Schlechter Einfluss

Kino, Rauchen und Jugendliche

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"Kino und Rauchen gehören zusammen", weiß auch die Kulturredaktion der österreichischen Zeitung Standard und zeigt einmal mehr, wie stylish, frech, lüstern, intelligent und gutgelaunt das Rauchen aussehen kann: böse Sache besonders für den Ex-Raucher, der dem fiesen Laster aus dem Weg gehen will. Dass Filmszenen einen Einfluss auf die eigene Sucht haben, wissen alle Raucher, die ins Kino gehen und sich auf die Zigarette danach freuen. Keine Überraschung also, dass Filme Jugendliche zum Rauchen verleiten können, wie eine amerikanische Studie vor anderthalb Jahren ermittelte . Jetzt legen die Forscher nach und versuchen dem Einfluss eine Dimension zu geben.

Bei einem Film noir aus den 50er Jahren gehört die rauchende Zigarette noch zur festen Besetzung, sie sorgt für sexuelle Untertöne und schafft Gelegenheiten, sich bei Gefahr lässig, jazzig und cool zu präsentieren. Doch bei einem Hollywood-Film unserer Tage? Sind die nicht schon alle clean? Wird das nicht schon von Kritikern eigens notiert, wenn in einem Film auffällig gequalmt wird (vgl. Gut aussehen und lässig bleiben); das ist dann doch schon eine politische Botschaft?

"Rauchen sieht asozial aus", sagte neulich eine reiche junge Frau und die Mehrheit am Tisch war versucht, diesen Trend zu bestätigen. Jedenfalls fand sich keiner mehr, der widersprach, der alte Ikonen wie etwa Bogart, Ventura oder Belmondo oder solche neueren Datums, etwa George Clooney, heraufbeschwor, wie es der Standard mit seiner Raucher-Kinokulturgeschichte macht. Belmondos filterlose Gauloise im Mundwinkel heute nur mehr eine lächerliche, bemitleidenswerte statt coole Pose? Und die aktuellen Style-Heroen Brad Pitt, George Clooney, die vor der Kamera rauchen, sind sie noch Der Raucher als Rebell?

Die Zigarette im Kino ist nur mehr eine Nebensache, könnte man meinen, aus dem ganz einfachen Grund, weil man sich im Gegensatz zu früheren Filmen kaum an Raucherszenen in aktuellen erinnern kann. Dem aber widerspricht sehr deutlich, was das Forschungsteam von der Dartmouth Medical School und dem angeschlossenen Norris Cotton Cancer Center bei ihrer Inhaltsanalyse von zeitgenössischen, populären Filmen herausgefunden hat. Dort wird nämlich viel mehr geraucht, als man sich das gemeinhin so vorstellt.

Ziel der aktuellen Dartmouth-Studie, die jetzt im Fachmagazin Pediatrics veröffentlicht wird, war es, das Maß zu bestimmen, in welchem amerikanische Jugendliche Rauch-Szenen ausgesetzt sind, wenn sie populäre aktuelle Kino-Filme schauen. 534 Filme, sogenannte Box-Office Hits, untersuchte das Forschungsteam nach rauchenden Inhalten1 und fand, dass drei von vier Filmen (74%) solche "smoking episodes" enthielten, insgesamt 3.830 Bilder mit blauen Dunst.

Daraus haben die Wissenschaftler dann eine Größe errechnet, die den schädlichen Einfluss quantifizieren soll: die "Brutto Smoking Impressions". Sie multiplizierten dazu die geschätzte Zahl der Jugendlichen, welche die jeweiligen Filme gesehen hatten, mit der Anzahl der Rauch-Szenen in den Filmen und kamen auf die beeindruckende Zahl von insgesamt 13, 9 Milliarden Brutto Smoking Impressions.

Etwas fassbarer als diese Zahl, mit der vermutlich Marketing-Experten am meisten anzufangen wissen, ist, dass 61 Prozent dieser "Impressions" aus Filmen stammen, die "geratet" sind, also nur für eine bestimmte Altersklasse empfohlen bzw. erlaubt. Und die meisten der Filme, die mehr als 100 Millionen "Smoking Impressions" stark waren, waren mit dem Rating "PG-13 (Parents strongly cautioned)" versehen. Für den Leiter der Studie, Dr. James Sargent, ist das eine kolossale Werbemaschine :

Das offenbar kostenlose Bereitstellen eines Stars, der vor einem Teenager-Publikum raucht, ist der Traum eines Tabak-Verkäufers.

Mehr als 3.000 Schauspieler sollen in den untersuchten Filmen auftauchen und 500 von ihnen im Film rauchen. 30 der Topstars, meistens männlich, sollen mehr als 25% aller Raucher-Bilder liefern:

Wenn sich nur einer von den beliebten Stars dazu entschließen würde, in einem Film das Rauchen aufzugeben, dann würde das für die zusehenden Jugendlichen sehr wichtig sein

Dr. Susanne Tanski, Ko-Autorin der Studie

Auf dem deutschen Filmmarkt landen etwa 80% internationale Filme, den Löwenanteil davon stellen Filme, die von Hollywood-Studios produziert oder distributiert werden. Und in 80 bis 90 Prozent dieser Filme wird geraucht. Um den Einfluss dieser Filme auf den Entschluss deutscher Teenager, den Zug an der Zigarette zu probieren, ging es einer anderen Studie, bei der James Sargent von der Dartmouth Medical School ebenfalls mitwirkte; der deutsche Leiter der Studie "Exposure to Smoking in Popular Contemporary Movies and Youth Smoking in Germany" heisst Reiner Hanewinkel.

5586 deutsche Heranwachsende wurden 398 international produzierten Filmen (98% aus Hollywoood-Produktion) ausgesetzt; das Ergebnis ähnelte dem amerikanischer Untersuchungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Jugendlichen zur Zigarette griffen, wird vom Rauchverhalten der Movie-Stars beeinflusst. Je mehr sie Filmen ausgesetzt waren, in denen viel geraucht wird, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Heranwachsenden zur Zigarette greifen, ob als Anfänger oder als Raucher. Für Reiner Hanewinkel liegen die Schlussfolgerungen klar auf der Hand:

Für europäische Jugendliche ist es ein Risikofaktor, was das Rauchen betrifft, wenn sie in einem internationalen Film sehen, dass geraucht wird. Wenn man die Jugedndlichen davor bewahren würde, solchen Filmszenen ausgesetzt zu werden, könnte dies weltweit wichtige Implikationen für das öffentliche Gesundheitswesen haben.