniger Verlage machen immer größere Geschäfte?

Weidemann: Na klar. 1996 hatte ich auf der E3 für die Präsentation von "Panzer Elite" Termine bei 32 Publishern. 32 verschiedene! Heute wären das vielleicht zehn.

Und die Folgen sind?

Weidemann: Dass zum Beispiel Electronic Arts 100 Millionen Dollar für eine Harry-Potter-Lizenz ausgeben kann. Das müssen die auch, weil so eine Lizenz Marktsegmente sichert. Und es lohnt sich zudem auch, weil man erstmals auf dieser Konsolen Generation denselben Titel für alle vier Plattformen entwickeln und so die Kosten verteilen kann.

Das können deutsche Verlage nicht. Wo sehen sie deren Chancen?

Weidemann: Also das Optimum wäre, wenn sich deutsche Publisher und Entwickler jetzt auf die Konsolen der nächsten Generation stürzen.

Und welche Taktik wäre realistisch?

Weidemann: Nischenmärkte zu besetzten, welche die Großen nicht wollen oder global gesehen einfach zu klein sind, aber für Deutsche groß genug. Da ist zum Beispiel immer noch mobile gaming. Und da haben wir in Europa noch immer einen Startvorteil, weil viele der Mobiltelefonhersteller hier sitzen.

Sie entwickeln aber derzeit mit Söldner einen Taktik-Shooter für den PC.

Weidemann: Ja. Für deutsche Entwickler sieht es ja etwas anders aus. Die sollten sich vor allem an Ideen setzen, die sich international verkaufen lassen. Und dann muss man schon bei der ersten Skizze Erkenntnisse aus der weltweiten Marktforschung einfließen lassen, sonst verfehlt man den internationalen Markt. Wings macht deswegen nur CNN-kompatible Spiele. Und militärische Spiele sind ein Massenmarkt, nicht nur in den USA.

Was gibt es denn noch für Besonderheiten?

Weidemann: Mein Lieblingsbeispiel ist der große Erfolg von Siedler in Deutschland und der Misserfolg in den Staaten: Fantasy und Science Fiction gelten da als ernsthafte Literatur, das kann man nicht verniedlichen. Also müssten die US-Siedler weniger knuddelig sein, wenn es geht historisch. Amerikaner lesen Handbücher, also hätte das dreimal so dick sein müssen mit Tutorial, Index, Glossar und so weiter. Und: amerikanische Spieler haben weniger Spiel-Know-how als deutsche. Also wäre eine besser erklärte und weniger komplexe Bedienung und ein einfacherer Wirtschaftskreislauf hilfreich gewesen.

So muss also der Mainstream aussehen, zu dem immer mehr Spiele gehören?

Weidemann: Man kann die hohen Entwicklungskosten immer weniger national reinspielen. Die Verkaufszahlen steigen langsamer als Entwicklungs-Budgets und Spiele werde ja nicht teurer. Ich habe mir vor Jahren die deutsche Version von Ultima für 99 Mark gekauft. Heute kosten PC-Spiele immer noch 50 Euro. Wie finanziell erfolgreich ist da wohl ein deutsches High-end-Spiel wie Wiggles mit fickenden, kiffenden Zwergen?