Schusswaffengebrauch in den USA: "große Datenlücken"

Auf wie viele Amerikaner wurde in den letzten zehn Jahren geschossen?

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Dass in den USA Waffen rasch zur Hand genommen werden, der Finger schnell am Abzug ist und tatsächlich auch abdrückt, gehört zu den Geschichten, die seit langer Zeit vom bizarren Land jenseits des Atlantiks immer wieder erzählt werden, in Filmen, Romanen, Songs und Zeitungsberichten. An die große Öffentlichkeit gelangen nur die spektakulären, bezeichnenden Fälle, die Schulmassaker, die amoklaufenden Kriegveteranen und, wie zuletzt, die gnadenlosen Verteidiger ihres Eigentums, wie der Mann, der den deutschen Austauschschüler erschoss.

Eigentlich, so die Dauerverwunderung der europäischen Beobachter, müssten dem doch längst Gesetze einen Riegel vorschieben; doch sieht es so aus, dass die Waffenlobby, mit der National Rifle Assocation (NRA) als Zentrum eines weitgespannten Netzwerks, jedesmal Sieger bleibt, wenn es darum geht, neue Waffengesetze einzuführen. Auch Obama scheiterte bis dato. Der NRA gelingt es mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit bislang besser, die öffentliche Meinung auf den Standpunkt zu halten, dass Waffenbesitz zu den grundlegenden bürgerlichen Rechten eines Amerikaners gehört. Der Staat solle sich da raushalten.

Lücken in der Dokumentation der Schusswaffenopfer

Zu den unzähligen politischen Manöver, die den Blick auf die libertären Rechte fixiert halten und abhalten von der blutigen Seite, gehört auch, dass genaue Opferzahlen von Schusswaffengebrauch in den USA kaum zu ermitteln sind: Niemand könne genau sagen, auf wie viele Amerikaner in den letzten zehn Jahren geschossen wurde, man wisse nicht einmal, ob die Anzahl der Personen, auf die in einem Jahr geschossen wurde, in der Vergangenheit größer geworden ist oder abgenommen hat, berichtet ein Artikel, der dem US-Magazin Pro Publica entstammt.

Aus dem Bericht geht hervor, dass es zwar einen ungefähren Konsens darüber gebe, wonach die Zahl der Morde und Gewalttaten nach einem Höhepunkt im Jahr 1993 zurückgegangen sei, wolle man aber genaueres wissen, so habe man es mit unterschiedlichen Berichten zu tun, die sich in Teilen widersprechen.

Man müsse nicht lange suchen, um zu sehen, dass dahinter ein politischer Wille stecke, lässt der Artikel verstehen. Die Republikaner haben lange Jahre versucht, jede Bestrebung, umfassende und verlässliche Daten zu ermitteln, zu vereiteln, in dem man etwa die Finanzierung solcher Projekte verweigerte. Der Grundsatz "Folgen wir den Daten statt den politischen Meinungen" gewinne erst seit kurzer Zeit einigen Boden.

Justizministerium, FBI und CDC

Bisher stünden sich drei größer angelegte Datensammlungen gegenüber - vom Justizministerium, der Regierungsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und vom FBI. Dazu kommen Studien, die an Krankenhäusern durchgeführt werden, getragen von der Eigenintiative einiger Ärzte.

Das Justizministerium beobachtet in seiner National Crime Victimization Survey einen Rückgang von nicht tödlich getroffenen Schusswaffenopfern. Waren es 2002 ungefähr 22.000, habe sich die Zahl in den Jahren 2007 bis 2011 auf etwa jährlich 12.000 reduziert. Laut CDC lag die Zahl der "nicht-tödlichen, beabsichtigten Feuerwaffenangriffe (shootings) auf Personen im Jahr 2012 "ungefähr zwischen 27.000 und 91.000".

Das FBI operiert mit der Kategorie "aggravated assault", in etwa mit "schwere Körperverletzung" zu übersetzen, daraus geht aber nicht unbedingt hervor, ob ein Schuss abgegeben wurde. Im Jahr 2012 zählte das FBI 140.000 solcher Fälle, bei denen Schusswaffen irgendwie mit im Spiel waren.

Lassen sich hier schon Mängel in der bloßen Vergleichbarkeit der Daten erkennen, so werden die methodischen Defizite noch dadurch verstärkt, dass jede Untersuchung ihre eigenen blinden Flecken hat, wie der Bericht im Einzelnen aufführt.

Verdeckt die bessere medizinische Versorgung die Zunahme von Waffengwalt?

Dort wird die lückenhafte empirische Arbeit zum Waffengebrauch in den USA und seinen Folgen an einer Aussage demonstriert, deren Antwort von den Daten nicht eindeutig gedeckt wird - die These, wonach Fortschritte in der Medizin dafür gesorgt haben, dass durch Schüsse lebensgefährlich Verletzte in den letzten Jahren häufiger gerettet werden konnten als früher.

Zahlen über Erschossene lassen sich schon ermitteln, wird behauptet, ohne eine genaue Zahl anzugeben. Doch würde die erwähnte These, die sich zum Beispiel in einem Artikel des Wall Street Journals findet, der Behauptung widersprechen, dass eine Rückläufigkeit der Getöteten in den letzten Jahren darauf schließen lässt, dass die Gewalt mit Schusswaffen generell abgenommen habe.

Eine Studie, die auf Daten aus Krankenhäusern basiert, kam zum Ergebnis, dass die Zahl der Patienten mit Schusswunden sich zwischen 2000 und 2011 kaum verändert habe. Aber die Verletzungen seien gravierender geworden. Machten Patienten mit mehreren Schusswunden im Jahr 2001 nur zehn Prozent der Fälle aus, so waren es 2011 etwa 23 Prozent. Kopf-und Rückenmarksverletzungen haben sich demnach verdoppelt.

Allerdings sind diese Zahlen auch nur ein Ausschnitt. Ob der Trend nicht nur an einzelnen Krankenhäusern, sondern landesweit zu beobachten wäre, bzw. auffallend in bestimmten Gebieten, bleibt bis dato groben Schätzungen und Spekulationen überlassen. Angeblich dreht sich aber der politische Wind in der Sache und Initiativen, die landesweit Daten ermitteln wollen, würden mehr Rückhalt bekommen. Das ist erstmal aber auch nur ein Versprechen, keine Tatsache.