Schwarz-roter Koalitionsvertrag: So ernüchternd ist das "Beste" für Berlin

Berlin soll sauberer und sicherer werden, meinen die Koalitionäre in spe. Symbolbild: Leonhard Lenz via Wikimedia Commons

CDU und SPD haben ihre Pläne für die Hauptstadt vorgestellt. Grüne und Linkspartei lassen kein gutes Haar daran. Die SPD-Basis muss noch zustimmen.

Begeisterungsstürme sind es nicht, die der Entwurf eines Koalitionsvertrags von CDU und SPD in Berlin auslöst. Beide Parteien wollen angeblich das "das Beste" für den Stadtstaat, während Grüne, Linke und Mieterinitiativen den am Montag vorgestellten Entwurf zerpflücken. Die Basis der SPD müsste ihm erst noch zustimmen.

Berlins bisherige Sozialsenatorin Katja Kipping (Die Linke) hofft bereits, dass dies nicht der Fall sein wird und bietet schon mal neue Koalitionsverhandlungen an. "Es gilt mehr denn je: Wenn die SPD-Basis der CDU einen Korb gibt, stehen danach alle Türen offen, um die bestehenden progressiven Mehrheiten erneut an einen Tisch zu holen", sagte Kipping am Montag dem Tagesspiegel.

Die Überschrift des Vertragstextes, den die bisherige Berliner Regierungschefin Franziska Giffey (SPD) und der designierte Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Montag nach dreiwöchigen Verhandlungen vorstellten, lautet tatsächlich: "Für Berlin das Beste". Versprochen wird sogleich "Ein Aufbruch für die Stadt. Eine Koalition für Erneuerung. Ein Regierungsprogramm für alle. Sozial, innovativ, verlässlich und nachhaltig."

Nur "bis zu" 5.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr – es fehlt ein Vielfaches

Was dann zum Beispiel in Sachen Wohnungsbau versprochen wird, dürfte allerdings viele Menschen auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum ernüchternd sein. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen hatten im vergangenen Jahr 968.900 Haushalte in Berlin Anspruch auf eine staatlich subventionierte Sozialwohnung.

Tatsächlich verfügbar waren mit Stand Dezember 2021 jedoch nur 88.901 preisgebundene Wohnungen – demnach waren also nicht einmal zehn Prozent des Bedarfs gedeckt. Hinzu kommt, dass bis 2026 rund 20.000 weitere Wohnungen aus der Preisbindung fallen. Von den theoretisch berechtigten einkommensschwachen Haushalten hatten allerdings nur 49.800 tatsächlich einen Wohnberechtigungsschein (WBS) erhalten.

Der Berliner Mieterverein ging damals von zu hohen bürokratischen Hürden bei der Antragstellung aus. Insofern lässt sich das Problem auf den ersten Blick kleinrechnen – und so mag es für die designierten Koalitionspartner "sozial" und "verlässlich" klingen, dass sie lediglich "bis zu" 5.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr in Aussicht stellen:

Wir bekennen uns grundsätzlich zum Neubauziel von durchschnittlich bis zu 20.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon bis zu 5.000 Sozialwohnungen


Aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags vom CDU und SPD

Das Versprechen, bis 2030 Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Berlin zu beenden, mutet vor diesem Hintergrund mindestens seltsam an – in den letzten Jahren hat die Zahl der Zelte an den Spreeufern jedenfalls zu- und nicht abgenommen.

Der Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" wird allerdings auf den ersten Blick nicht sofort eine knallharte Absage erteilt. Was im Vertragstext steht, ist allerdings nach Einschätzung von Mieterinitiativen aber nur eine freundliche Umschreibung für "Wir lassen das natürlich im Sand verlaufen oder finden einen Grund, es nicht zu tun":

Unter der Voraussetzung, dass die vom Senat eingesetzte Expertenkommission zur Umsetzung des Volksentscheids "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" eine verfassungskonforme Vergesellschaftungsempfehlung abgibt, verabschiedet die Koalition ein Vergesellschaftungsrahmengesetz, das einen Rechtsrahmen und objektive qualitative Indikatoren bzw. Kriterien für eine Vergesellschaftung nach Art. 15 GG in den Geschäftsfeldern der Daseinsvorsorge (z. B. Wasser, Energie, Wohnen) sowie Grundsätze der jeweils erforderlichen angemessenen Entschädigung definiert.

Hierbei wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Das Gesetz tritt zwei Jahre nach seiner Verkündung in Kraft.


Aus dem Entwurf des Koalitionsvertrags vom CDU und SPD

Der geplante Koalitionsvertrag sei "eine Luftnummer, die Immobilienkonzerne belohnen, das Wohnen in Berlin noch teurer machen und die Umsetzung des Volksentscheids verkomplizieren soll", erklärte dazu am Montag die Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen". "Dass und wie Vergesellschaftung möglich ist, steht bereits in Artikel 15 des Grundgesetzes. Statt Vonovia und Co. zu enteignen, wollen CDU und SPD ihnen aber Wohnungen abkaufen."

"Beschleunigung der Antriebswende"

In der Verkehrspolitik versprechen die Koalitionäre in spe zwar den Ausbau des ÖPNV mit engeren Takten und neuen Schienenstrecken, wollen aber laut Wegner auch "auch dafür sorgen, dass Menschen mit dem Auto auch noch in dieser Stadt ihren Platz haben".

Wer in der Berliner Innenstadt regelmäßig Kreuzungen zu Fuß überqueren muss, kann sich durch solche Aussagen leicht verhöhnt fühlen – denn die Ampelschaltungen sind bereits so autofreundlich, dass ein Überqueren "auf einen Rutsch" fast unmöglich ist. Die gefühlte Botschaft an das Fußvolk ist: Was willst Du überhaupt hier? Mach Platz für wichtigere Leute auf vier Rädern!

Letzteres hat mit der Kfz-Antriebsart wenig zu tun – abgesehen von der Luftqualität, der die Wartenden ausgesetzt sind. Hinzu kommt, dass sich durch parkende Autos aller Art die Stadtluft im Hochsommer zusätzlich aufheizt. Statt einer konsequenten Verkehrswende wollen die Koalitionäre aber vor allem eine "Beschleunigung der Antriebswende" und die "Schaffung der Voraussetzungen für eine erhöhte Akzeptanz und Alltagstauglichkeit der Elektromobilität".

Unter anderem dies unterscheidet die CDU immer noch von der AfD: Erstere würde niemals offiziell den menschengemachten Klimawandel leugnen oder verharmlosen. Im Gegenteil wird im Vertragsentwurf betont, es gehe darum "den Klimawandel als ernsthafte Bedrohung ernst zu nehmen und in allen Politikbereichen massive Anstrengungen zu unternehmen, um Berlin frühestmöglich in ein klimaneutrales Zeitalter zu führen". Den Zusatz "aber bitte nicht auf Kosten der Autoindustrie" kann sich jeder und jede selbst dazu denken.

So könnte ein Großteil des versprochenen Sondervermögens für "Klimaschutz, Resilienz und Transformation" in die Ladeinfrastruktur für Elektroautos fließen – was natürlich auch einen Klassencharakter hat, denn für Menschen, die schon jetzt von der Inflation gebeutelt sind, ist die Alternative zum alten Diesel nun mal eher der ÖPNV als ein neues E-Auto.

Das versprochene Volumen dieses Sondervermögens beträgt zunächst fünf Milliarden Euro. Darüber erklären sich die Koalitionspartner bereit, "Ende 2024 nach einer Vollzugsevaluation weitere bis zu fünf Milliarden Euro diesem Sondervermögen zuzuführen".

Aber es klingt erst mal gut. Die Deutsche Presse-Agentur meinte am Montag jedenfalls: "Beim Klimaschutz scheinen CDU und SPD die Grünen quasi überholen zu wollen." Die Grünen selbst sind da natürlich ganz anderer Meinung: "Schwarz-Rot ist eine Rückschrittskoalition ohne Antworten auf die Sorgen der jüngeren Generation", überschrieben sie am Montag eine Pressemitteilung.

Der Grünen-Landeschef Philmon Ghirmai nannte den Vertragstext eine "milliardenschwere Wundertüte". Es gebe darin keine Antworten darauf, "wie sich das Leben der Berliner:innen konkret und spürbar verbessert."

"Messervebotszonen" und neue Ausrüstung für die Polizei

Falls es in Berlin zu sozialen Unruhen kommen sollte – was natürlich so nicht formuliert wird –, gibt es aber immerhin den Plan, die Ausstattung der Polizei zu verbessern. Gesprochen wird hier von einem Dreiklang "Prävention – Intervention – Repression".

Unter anderem soll es "Messerverbotszonen an kriminalitätsbelasteten Orten" geben. Das dürfte im Ernstfall kaum Wahnsinnstaten wie die vom Juni 2021 in der sonst beschaulichen Würzburger Altstadt verhindern, dient aber sicherlich manchen als Beruhigungspille. Manche Berliner mit Migrationshintergrund befürchten schikanöse Kontrollen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft.

"Die Law-and-Order-Sheriffs sind zurück in der Stadt", kommentierte am Montag der Linken-Politiker Ferat Kocak. Ein Verbot von "Racial Profiling" hätten auch die Grünen sinnvoll gefunden.