Schnüffelnde Kiwis - Überwachung in Neuseeland

Die neuseeländischen Überwachungsgesetze gehen auf Pläne von ILETS, einer FBI-EU-Arbeitsgruppe, zurück

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Die neuseeländische Polizei, der Security Intelligence Service (Neuseeländischer Auslandsgeheimdienst, d. Übers.) und das Government Communications Security Bureau (weiterer neuseeländischer Auslandsgeheimdienst, über die UKUSA-Abkommen unter anderem mit der NSA verbunden, d. Übers.) drängen auf eine Ausweitung ihrer Überwachungsrechte, darin einbegriffen die Möglichkeit, Emails abfangen zu können. Nicky Hager geht der Sache auf den Grund.

Die Geheimdienste werden ihren Willen bekommen. Neue Überwachungsgesetze, die unter der konservativen Vorgängerregierung auf den Weg gebracht und nun von dem für Handel und Kommunikation zuständigen Labour-Minister Paul Swain unterstützt werden, legalisieren das Abhören der Internetkommunikation und erlauben es Polizei und Geheimdiensten, von den Besitzern unbemerkt in deren Computer einzudringen und sie dazu zu zwingen, Passwörter und Verschlüsselungscodes an die Behörden auszuhändigen, damit ihre Email und andere Dateien von diesen gelesen werden können. Die neue Gesetzgebung würde auch Auflagen für die Anbieter von Internet- und Telefonie-Dienstleistungen mit sich bringen, die dazu gezwungen wären, mit Polizei und Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, sowie Anlagen zu installieren, die diese Behörden dabei unterstützen würden, ihre Kunden auszuspionieren.

Der Gesetzesentwurf ähnelt sehr stark dem British Regulation of Investigatory Powers Act (R. I. P. Act, Ein Gesetz, das die Befugnisse von Fahndungsbehörden regeln soll, d. Übers.), das vor drei Monaten in England unter stark kontrovers geführten Debatten verabschiedet worden ist (UK-RIP-Gesetz über Ermittlungsbefugnisse verabschiedet, UK: Noch mehr Abhörbefugnisse). Dieses Gesetz schreibt Internetprovidern vor, dass sie ihre Maschinen an ein neues Email-Abfangzentrum des MI5 (Britischer Inlandsgeheimdienst, d. Verf.) anschließen müssen. Anstatt die geplanten Gesetzesänderungen öffentlich anzukündigen und darüber zu debattieren, wie es in England geschehen ist, sind die Informationen über die Pläne der neuseeländischen Regierung jedoch von ihr geheimgehalten worden, und es ist geplant, sie Stück für Stück als Anhängsel an eine Reihe von Gesetzen durch den Gesetzgebungsprozess zu schleusen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Das erste dieser Gesetze soll dem Parlament in ungefähr 10 Tagen vorgelegt werden.

Die Internationale der Überwacher und Lauscher

Die Ähnlichkeit mit der britischen Gesetzgebung ist alles andere als zufällig. Leitende Beamte haben den Ministern eingeflüstert, dass sie neue Befugnisse brauchten, um die Verbrechensbekämpfung in Neuseeland auf dem neuesten Stand zu halten. Tatsächlich ist diese Gesetzgebung auf den direkten Einfluss aus westlichen Ländern - vor allem aus den USA - zurückzuführen, die ein weltweites standardisiertes System von Abhöranlagen durchsetzen wollen, um damit die Aktionen ihrer eigenen Geheimdienste zu unterstützen. Die neuseeländische Regierung und Polizei haben die Herausgabe von Informationen hinsichtlich der Verbindungen zwischen der vorgeschlagenen Ausweitung der Überwachungsbefugnisse und geheimen Treffen und Abkommen zwischen Vertretern der neuseeländischen Regierung und westlichen Geheimdiensten verweigert. Die leitenden Beamten haben ihre Minister nicht über die Zugeständnisse informiert, die sie bereits an die Dienste aus Übersee gemacht haben, um ihr Scherflein zur Standardisierung der Überwachungsanlagen beizutragen.

Die ersten Anzeichen für die neuen Pläne wurden in der letzten Juliwoche diesen Jahres deutlich, als Paul Swain, der auch beigeordneter Justizminister ist, über Zusätze zur Anti-Cracker-Gesetzgebung diskutieren wollte und die Idee aufbrachte, dass darin auch die polizeiliche Befugnis zum Abhören des Email-Verkehrs eingeschlossen sein könnte. Er rechtfertigte diese Pläne mit dem Hinweis, sie seien gegen Internetkriminelle gerichtet: "Es ist lächerlich, die Polizei gegen das organisierte Verbrechen antreten zu lassen und ihr gleichzeitig eine Hand am Rücken festzubinden", sagte er. Allerdings waren die Abhörpläne völlig getrennt von der Gesetzgebung zu den Themenkomplexen "Internetverbrechen" und "Cracker-Kriminalität" entwickelt worden.

Vorbild Enfopol

Ich hatte mir schon vor einem Jahr gedacht, dass diese Änderungen auch nach Neuseeland vordringen würden, nachdem ich EU-Berichte erhalten hatte, die von europäischen Rechercheuren ans Tageslicht gebracht worden waren. Diese Papiere zeigten auf, dass europäische Regierungen im Geheimen den neuen Abhörgesetzen zugestimmt haben, die den engsten NATO-Verbündeten vom FBI aufgedrängt worden waren. Eine Reihe von EU-Staaten und anderer Verbündeter der USA, wie Australien, haben die diesbezüglich ablehnende Haltung ihrer Bürger ignoriert und diese Gesetze in den vergangenen Jahren verabschiedet. Es war zu erwarten, dass auf Neuseeland Druck ausgeübt werden würde, sich auch anzupassen. (Telepolis-Special Enfopol)

Die neuseeländischen Beamten, die die neuen Gesetze unterstützen, haben es abgelehnt, Informationen über eine große Anzahl der von ihnen angestrebten neuen Befugnisse und deren Verknüpfungen zu der Initiative des FBI herauszugeben. Dieses Jahr hat sich die Polizei monatelang geweigert, diesbezügliche Fragen zu beantworten, sogar nachdem der staatliche Ombudsmann eingewilligt hatte, in dieser Sache nachzuforschen. Schließlich schrieb der stellvertretende Polizeichef Paul Fitzharris unter dem Druck des Ombudsmanns vor einer Woche eine Stellungnahme, in der er verneint, von den Plänen des FBI und der EU zu wissen und in der er mir riet, mich an den zuständigen Beamten, Inspektor Peoples, zu wenden, wenn dieser nächstes Jahr aus seinem Urlaub zurückkäme.

Es wird größter Wert darauf gelegt, dass der Gebrauch der neuen Macht im Geheimen stattfindet

Details der geplanten Gesetzesänderungen sind unter Verschluss gehalten worden, aber man kann sie aus verschiedenen Quellen rekonstruieren. Die erste Gesetzesinitiative erweitert die Abhörbefugnisse der Polizei und des GCSB um alle Formen der elektronischen Kommunikation - Email, Faxe und Textbotschaften eingeschlossen - und auch die des SIS, um in die Computersysteme der Bürger eindringen und sich deren Daten ansehen und kopieren zu dürfen. Gut informierte Stellen behaupten, dass die Polizei bereits über die Technik verfügt, um Faxe abzufangen, aber noch nicht Emails.

Wie beim englischen RIP-Gesetz soll diese Ausweitung durch einen Zusatz zum Verbrechensbekämpfungsgesetz (Crimes Act, d. Übers.) erreicht werden. Das Abhören elektronischer Kommunikation sowie das Eindringen in fremde Computersysteme sollen für illegal erklärt werden - nur um dann alle Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden (wie Polizei, Zoll, etc.) von diesem neuen Gesetz auszunehmen. Abhörgenehmigungen werden dann jede Art von Kommunikation abdecken und nicht nur die telefonische. Und Durchsuchungsbefehle werden den verdeckten Zugriff auf vernetzte Rechner mit einschließen. Nach den Polizeiberichten, die vergangenes Jahr zur Einführung an den neuen Minister geschickt worden sind, strebt die Polizei auch die Befugnis an, Bürger dazu zwingen zu dürfen "die Polizei im Durchsuchungsfall beim Zugriff auf digitales Material zu unterstützen", also sie dazu zu zwingen, Passwörter und Verschlüsselungscodes herauszugeben.

Der SIS ist bereits mit der Befugnis ausgestattet worden, verschlüsselte Kommunikation abhören zu dürfen. Im letzten Jahr legalisierte ein Zusatz zum SIS-Gesetz das verdeckte Eindringen in Gebäude und das dortige Anbringen von "Objekten". Offenere Abhörgesetzgebung aus Übersee erwähnt Wanzen, die in Computertastaturen eingebaut werden, um vertrauliche Botschaften abzuhören, noch bevor diese im Rechner verschlüsselt werden können.

Die neue Gesetzgebung wird auch ganz neue, aber nicht näher spezifizierte Arten des elektronischen Schnüffelns seitens des GCSB ermöglichen, das dieses von seinem supergeheimen Hauptquartier im Wellingtoner Freyberg Building aus durchführen soll. Und es wird die Befugnisse des GCSB in das Verbrechensbekämpfungsgesetz übertragen und damit dessen Status erhöhen. Sie wird ein neues Genehmigungsverfahren installieren, das angeblich den Vollmachten des SIS "ähnlich" sein soll und die neuen Arten der Überwachung durch GCSB und SIS kontrollieren soll.

Falls die neuen Überwachungsgenehmigungen so sein werden wie die SIS-Vollmachten, dann können sie jederzeit dazu benutzt werden, ganze Organisationen ins Fadenkreuz zu nehmen und somit eine totale Überwachung Wirklichkeit werden zu lassen. Gegner der Marktwirtschaft und des Freihandels, die anderswo unter starker Überwachung durch westliche Geheimdienste stehen, fallen einem da gleich ein. Es wird größter Wert darauf gelegt, dass der Gebrauch der neuen Macht im Geheimen stattfindet.

Die andere Hälfte des Plans besteht darin, das Telekommunikationsgesetz zu verändern, worin wiederum der RIP Act nachgeahmt wird. Die Geheimdienste und die Polizei wollen Gesetzesergänzungen, die Internetprovider und Telefongesellschaften dazu verpflichten, Gerätschaften und Software zur Verfügung zu stellen, um ihre Systeme "überwachungsfähig" zu machen. Glaubwürdige Quellen berichten, dass die neuseeländische Telecom bereits dafür bezahlt worden ist, ihr Netz "überwachungsfähig" gemacht zu haben. Es wird kontrovers diskutiert, ob nun die Regierung oder die Telekommunikationsunternehmen für diese Änderungen bezahlen sollen. Nach der entsprechenden australischen Gesetzgebung zahlen die Internet- und Telefongesellschaften die Zeche.

Die Internetprovider müssen also "Kommunikationsdaten" auf Verlangen herausgeben, womit in der Gesetzgebung in Übersee IP-Adressen, Logins und Passwörter, PINs und Kreditkartendaten gemeint sind. Diese werden den Behörden womöglich sogar ohne Abhörgenehmigung zur Verfügung stehen. Wenn die Telefongesellschaften die Zusammenarbeit verweigern oder jemandem verraten, dass er überwacht wird, dann können ihre Mitarbeiter mit langährigen Gefängnisstrafen bedroht werden. Wenn die Gesetzgebung der in Übersee folgt, dann werden sie auch dazu verpflichtet sein, Verschlüsselungscodes herauszugeben, so dass die Mitteilungen gelesen werden können. Es wird wahrscheinlich kein Gegenstück zum neuen Überwachungszentrum des MI5 geben, aber der Effekt wird derselbe sein.

Eigentlich, so rechtfertigt die Regierung ihr Vorgehen, soll die Privatsphäre der Bürger geschützt werden

Der Entscheidungsprozess für diese Veränderungen ist ein Musterbeispiel für schlechtes Regieren. Die Gesetzesergänzungen werden von den Beamten im Geheimen vorbereitet, dann schnell durch das Kabinett gedrückt, ohne dass die Minister voll informiert werden und schließlich nur der Bevölkerung vorgestellt, nachdem die Regierung ihre Entscheidung bereits getroffen hat. Ähnliche Veränderungen der Gesetzgebung sind in anderen Ländern ausdrücklich als Überwachungsgesetzgebung vorgestellt worden. Trotz jahrelanger Planungsphase ist dieser offene Ansatz in Neuseeland nicht verfolgt werden.

Das Verbrechensbekämpfungsgesetz wird um einen zusätzlichen Text (SOP - Supplementary Order Paper, d. Übers.) zu "elektronischen Verbrechen" ergänzt werden, das die neuen Überwachungsvorhaben schon an die Anti-Cracker-Gesetzgebung heften wird, noch bevor diese in den Justiz-Parlamentsausschuss gelangt ist. Obwohl der Parlamentsausschuss öffentliche Eingaben zu diesem Zusatztext entgegennehmen wird, hat die Öffentlichkeit nur einige wenige Wochen Zeit, sich die Änderungen genauer anzusehen und diese zu diskutieren - am Ende mehrerer Jahre geheimer Vorbereitung durch Beamte. Die Minister hoffen, das Gesetz noch vor Jahresende verabschieden zu können. Die Zusätze zum Telekommunikationsgesetz sind unter der letzten Regierung vorbereitet worden, aber erhielten im Wahljahr 1999 keine Priorität bei den Gesetzgebungsinitiativen. David King, Leiter der Abteilung für Telekommunikation und Post beim Wirtschaftsministerium, sagt, dass sie jetzt planen, die Überwachungsmaßnahmen an eine Gesetzesvorlage zu koppeln, die aus Hugh Fletchers Untersuchung der Telekommunikationsindustrie hervorgegangen ist, und eigentlich nichts mit der Überwachung zu tun hat. Sie ist bereits weit fortgeschritten und wird im Dezember im Kabinett erwartet.

Das hat mit offener und nachvollziehbarer Gesetzgebung nichts mehr zu tun. Obwohl die Änderungen alle aus den Geheimdiensten und aus der Polizei hervorgegangen sind, werden sie als zwei unterschiedliche Gesetzesinitiativen verkauft, wobei die erste vom Justizministerium und die zweite vom Wirtschaftsministerium verfolgt wird. Obwohl Paul Swain in seinen verschiedenen ministeriellen Eigenschaften für beide Abläufe verantwortlich ist, hat er öffentlich nie erwähnt, dass es sich dabei um die zwei Hälften ein- und desselben Plans handelt. Die erste Stufe erweitert die Überwachungsbefugnisse und die zweite stellt die technischen Mittel zur Verfügung, um diese Befugnisse nutzen zu können. Zusammen ergeben sie die neuseeländische Version des britischen RIP-Gesetzes.

Paul Swain bestreitet dies. Er sagt, dass die "treibende Kraft hinter den Änderungen" der Wunsch sei, die Privatsphäre zu schützen. "Momentan ist die Privatsphäre der einzelnen Personen in Gefahr, weil es kein Gesetz gibt, das es jemandem verbieten würde, in interne Kommunikationssysteme anderer Leute hineinzuspazieren." Er sagt, die Ausnahmen für Polizei und Geheimdienste wären später hinzugekommen. Trotzdem sei der Schutz der Privatsphäre "die Grundlage und der eigentliche Grund dafür, warum ich das Ziel verfolge, dass die Bürger das Recht haben sollten, zu kommunizieren und einander Emails zu schicken, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand sie dabei abhört."

Die Änderungen des Verbrechensbekämpfungsgesetzes sind von den Ministern in derselben Woche zuerst gelesen worden, als die RIP-Eingabe gegen Ende Juli die königliche Genehmigung erhalten hatte. Zwei Wochen später, am 14. August, nahm das Kabinett die Vorschläge der Beamten ohne Änderungen an. Der Zeitplan hatte vorgesehen, dass das Kabinett den ersten Teil der Gesetzgebung verabschiedet, bevor es der danach folgenden Telekommunikationsgesetzgebung gewahr wurde und dass es keine öffentliche Debatte über Bürgerrechte geben sollte. Es ist abzuwarten, wie lange der Parlamentsausschuss Zeit haben wird, sich in die Vorlage einzuarbeiten.

Eine neue Stufe der Überwachung

Jonathon Boston, Professor für Politikwissenschaft an der Victoria-Universität in Wellington, sagt, dass die Gesetzesvorschläge grundlegende Debatten auslösen. Er hofft, dass ausreichend Zeit bleiben wird, um eine umsichtige und überlegte öffentliche Diskussion über die Gesetzesinitiativen zu führen.

Von Paul Swain und den Beamten sind exakt dieselben beiden Hauptargumente zur Verteidigung der Gesetzesentwürfe vorgetragen worden, wie sie in Großbritannien und anderswo benutzt worden waren. Das erste lautet, dass die beiden Gesetze "die bereits bestehenden Befugnisse und Verantwortlichkeiten in keiner Weise ändern oder ausweiten" würden und dass sie lediglich eine Anpassung der gegenwärtigen Befugnisse zur der Telefonüberwachung an die neuen Technologien darstellen würden. Den Ministern ist gesagt worden, dass die Änderungen lediglich den aktuellen Stand halten würden. Das ist nicht wahr.

Die Verfügbarkeit neuer Technologien hat zur Folge, dass immer größere Teile des Lebens, der Arbeit, der politischen Aktivitäten, der Unterhaltung und sogar des Einkaufens in elektronischen Kommunikationskanälen stattfinden werden. Das Abhören dieser Kommunikation ermöglicht ein Eindringen und Beobachten in bisher unerreichtem Maßstab, und schnellere Computer und digitale Kommunikationsmittel erweitern diese Überwachungsmöglichkeiten immer stärker. Man kann mit viel weniger Leuten viel mehr spionieren. Das kann mit dem Abhören von Telefonen, wie es in den vergangenen Jahrzehnten betrieben wurde, nicht mehr verglichen werden.

Zusätzlich werden noch vollkommen neue Befugnisse angestrebt, darunter das verdeckte Herumschnüffeln in den Computern der Bürger. Der Datenschutzbeauftragte hat sich in diesem Jahr in einer nicht-öffentlichen Eingabe an die Regierung stark dagegen ausgesprochen. Er argumentierte, die Gesetzgebung sehe zu polizeilichen Durchsuchungen vor, dass die durchsuchte Person sich dessen bewusst ist, durchsucht zu werden, und Einsicht in den Durchsuchungsbefehl nehmen kann. Er führte an, dass diese heimliche Überwachungsmacht an Themen wie die Wahrung der Privatsphäre oder der Verantwortlichkeit rührte. Paul Swain empfahl dem Kabinett, diese Bedenken zur Seite zu schieben und sie auf eine spätere Revision der polizeilichen Durchsuchungsbefugnisse zu vertagen. Das Kabinett nahm seinen Vorschlag an.

Ebenso könnte es neue Maßnahmen geben, um Bürger zu zwingen, Passwörter und Verschlüsselungscodes herauszugeben. Als das in Europa in die Diskussion gekommen ist, wiesen Bürgerrechtsanwälte auf das grundlegende Recht von Angeklagten hin, bis zum Beweis ihrer Schuld als unschuldig zu gelten. Es sei genauso, jemanden das Recht zu nehmen, schweigen zu dürfen.

Schließlich führen Internetexperten an, dass das Abfangen von Emails ganz anders sei als das Abhören einer guten, alten Telefonleitung, wo es nur darum gegangen sei, eine einzelne Verbindung abzuhören. Zeitgenössische Netzwerke mischen Datenpakete verschiedensten Ursprungs in einem starken Strom und deshalb, so Erich Möchel, ein österreichischer Journalist, der die Pläne des FBI mit der EU aufgedeckt hatte, "müsste man einfach jeden einzelnen Header auswerten - inklusive Absender und Empfängeradresse - um zu wissen, welche man herausfiltern muss." (Globales EU-FBI-Überwachungssystem?)

Während es bereits die Ausrüstung gibt, mit der man einen einzelnen E-Mail-Nutzer ins Fadenkreuz nehmen kann, haben ähnliche Gesetze in anderen Ländern eine "Überwachungsschnittstelle" gefordert, die alle Systeme der Internet- und Telekommunikationsfirmen einzubauen sei. Im Fall von Email bedeutet das, dass bei den Internetprovidern eine spezielle Software installiert wird, die von Geheimdiensten und Polizei ferngesteuert werden kann. Das ergibt Bedingungen, die Möchel als "Himmel der Dunkelmänner" bezeichnet. Die neuseeländische Gesetzgebung wird genau das zulassen.

Das wird noch nicht bedeuten, dass der gesamte Email-Verkehr gescannt wird, wie es das GCSB tut. Aber, wie die englische Organisation Statewatch über den RIP-Gesetzesentwurf schrieb: "Während der letzten zehn Jahre haben die geheimen ‚nachrichtendienstlichen' Methoden, die während des Kalten Krieges von Inlandsgeheimdiensten erfunden und installiert worden sind, die Methoden der Polizeiarbeit durchdrungen."

Gibt es eine unmittelbare Gefahr, die die Ausweitung der Rechte von Polizei und Geheimdiensten rechtfertigt?

Das andere Argument, das von Paul Swain und den Beamten dazu benutzt wird, um die neuen Gesetze zu rechtfertigen ist, dass die organisierten Kriminellen das Internet dazu benutzten, der Polizeiüberwachung auszuweichen, weswegen Änderungen notwendig wären, um zu "verhindern, dass die Möglichkeiten der Strafverfolgung ernsthaft eingeschränkt werden."

Detective Sergeant Cam Stokes, der sich in Auckland mit Bandenkriminalität auseinandersetzt, teilte der NZPA (New Zealand Press Association, Neuseeländische Presseagentur, d. Übers.) in diesem Jahr mit, dass er von keinem einzigen Vorfall gehört hätte, bei dem ein Verbrechen mit der Hilfe von Email geplant worden sei und dass Kriminelle sehr darauf aufpassen würden, was sie online sagten. Während er meinte, dass das Abhören von Email der Polizei keinen wesentlichen Vorteil bringen würde, sagte er, dass es "für uns bestimmt kein Nachteil wäre, wenn wir wüssten, mit wem die Kriminellen in Korrespondenz stehen."

Und das ist auch schon der Kern der Sache: Gibt es eine unmittelbare Gefahr, die die Ausweitung der Rechte von Polizei und Geheimdiensten rechtfertigt? Immerhin verbessern sich die Verbrechensaufklärungsraten ständig, anstatt sich zu verschlechtern. Und der Kalte Krieg ist längst vorbei. Aber es ist einfach, von Verbrechen und Nationaler Sicherheit zu sprechen. Wie können wir die Lage beurteilen? Paul Swain sagt, die Geheimdienste brauchten erweiterte Befugnisse, um "die Aktivitäten internationaler Krimineller und Terroristen" bekämpfen zu können. Und er unterstützt ganz besonders die Polizei dabei, diese Befugnisse zu erlangen, damit sie "Kriminelle, vor allem Banden, überwachen" kann.

Er sagte, dass er damit übereinstimmt, dass es ein Gleichgewicht zwischen der Macht der Überwacher und den Bürgerrechten geben müsse, aber er unterstützt "sehr stark" das Verlangen der Polizei nach mehr Macht "im Krieg gegen kriminelles Verhalten, besonders im Zusammenhang mit Drogen."

Dem stimmt der Neuseeländische Rat für Bürgerrechtsfragen (New Zealand Council for Civil Liberties, d. Übers.) nicht zu. Dessen Vorsitzender, Tony Ellis, sagt, dass die vorgeschlagenen Überwachungsgesetze die Bürgerrechte sehr stark betreffen würden. Der Rat hat vor drei Monaten bei Mr. Swain betreffend möglicher Email-Überwachungsgesetze nachgefragt. Am 21. September hat dieser dann geantwortet, er sei "sicher, dass die Rechte der Bürger Neuseelands nicht verringert, sondern eher vergrößert" werden würden. Ellis sagt, dass der Rat nun auf weitere Einzelheiten der Gesetzgebung wartet und das Thema aufnehmen werden wird. "Sie stellt ein großes und beunruhigendes Eindringen in die Bürgerrechte dar."

Hintergrund: ILETS oder die Globalisierung der Überwachung

Die neuen Vorschläge für Überwachungsgesetze gehen nicht von Neuseeland aus. Sie können direkt auf Pläne des FBI zurückverfolgt werden.

Das FBI begann 1991 auf neue Überwachungsgesetze in den USA zu drängen. In seinem Bericht "Von der Strafverfolgung benötigte Voraussetzungen für eine Überwachung der elektronischen Kommunikation", drückte es seine Besorgnis aus, dass die neuen Kommunikationssysteme und eine weitere Ausbreitung der Netzwerktechnologien ein Abhören weitaus schwieriger machen würde als bisher. Eine aufdatierte Version dieser "benötigten Voraussetzungen", die den Telekommunikationsunternehmen aufgezwungen werden sollte, damit diese ihre Netzwerke leichter Abhörmaßnahmen zugänglich machen, ist 1994 veröffentlicht worden und stellte die Grundlage einer neuen Überwachungsgesetzgebung dar, die von Bill Clinton im Oktober dieses Jahres verabschiedet worden ist. Seither haben US-Bürgerrechtlergruppen diese Gesetze bekämpft. Die "benötigten Voraussetzungen" (Requirements, d. Übers.) des FBI entsprechen fast wörtlich den 24 Punkten der sogenannten "International User Requirements", deren Einsetzung in ihrem Land neuseeländische Beamte später zugestimmt haben. Diese International User Requirements sind die Grundlage dessen, was derzeit vor sich geht.

Zur gleichen Zeit, als das FBI damit beschäftigt war, die Gesetze in den USA durchzubringen, begann es damit, andere Länder dazu zu zwingen, die "Requirements" anzunehmen. Das geschah, weil die US-Geheimdienste wollten, dass die mit ihnen verbündeten Länder standardisierte Überwachungssysteme benutzen, um die Überwachung des zunehmenden Datenverkehrs über Mobiltelefone und Email sicherzustellen. Das wäre beispielsweise dienlich, wenn ein US-Geheimdienst jemanden aus dem einen Land abhören will, der in einem anderen Land ein Mobiltelefon benutzt und dessen Anrufe durch das Telefonsystem eines dritten Landes geleitet werden. Daher rührt, wie 1995 ein Polizeibericht für die EU feststellt, der Bedarf nach der "Schaffung neuer Regelungen für internationale Zusammenarbeit, damit die notwendige Überwachung stattfinden kann."

Das FBI arrangierte 1993 in seinem Hauptquartier in Quantico, südlich von Washington, D.C., ein Treffen, um die "Voraussetzungen" weiter voranzubringen. Vertrauliche Papiere der EU zeigen, dass bei dem Treffen Vertreter der Europäischen Union und darüber hinaus aus Kanada, Norwegen, Hong Kong, Australien und Neuseeland anwesend waren. Im Januar 1995 haben die 15 EU-Regierungen im Geheimen den Erfordernissen zugestimmt, ohne ihre nationalen Parlamente darüber zu informieren. Seither gab es Kontroversen in jedem Land, in dem die Gesetzgebung durchgedrückt werden sollte.

Der nächste Schritt war eine Übereinkunft, die das US-EU-System um Länder erweitern sollte, die nicht der EU angehören. Die zentrale Arbeitsgruppe, die darum bemüht war, diese Zusammenarbeit in innerer Überwachung voranzubringen, trug den harmlosen Titel "The International Law Enforcement Telecommunications Seminar" (ILETS)1993 vom FBI gegründet zählt es genau dieselben 20 Staaten zu seinen Mitgliedern, die im selben Jahr dem Treffen in Quantico beigewohnt hatten (ILETS, die geheime Hand hinter ENFOPOL 98).

Der harte Kern des ILETS wird von den fünf Geheimdienst-Verbündeten der sogenannten UKUSA-Gruppe gebildet: Den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Somit gibt es zwei weltumspannende Überwachungssysteme in diesen fünf Ländern: Das von den USA geleitete Echelon-System für internationale Spionage (das das neuseeländische GCSB einschließt), und die ILETS-Kooperation für internes Nachspionieren von Bürgern innerhalb der Mitgliedsländer. Neuseeland war bei den ILETS-Treffen durch Mitglieder von Polizei und GCSB, vertreten, auch bei den Treffen in Canberra (November 1995) und in Ottawa (Mai 1998).

Andere EU-Dokumente enthüllen, dass Australien und Kanada im Oktober 1996 die International User Requirements formell unterstützten und dass Neuseeland und Hong Kong "überlegten, mit welchen Mitteln sie die Anforderungen unterstützen könnten". Die neuseeländischen Beamten begannen im darauffolgenden Jahr mit der Arbeit an der Gesetzgebung, mit der die "Requirements" in ihrem Land eingeführt werden sollten.

Sowohl die Polizei als auch Paul Swain haben in Briefen an mich bestritten, dass die neue Gesetzgebung mit den FBI-Plänen verknüpft sei. Jedoch hat der stellvertretende Kommissar Paul Fitzharris letzte Woche schriftlich zugegeben, dass "Diskussionen stattgefunden haben" und dass die "vorgeschlagenen Gesetzesänderungen Neuseeland in Übereinstimmung mit den meisten, wenn nicht allen, ‚International User Requirements' bringen würden."

Zum gesamten Kontext siehe auch das von Christiane Schulzki-Haddouti herausgegeben Telepolis-Buch: Vom Ende der Anonymität. Die Globalisierung der Überwachung.

Der neuseeländische Journalist Nicky Hager war derjenige, der erstmals in Neuseeland das globale Lauschsystem Echelon aufgedeckt hatte. Mit seinen Berichten und seinem 1996 erschienenem Buch Secret Power hat er wesentlich die Diskussion über die Praktiken der Geheimdienste angestoßen, die zu den STOA-Berichten und schließlich der Forderung des Europäischen Parlaments nach einem Untersuchungsausschuss geführt haben. Dazu siehe auch von Nicky Hager: Wie ich Echelon erforscht habe und Echelon oder wie sich Information (nicht) verbreitet.

Übersetzung aus dem Englischen von Günter Hack