Schöne Gesichter setzen das Gehirn in Aufruhr

Blickkontakt mit einem schönen Gesicht entzündet die Aufmerksamkeit, wollen Neurowissenschaftler herausgefunden haben, was auch Einblicke in den gegenwärtigen Medienkrieg geben könnte

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Eine Erkenntnis, die möglicherweise nicht nur ästhetisch und psychologisch, sondern auch strategisch wichtig im Medienkrieg um die Aufmerksamkeit sein könnte, haben britische Wissenschaftler mithilfe der funktionellen Kernspintomographie gemacht. Gesichter von attraktiven Menschen, die im Blickkontakt mit dem Betrachter stehen, lösen in Windeseile in einem bestimmten Gehirnzentrum eine Belohnungsreaktion aus. Dadurch wird Aufmerksamkeit evoziert und eine Art Bindung angelegt.

Möglicherweise ist die Zuwendung von Aufmerksamkeit und nicht die Übermittlung anderer geheimer Botschaften ja der Grund, warum die US-Regierung den Fernsehsendern nahe gelegt hat, nicht mehr Videos mit Live-Bildern des Topterroristen Bin Ladin über längere Zeit auszustrahlen (US-Regierung im Medienkrieg). Der in die Kamera blickende und damit die Zuschauer ansehende Terrorist könnte die Menschen möglicherweise schon allein durch sein Aussehen verführen. Allerdings erfahren wir aus dem Natur-Artikel leider nicht, welche Personen die Versuchspersonen als attraktiv auf einer von 1 bis 10 reichenden Skala eingeordnet haben. Für die Beurteilung, aber auch für die neuronale Reaktion scheint erst einmal keine Rolle gespielt zu haben, ob Frauen- oder Männergesichter von den weiblichen oder männlichen Versuchspersonen betrachtet worden sind.

Mit Blickkontakt ...

Die Forscher unter der Leitung des Neurologen Knut Kampe am Institute of Cognitive Neuroscience der University College London hatten 15 Versuchspersonen (jeweils acht Frauen und Männer) Farbbilder von 40 Gesichtern vorgelegt, die ihre Augen entweder dem Betrachter zugewandt oder von ihm abgewandt haben (Knut Kampe et. al.: Reward value of attractiveness and gaze, in Nature vom 11.10.2001). Aus Testzwecken wurden auch 6 Gesichter mit geschlossenen Augen dazwischen gemischt. Während die Bilder in kurzen Abständen präsentiert wurden, wurde die Gehirnaktivität mit Kernspintomographie gemessen. Anschließend sollten die Versuchspersonen die gesehenen Gesichter nach Attraktivität beurteilen.

... wird das Gehirn erregt.

Attraktive Gesichter als solche riefen allerdings keine besondere Aktivität im Gehirn hervor. Nur wenn ein als attraktiv empfundenes Gesicht auch in Richtung des Betrachters schaute, ließ sich eine signifikante Aktivitätserhöhung im ventralen Striatum feststellen. Die Aktivität verschwand, wenn es keinen Blickkontakt gab. Bei einem nicht-attraktiven Gesicht ließ sich eine genau umkehrte Reaktion feststellen, was auf die ästhetische Dominanz hinweist, die sehr schnell in einem nicht vom Bewusstsein gesteuerten Prozess erfasst zu werden scheint. Ruft ein nicht-attraktives Gesicht mit Blickkontakt beim Betrachter kaum eine Reaktion hervor, so steigt die Aktivität in dem Gehirnareal an, wenn das Gesicht wegschaut.

Wer wegschaut, ist erst einmal auch nicht sonderlich interessant. Fotos von nicht-attraktiven Gesichtern zum Vergleich waren in Nature nicht zu finden.

Das ist eigentlich schon der ganze Versuch gewesen, weswegen die schon wesentlich weniger empirische Interpretation der Ergebnisse weitaus interessanter ist. Die Merkmale für Attraktivität, die als solche in diesem Versuch allerdings anscheinend nicht selbst erfasst wurden, scheinen unabhängig vom Geschlecht des Betrachters und des Betrachteten zu sein. Kampe nimmt daher an, dass es sich bei der von ihm gemessenen Reaktion um die Wahrnehmung von Reizen wie Gesichtsform oder Symmetrie handelt, die nicht sexuell besetzt sind, aber eine Rolle bei der Erfassung der sozialen Bedeutung des Erblickten spielen könnten, was für den Beginn einer Interaktion wichtig ist. Attraktivität könnte ein evolutionäres Selektionskriterium sein, das möglicherweise einen Hinweis auf Stärke, Gesundheit und die soziale Stellung vermittelt: "Es ist sehr wichtig", sagt Kampe gegenüber BBC, "schnell zu wissen, mit wem es sich lohnt, sich zu verbinden. Auf diese Weise macht es Sinn, sich mit attraktiven Menschen unabhängig vom Geschlecht zu verbinden." Der erste Eindruck zählt.

Wer engere Verbindungen mit einem in der Gruppe höher gestellten Menschen hat, kann selbst im Rang aufsteigen. Zumindest aber können attraktive Menschen die Blicke ihrer Mitmenschen besser auf sich lenken und so auch leichter Aufmerksamkeit gewinnen, was selbst schon zu einem höheren Anerkennungsgrad führt - und Menschen, die Aufmerksamkeit akkumulieren, können einen Teil dieser auch an diejenigen abgeben, die mit ihnen sind. Weswegen es wichtig ist, schnell die möglichen Kandidaten der sozialen Aufmerksamkeit zu erkennen und diejenigen auszuschließen, bei denen die Anstrengung nicht so lohnenswert erscheint. Doch Schönheit allein setzt diese Spirale nicht in Gang, der Betrachter muss auch selbst in die Aufmerksamkeit durch Blickkontakt rücken, um das Belohnungsareal in seinem Gehirn zu aktivieren und Erwartungen aufzubauen. Das ventrale Striatum ist bei Versuchstieren wie Affen in Erwartung einer Belohung wie Essen aktiv, aber es ist auch bei Süchten beteiligt.

Die Neuronen im ventralen Striatum feuern in einem bestimmten Aktivitätsmuster, wenn eine unerwartete Belohung erblickt wird, und ihre Erregung geht zurück, wenn eine erwartete Belohnung sich nicht einstellt. Kampe nimmt an, dass der Grad an Attraktivität bereits in diesem Sinn für den Beginn einer Interaktion eine Belohnung darstellt, ein erwiderter Blick dann noch besser als das ist, was erwartet wurde, weswegen dies zu einer größeren Reaktion führe. Ein nicht-attraktives Gesicht enttäusche und führt nur dann zu einer erhöhten Aktivität, wenn es wegschaut. Für Kampe möglicherweise ein Zeichen der Erleichterung, für die Menschen, die keine attraktiven Gesichter haben, natürlich ein schreckliches Schicksal, das ihnen erst einmal Aufmerksamkeit und Anerkennung entzieht.

Interessant ist natürlich, dass eine solche Beeinflussung durch attraktive Gesichter auch über Medien wirkt, selbst wenn diese nicht unmittelbar wie bei einer persönlichen Begegnung zu einer Interaktion führen können. Medien ermöglichen sogar viel öfter und über längere Zeit hinweg einen (imaginären) Blickkontakt mit vielen attraktiven Gesichtern, wobei die Gesichter, die am häufigsten auftauchen, die der Stars sind, die dann möglicherweise wieder Attraktivität, mittlerweile nicht mehr nur biologisch, wohl aber in globalem Maßstab prägen. Stars sind die medialen Aufmerksamkeitszentren und spielen daher in Mediengesellschaften eine immer größere Rolle, weil sie selbst zu Leitmedien werden. Und aus diesem Grund könnten, um wieder auf den Beginn zurückzukommen, Bilder eines Bin Ladin, die im Fernsehen oder im Internet weltweit übertragen werden, tatsächlich gefährlich sein, wenn er uns dabei ansieht, egal was er sagt. Dann käme es freilich noch darauf an, wer im derzeit aufgeführten Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen das attraktivste Gesicht besitzt: Bush oder Bin Ladin?