Schlechte Zeiten fürs Kino

Online-Videotheken und Video-on-Demand sind für Filme das Geschäftsmodell der Zukunft, aber auch die Musikbranche etabliert sich auf dem Online-Markt stärker

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Warum stöhnen die Musik- und Filmindustrie eigentlich so laut? Der angebliche Schaden, den "Raubkopierer" in Tauschbörsen anrichten, wird durch die Verlängerung der Verwertungsketten kompensiert. Online-Videotheken und Online-Musik sowie Videos-on-Demand bilden das Geschäftsmodell der Zukunft.

Genervt von der Dauerwerbung im Fernsehen, nur gelegentlich von Spielfilmhäppchen unterbrochen, beschreiten Filmfans gern den Gang zur nächsten Videothek, um sich eine DVD auszuleihen. Bequemer noch ist es, einen Online-Verleih aufzusuchen. Über das Internet bestellt und am nächsten Tag im Briefkasten - so preisen Netzvideotheken wie Amango, Dividi, Netleih oder inVDeo ihre Dienste an. Für eine von der Anzahl an Leihdisks abhängigen Monatspauschale, zwischen fünf und 40 Euro je nach Maximalzahl gleichzeitig bestellter DVDs, kommt der Filmfan hier auf seine Kosten. Nachdem er online eine Wunschliste angelegt oder aktuelle Titel vorbestellt hat, treffen diese peu à peu auf dem Postweg ein.

Das Online-Geschäft "wächst explosionsartig", verrät Nicolas Lissner vom Anbieter Dividi Entertainment aus München, der 10.000 Titel vorrätig und teils als Trailer in der Voransicht anbietet. Genaue Zahlen weist der in Deutschland erst sechs Monate alte Markt allerdings noch nicht aus. Laut aktueller Statistik des Bundesverbands Audiovisuelle Medien liegt der Gesamterlös an Videos und DVDs für Kauf und Verleih im Jahr 2003 bei 1,55 Milliarden Euro. Davon entfallen 212 Millionen auf den DVD-Verleih, der im Vergleich zum Vorjahr um 66 Prozent angestiegen ist. Nicht erfasst sind dabei die Zahlen für den Online-Markt. Vom börsennotierten, größten amerikanischen Verleih Netflix liegen inzwischen aktuelle Werte für das erste Quartal 2004 vor: Der Reinerlös überstieg um 80 Prozent das Ergebnis des ersten Vorjahresquartals und um 24 Prozent das vierte Quartal 2003. Schlechte Zeiten fürs Kino.

Attackiert wird das seit Jahren rückläufige Kinogeschäft zusätzlich durch Video-on-Demand. Anbieter wie T-Online, Arcor und oder der Lokalbetreiber HanseNet sind noch nicht allzu lange im Streaming-Geschäft vertreten. Für Preise zwischen einen Euro für Kinderfilme (bei Arcor) und fünf Euro für zwei Spielfilme (bei T-Vision), können mittels DSL-Leitung Filme heruntergeladen und angeschaut werden. Beim ältesten, Ende 2001 gestarteten Dienst von Arcor sind 1.300 Titel im Programm, HanseNet hat 700 im Angebot und T-Online-Vision hinkt derzeit mit 84 Titeln etwas hinterher. Dort hat man im November 2003 begonnen, auch Spielfilme zu streamen, und will mit Hilfe der kostspieligen Settop-Box "Activity Media Center" (1.300 EUR) den Sprung vom PC ins Wohnzimmer, auf den Fernseher, schaffen. "Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung", versichert Sprecher Martin Frommhold, "wenngleich ein Massenmarkt wohl nur mit Geräten deutlich unter 1.000 Euro zu erreichen ist." Arcor setzt in puncto Couch-Affinität dagegen auf den PC und das Windows XP Media Center.

Kunden legen angeblich mehr Wert auf leichte Bedienbarkeit eines Online-Shops und auf sofortige Verfügbarkeit als auf den Preis

Im Bereich Musik bietet sich ein ähnliches Bild: Seitdem Tauschbörsen in den Verdacht gerieten, das Musikgeschäft zu kannibalisieren und der Umsatz laut aktuellen Angaben der deutschen Phonoverbände im Jahr 2003 um 20 Prozent zurückgegangen ist, beeilen sich alle Unternehmen im lange vernachlässigten Online-Markt Fuß zu fassen. Beim amerikanischen Vorreiter iTunes von Apple ist das Online-Angebot, gerade erst zwölf Monate alt, auf über 1 Million Titel angeschwollen. Die ehemalige Tauschbörse Napster hat sich im einstigen Feindeslager ebenfalls gut positioniert und bietet Musik nunmehr legal feil. Dagegen nimmt sich das Angebot von eventim.music bei PhonoLine, dem von Kanzler Schröder auf der Cebit gestarteten deutschen Dienst, vergleichbar bescheiden aus. Dort stehen zur Zeit etwa 250.000 Titel im Programm. Von den 10.000 Zugriffen und 8.000 Hörproben pro Tag passieren schließlich 1.000 Titel den Weg zum PC des Kunden.

Bei eventim.music liegen die Kosten bei 99 Cent pro Song. "Das bleibt auch so", sagt Sprecher Klaus-Peter Schulenberg, "denn ich brauche Volumen, um zu vernünftigen Erträgen zu kommen." Bei der Konkurrenz Popfile, ebenfalls auf der Plattform PhonoLine vertreten, müssen, dort als "Exklusiv-Track" gekennzeichnet, bis zu 1,99 EUR berappt werden, beispielsweise für Songs der Jazzinterpretin Diana Krall. Fünf Mal können die mit 192 KBit kodierten MP3-Songs auf CD gebrannt oder auf einen portablen Player exportiert werden. Dann waltet der Kopierschutz seines Amtes. Vor einer Woche meldete das Wall Street Journal, dass die Musikindustrie bereits an eine Erhöhung der Gebühren denkt. Einzelne Songs könnten zukünftig bis zu 2,49 US-Dollar kosten. Schon jetzt liegt der Preis für das komplette Krall-Album "The Girl in the other Room" im Download-Verfahren bei 19,80 EUR, während es als CD bei Amazon für 13,99 EUR erhältlich ist.

Obwohl der Musikindustrie keine Herstellungskosten für CD und Booklet, sondern nur Unkosten für den Datenverkehr entstehen, ist man sich dort sicher, dass die Kunden den Preisanstieg hinnehmen. Marktumfragen zu Folge legen die User mehr Wert auf leichte Bedienbarkeit eines Online-Shops und auf sofortige Verfügbarkeit als auf den Preis. Vor dem Hintergrund des zukunftsträchtigen Online-Geschäfts nimmt sich freilich das Geschrei um die Tauschbörsen und die Kriminalisierung ihrer Nutzer fadenscheinig aus. Längst beginnen legale Angebote die vermeintlichen Verluste zu kompensieren.