Schöne neue Genwelten

Vom Verschwinden der Kritiker der Gentechnologie

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Die Gentechnologie ist mittlerweile aus unserem Alltag genau so wenig weg zu denken wie ein Computer. Auf dem medizinischen Sektor gehören Patientenorganisationen oder Selbsthilfegruppen sogar häufig zu den Schrittmachern bei gentechnologischen Forschungsprojekten. Teilweise beteiligten sie sich in der Hoffnung auf lebensrettende Medikamente sogar finanziell an entsprechenden Forschungen. Auch in der Gesundheitsvorsorge und der vorgeburtlichen Diagnostik haben sich schon längst mächtige Lobbyorganisationen etabliert, die vehement für eine ungebremste Genforschung eintreten.

Noch vor einem Jahrzehnt hätten wohl selbst stärksten Gentechnik-Befürworter eine solche Entwicklung nicht zu prognostizieren gewagt. Bis Ende der 80er Jahre bestimmten nämlich eher die Kritiker auf dem Gebiet der Gentechnologie den öffentlichen Diskurs. Heute sind es vor allem die christlichen Kirchen, die als Bedenkenträger auf dem Gentech-Sektor wahrgenommen und wenig ernst genommen werden. Die Gentechnologie hat sich in der Meinung erfolgreich als modern, sexy und nützlich zu verkaufen verstanden. Das gelang er ihr so gut, dass heute gerade bei jüngeren Menschen die Tradition der linken Gentechnikkritik kaum mehr bekannt ist.

Die Herausgeber des vor wenigen Wochen im Verlag b_books erschienenen Buches Angewandte Genetik -Gene zwischen Mythos und Kommerz stellen die Frage nach den Ursachen für den Umbruch im öffentlichen Diskurs. Die Autoren sehen in erster Linie hausgemachte Gründe für diese Entwicklung. Das naturromantisch motivierte Unbehagen an Genmanipulation sei zu Recht zunehmend in die Kritik geraten, so der Befund des Autorenquartetts. Ein neues Natur-Technik-Verhältnis sei in den letzten Jahren hegemonial geworden.

"Mit dem Boom der Neuen Medien bildete sich auch in Szenen und Subkulturen neue Verhältnisse zu 'Natur', Technik und Körper heraus. Im Zuge dessen konnte sich ein genetisches Wissen mehr und mehr als Alltagswissen in die Gesellschaft einschreiben und den vorherrschenden Begriff von Gesundheit umwerten."

Diese Veränderungen werden unter den Stichworten Technologietransfer, Neue Biomedizin, Gentests und Bevölkerungsscreening genauer untersucht. Auch auf die ökonomische Seite wird ausführlich ergangen. Das Schlagwort "Vom Labor an die Börse" drückt aus, wie lukrativ die Genforschung mittlerweile ist. Längst wird der Großteil der Forschung nicht mehr in Konzernzentralen, sondern in kleinen Startup-Unternehmen teilweise mit Börsenanbindung getätigt. Die Gentechnik wird so noch als Erfolgsprojekt vermarktet.

Bei all diesen nüchternen Beschreibungen bleiben die Autoren allerdings nicht stehen. Sie formulieren eine Gentechnikkritik auf der Höhe der aktuellen Diskurse, die ohne die alten Horrorszenarien auskommt. "Nicht der Klon-Mensch, der demnächst im Labor wachsen wird, ist das Grauen, sondern beispielsweise die leise Ausweitung des genetischen Screening. Wer heute von Gentechnologie redet, muss auch von Kontrollphantasmen, Überwachungsszenarien, Selbstregulierungsimperativ und Verwertungslogik reden, lautet eine These der Autoren. Sie klingt plausibel. Schließlich bezog auch die Anti-AKW-Bewegung ihre Stärke nicht aus der bloßen Ablehnung einer Technologie sondern aus dem Kampf gegen die gesellschaftlichen Hintergründe, die im "Atomstaat" zusammen gefasst wurden. Der von dem Zukunftsforscher Robert Jungk geprägte Begriff war in den 80er Jahren bald in aller Munde und zeugte von der Politisierung einer Bewegung. Ob einmal genau so selbstverständlich von Gentechnik-Staat geredet wird, muss sich noch zeigen. Das Buch gibt zumindest Denkanstösse in diese Richtung.

Fabian Kröger, Christoph Schulz, Alexander von Schwerin, Uta Wagenmann Angewandte Genetik. Gene zwischen Mythos und Kommerz. Berlin 2002 b_books-Verlag. ISBN: 3-933557-35-6. 9 Euro