"Schluss mit der Militarisierung der Köpfe!"

Dietrich Schulze über die größer werdende Bedeutung der Militärforschung an deutschen Universitäten und die wachsende Bedeutung der Zivilklauselbewegung

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Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT) tätig, anfangs als wiss. Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender. Er arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten und ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V.

Herr Schulze, Sie sind als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender des KIT stark involviert in die so genannte "Zivilklauselbewegung". Diese ruft für den Juni zu bundesweiten Aktionstagen auf. Worum geht es?

Dietrich Schulze: Die Aktionstage 13.-15. Juni sind eine gemeinsame Initiative von Kampagnen für militärfreie Schulen und Hochschulen, die an eine ähnliche im Herbst letzten Jahres anknüpft. Konkret geht es darum, der Bundeswehr den Einfluss auf die Schulen streitig zu machen, also beispielsweise die Kooperationsvereinbarungen mit einzelnen Kultusministerien ersatzlos zu streichen und Beispiele von Schulen zu würdigen, die per Schulkonferenzbeschluss die Bundeswehr nicht an ihrer Schule haben wollen. Drei davon wurden kürzlich stellvertretend mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Damit sollen der Mut und die Courage von Schülern, Lehrkräften und Eltern gewürdigt und gleichzeitig ein Signal gegen den Mainstream der Militarisierung in unserer Gesellschaft gesetzt werden. Junge Menschen sollen sich für Freiheit und Gerechtigkeit in Frieden, ohne Gewalt und Krieg, stark machen.

Genau darum geht es auch an den Hochschulen, die wegen nicht ausreichender Grundfinanzierung über dubiose Drittmittel verbunden mit befristeten Verträgen in die Arme der Militärs, der Rüstungsindustrie und von mächtigen Privatfirmen getrieben werden. In über 40 Hochschulen wird im naturwissenschaftlichen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Bereich für Bundeswehr, Rüstung und Krieg geforscht und gelehrt. Dazu kommen enorme Mittel aus dem "zivilen Haushalt" des Bundesforschungsministeriums, mittels derer zum Beispiel unter dem Deckmantel "Sicherheitsforschung" militärische Zwecke bedient werden.

Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um zu erkennen, dass die Militarisierung der Bildung ein wesentlicher Aspekt der Militarisierung der Außenpolitik ist. Die Jugend soll "humanitäre" Interventionskriege für Rohstoffe auf fremdem Boden und gehorsame Regierungen als selbstverständliche nationale Interessen begreifen und unterstützen. Als Sternstunde der Demokratie habe ich es deshalb begriffen, als kürzlich Vorwärtsverteidigungsminister de Maizière in der HU Berlin solange mit tosendem "Beifall" bedacht wurde, bis er seine Propaganda-Show abbrechen musste.

Und worum geht es bei den Zivilklauseln an Hochschulen genau? Wie viele machen schon mit?

Dietrich Schulze: Wenn das Ausmaß an Militarisierung und Anpassung betrachtet wird, muss es erstaunen, dass in den letzten drei Jahren sieben neue Hochschulen mit Zivilklauseln zu den zuvor bereits vorhandenen fünf dazu gekommen sind. Eine abrechenbare und wirklich ermutigende Zwischenbilanz der Zivilklauselbewegung.

Die Zivilklausel bedeutet dabei vor allem eine verbindliche Festlegung, für vernünftige zivile statt für militärische Zwecke zu arbeiten. Damit wird die Zivilcourage jedes einzelnen Hochschulange-hörigen gestärkt, jedoch nicht ersetzt. Voraussetzungen für die "Re-Zivilisierung" der Hochschulen sind dabei stets aber auch eine allseitige Wachsamkeit sowie die für eine Überprüfung vor Ort notwendige Transparenz. Das heißt die zumindest hochschulöffentliche Bekanntmachung aller Drittmittel-Vorhaben in Bezug auf Geldgeber, Zeitraum, Projektverantwortlichkeit, Finanzvolumen, Zielsetzung und Fragestellung bereits vor Beginn des Projekts. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Zivilklausel muss immer auch gelebt werden. Schluss mit der Militarisierung der Köpfe!

Aber schränkt das nicht die Freiheit von Forschung und Lehre ein?

Dietrich Schulze: Ja, aber das ist eine verfassungsrechtlich zulässige Selbstbindung, die die einzelnen Wissen-schaftler eben nicht unzulässig einschränkt. Das hat die TU Darmstadt im Zusammen¬hang mit ihrem Zivilklausel-Beschluss im letzten Oktober ausführlich juristisch untermauert. Bereits Anfang 2009 hat dies zudem der Verfassungsrechtler Erhard Denninger für das KIT-Gesetz analysiert und dafür auch die "Friedensfinalität" des Grundgesetzes in Erinnerung gerufen. Niemand hat zu diesem Standardwerk ein Gegen-Gutachten verfasst, warum wohl?

Tatsächlich ist das Gerede über die angebliche Nichtvereinbarkeit der Zivilklausel mit der Verfassung nichts als heiße Luft, mit der die mangelnde eigene Zivilcourage gegen den Druck aus Ministerien und Mainstream verdeckt werden soll. Eine offensichtliche Einschränkung der Freiheit der alma mater folgt jedoch aus der zuvor angesprochenen Drittmittel-Abhängigkeit. Diese wird allerdings von all jenen Freiheitsaposteln, die am lautesten die Posaune der Wissenschaftsfreiheit blasen, bewusst ignoriert.

Aber die Bundeswehr soll doch den Frieden sichern und ist keine "Angriffsarmee" sein. Warum also diese so eindeutige Kritik an, wie viele einwenden werden, auch gesellschaftlich sinnvoller und notwendiger Forschung?

Dietrich Schulze: Das mit der Friedenssicherung darf inzwischen getrost bezweifelt werden - beispielsweise in Bezug auf Jugoslawien/Kosovo und auch Afghanistan. Denn welcher Friede wurde dort geschaffen?

Ein Blick in die Geschichte sei erlaubt. In vielen öffentlichen Veranstaltungen wird derzeit anlässlich des 80. Jahrestags des faktischen Beginns des zweiten von deutschem Boden ausgegangenen Weltkrieges und an dessen Millionen Opfer gemahnt. Ohne den damaligen Militarismus wäre der Holocaust nicht möglich gewesen. Welche Schlüsse wurden hieraus vor 68 Jahren quer durch alle politischen und weltanschaulichen Richtungen gezogen? Nun, "Nie wieder Krieg" hieß damals "Nie wieder deutsches Militär".

Angesichts der heutigen Pulverfässer Nahost und Pazifik ist es mehr als berechtigt, sich auf den damaligen pazifistischen Grundkonsens zurückzubesinnen und gemeinsam einen neuen anzustreben. Der Beginn könnte, und damit komme ich zurück zum Thema Militarisierung von Forschung und Lehre, hier beispielsweise mit der Beerdigung der Kampf- und Überwachungsdrohnen sowie der zugehörigen Drohnenforschung gemacht werden.

Drei weniger bekannte Forschungsgebiete sind zudem: Aufstandsbekämpfung in der so genannten "Dritten Welt", Flüchtlingsbekämpfung an den EU-Grenzen sowie ein möglicher Einsatz gegen missliebige Demonstrationen im Landesinneren. Hieran forschen eine ganze Reihe von Hochschulen, darunter Tübingen und das KIT Karlsruhe. Letzteres nennt ihr von Rüstungswissenschaftlern gesteuertes Millionen-Projekt "Kognitive Landfahrzeuge" - für militärische Zwecke heißen die Dinger schlicht "Killer-Roboter". Verleumdung? Urteilen Sie selbst: Im Januar berichtete ein Wissenschaftler aus diesem KIT-Projekt auf einer Wehrtechniktagung unter dem Titel "Urban Operations" über Indoor-Navigation von Minidrohnen in Großstädten der "Dritten Welt". Gerade ist das KIT zudem dabei, die bereits existierende Zusammenarbeit mit dem überwiegend militärisch orientierten Fraunhofer-Institut IOSB in Karlsruhe mittels einer Doppelberufung zu vertiefen. Wen wundert es da also, dass sich die KIT-Leitung von Beginn an gegen die Zivilklausel gesträubt hat.

Gäbe es denn sinnvolle Alternativen zu der von Ihnen kritisierten Forschung?

Dietrich Schulze: Für die Uni Bremen wird seit Beginn der Auseinandersetzungen über die von einem auch militärisch orientierten Satelliten-Konzern geforderte Abschaffung der Zivilklausel das Gegenteil einer durch diesen geförderten Stiftungsprofessur gefordert, nämlich die Einrichtung eines Lehrstuhls für Rüstungskonversions-Forschung! Das ist für den Rüstungsstandort Bremen besonders sinnfällig. Und, immerhin: Am 13. Mai hat der SPD-Landesparteitag den Juso-Antrag "Rüstungskonversion fördern!" beschlossen. Damit das nicht nur ein schöner Antrag bleibt, ist natürlich noch viel zu tun, besonders in Zusammenarbeit mit noch zu gründenden Initiativen der betroffenen Beschäftigten.

Zudem gibt es ein enorm wichtiges und einschlägiges Forschungsthema für fast alle Hochschulen, nämlich die effektive Bekämpfung der sich anbahnenden Klimakatastrophe. Lutz Wicke, Direktor des Instituts für Umwelt-Management an der Wirtschaftshochschule ESCP Europe und langjähriger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt, hat dazu erst kürzlich "Zehn Thesen über das katastrophale Versagen einer überlebensbedeutsamen Wissenschaftsdisziplin und die letztmögliche Chance zur Verwirklichung ihres eindeutigen Auf-trags" verfasst. Meiner Ansicht nach sollten diese Thesen an allen Hochschulen dringend diskutiert und entsprechende Schlüsse aus ihnen gezogen werden. Das wäre dann Friedensarbeit par excellence - ebenso wie die Abkehr von Atomwaffen, Atomwirtschaft und Atomreaktorforschung. Die Wirkungen von Umweltkatastrophen könnten die von globalen Kriegen sonst alsbald womöglich noch in den Schatten stellen.

Und die Zivilklausel wird also für friedliche Forschung und Entwicklung an unseren Hochschulen sorgen?

Dietrich Schulze: Nein, nicht von selbst. Die benannten Beispiele, Militärisches abzulehnen und Ziviles auf- bzw. auszu¬bauen, können selbstverständlich auch ohne Zivilklausel in Angriff genommen werden. Die Festschreibung einer Zivilklausel schafft allerdings für alle Hochschul-Angehörigen eine gemeinsame Handlungsgrundlage für konstruktive Friedensbeiträge, die, wie sich gezeigt hat, oft eine anziehende Wirkung auf die häufig auf sich allein gestellten Wissenschaftler und Studierenden entfaltet. Und das vor allem, denke ich, hat bisher zum Wachstum der Zivilklauselbewegung beigetragen.

Aber auch ganz andere überraschende Schlussfolgerungen wurden zwecks der Unterminierung dieser Anziehungskraft bereits gezogen. Verantwortliche des Politikwissenschaftlichen Instituts der Uni Tübingen beispielsweise haben die dortige Zivilklausel in unverantwortlicher Weise zu einer "Friedensklausel" degradiert, die mit der Honorarprofessur und Chefs der Münchener "Sicherheitskonferenz" Wolfgang Ischinger ebenso wie mit solcher der Abwehr dienender Drohnen- und Chemiewaffenforschung als kompatibel erklärt wird, weil all dies ja dem "Frieden" diene - Prost! Zu diesem Zweck derlei "Umwidmung" der Zivilklausel wurde sogar extra eine komplette Ringvorlesungsreihe organisiert. Das Buch hierüber, welches unter dem scheinheiligen Titel "Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium - Hochschulen zum Frieden verpflichtet" erschien, geht inzwischen quer durchs Land auf Dienstreise. Seine übersetzte Placebo-Botschaft lautet: Zivilklausel natürlich, aber bitte mit einer möglichst allgemeinen Formulierung und einer Orwellschen Auslegung, die den Rüstungsforschungsfreunden auch ja nicht den Appetit verdirbt. Doch die Zivilklauselbewegung wird auch mit dieser neuartigen Umarmungsstrategie fertig werden.

Im Zusammenhang mit dem anfangs benannten Aktionstag wird zudem an einer öffentlichkeitswirk¬samen Unterschriftensammlung gearbeitet, die den Titel "Lernen für den Frieden - Keine Rüstungsindustrie und kein Militär in Bildungseinrichtungen" tragen wird. Wie dringend das nötig ist, wurde beispielsweise im Jahr 2011 in einem internationalen Appell, der von vielen führenden Wissenschaftlern sowie einigen Nobelpreisträgern mitunterzeichnet wurde, deutlich gemacht. In diesem heißt es unter anderem: "Freedom of thought and ideas for a peaceful, sustainable and just world are universal human rights. Today, they are threatened in many places, including even the universities around the world. Growing militarization of academic research in not only engineering and natural sciences, but also humanities, is further eroding those rights. Immediate steps need to be taken to reverse this process." Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.