Schweiz: Musikindustrie contra Webradio

Schweizer Hobby-Webcaster spielen nur noch Bands ohne Plattenvertrag

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GEZ, GVL und GEMA wollen Geld von Radiohörern und Radiomachern? Ärgerlich und für manchen teuer, aber: Es kann noch um einiges schlimmer kommen. In der Schweiz kassiert die Plattenindustrie selbst ab - und das extrem!

Die Plattenfirmen machen in Deutschland nur mit CD-Kopierschutzverfahren negativ von sich reden, die zwar so heißen, in Wirklichkeit aber nicht etwa das Kopieren, sondern ziemlich oft das Abspielen der CD-ähnlichen Scheiben in zu alten, zu neuen, als tragbares Gerät mit Speicher gegen Erschütterungen ausgerüsteten, im Auto eingebauten oder auch professionellen CD- und DVD-Spielern verhindert. Dabei testet man anscheinend, ob der Sammlertrieb der Musikfans ausreicht, um sich die teuren Silberlinge auch dann noch ins Regal zu stellen, wenn ihr eigentlicher Zweck - das Anhören - flach fällt.

Selbst Radio-Diskjockeys resignieren mittlerweile, schmeißen die vom Plattenpromoter gelieferten Scheiben nach dessen Hinausgeleiten in den Müll und ziehen sich die Hits stattdessen bei Kazaa, weil sonst das computergestützte Sende-System abstürzt und auch die Profi-CD-Player im Studio den Dienst verweigern. Manchem Künstler geht dies noch nicht weit genug - sie würden sogar gerne ein zerstörtes Betriebssystem auf den PCs der Fans und natürlich auch Radiosender sehen - irgendwann heißt es dann: "Die letzten drei Tage Sendeausfall präsentierte Ihnen Joachim Witt."

CDs: Nur noch ins Regal stellen?

Der deutsche Kunde ist lernfähig, gibt schließlich den CD-Kauf auf und schneidet wieder wie in alten Zeiten im Radio mit oder bedient sich ebenfalls bei Kazaa & Co., solange diese Alternative noch besteht. In England und den USA hat die Musikindustrie die Kopierschutz-CDs dagegen längst wieder zurückgefahren, um überhaupt noch irgendetwas zu verkaufen.

Bleiben diese lästigen Radiosender, die unverbesserlich neue Platten spielen und die Verkäufe so immer noch ankurbeln. Gegen die großen Sender kann die Musikindustrie nichts unternehmen, die würden sich das nicht gefallen lassen. Aber die kleinen Hobbywebcaster, gegen die hat man sich inzwischen etwas überlegt, testet es diesmal jedoch nicht in Deutschland wie beim Kopierschutz, sondern in der Schweiz.

Auch für das kleinste Webradio fallen in Deutschland GEMA-Gebühren von mindestens 25 Euro monatlich an (Vorsicht, Feind hört mit!). Die entsprechende Organisation, die die Rechte der Komponisten und Songschreiber in der Schweiz vertritt, heißt SUISA, ein Kürzel von "Suisse Auteurs". Diese verlangt 10% der Einnahmen eines Senders entsprechend des Musikanteils des Programms - bei 50% Musik also 5% der Einnahmen. Auch Bands, die ihre eigenen Stücke im Netz zum Download bereitstellen, müssen hier übrigens zahlen, wenn sie nicht eigene Kompositionen sondern Coverversionen spielen. Webradio steht die SUISA jedoch prinzipiell freundlich gegenüber, einen speziellen Tarif gibt es bislang nicht und bei Hobbywebcastern ja auch keine Einnahmen, zumal sich Internet-Ausstrahlungen schon von der Tonqualität her nicht so zum Mitschneiden und Anlegen eines Plattenarchivs eignen wie normale Rundfunksendungen. Außerdem wollen ja noch andere bei den Webradios abkassieren (Porno- oder Webradiopatent?).

Das Internet, die musikalische Achse des Bösen

Die Plattenindustrie denkt dagegen bei Musik und Internet oft nur an MP3 und Napster und glaubt, ihr geht hier irgendetwas verloren. Die RIAA (Recording Industry Association of America) will deshalb in den USA von jedem Sender, der auch ins Internet streamt, 0,07 Cent pro Hörer und gespieltem Titel. Wer Werbung aussendet, muss in den USA noch mal extra zahlen, weshalb die Stationen, die den Webstream nur als Zusatzservice anbieten, nun mühsam die ohnehin uninteressante lokale Werbung aus den Websendungen ausblenden. Die Hobbystationen, die ohne richtige Sendelizenz nur im Internet zu hören sind, sind der RIAA besonders ein Dorn im Auge: sie müssen mit 0,14 Cent pro Hörer und gespieltem Titel die doppelte Summe zahlen! Und dies rückwirkend bis 1998.

Normale Radiostationen bekommen die CDs oft als Bemusterung von den Plattenfirmen gratis, Hobby-Webcaster müssen ihre Platten dagegen selbst kaufen und zusätzlich besonders hohe Abgaben zahlen. Dabei wird ernsthaft argumentiert, der Webcast ließe sich ja verlustfrei mitschneiden. Die US-Plattenfirmen glauben also ernsthaft, jemand würde beispielsweise einen 24 Kbits/s-Monowebstream mitschneiden. Der Unterschied zwischen MP3-Dateien in fast HiFi und dem gerade auf Mittelwellenniveau dahinquäkenden Webstream ist den US-Plattenbossen offensichtlich unbekannt und sie sind der Ansicht, die Hörer würden den krächzenden und stotternden Webstream - nur weil "digital" - einer ja ebenfalls immer noch möglichen Aufnahme aus dem normalen UKW-Radio vorziehen. Zwar wurde versucht, das Gesetz zu kippen oder zumindest für kleine Webstationen Erleichterungen einzubringen, doch gelang dies bisher nicht.

Plattenvertrag? Nein, danke!

Noch extremer schlägt die Plattenindustrie nun aber in der Schweiz zu: Die IFPI (International federation of producers of phonograms and videograms) will von jedem Schweizer Internet-Radio, egal wie groß, pauschal 5000 Franken (ca. 3400 Euro) "Kopiergebühren" für das Aufspielen auf den Server im Jahr zuzüglich weiterer 4 % der Einnahmen oder Betriebskosten! (Brief von der IFPI , 2. Seite ) Auch bei Sendern, die nur 10 Hörer über den Tag verteilt haben. Klar, die interaktiven Jugendradios sind der Musikindustrie anscheinend ein Dorn im Auge, weil sie auch mal neue Musik von unbekannten Künstlern spielten. Es besteht ja die Gefahr, dass diese dann später versehentlich von den Hörern gekauft würde statt der erwünschten und etablierten Fertigprodukte à la Britney Spears. Technisch werden aber Live-Streams gar nicht als Datei auf den Server kopiert und können auch nicht als Datei heruntergeladen werden.

Die Folge: Bereits über Jahre etablierte Stationen wie Radio Swiss IRC oder Radio Wave sind offline gegangen. Noch dazu ist absurde Bedingung der Schweizer IFPI, dass der Webcast im Ausland nicht zu empfangen sein dürfe - wohl wissend, dass dies im Internet technisch nicht realisierbar ist.

Einzig Bimuradio hat inzwischen einen Ausweg gefunden: Man spielt nur noch Musik von Bands ohne Plattenvertrag oder mit einem Vertrag bei Independent-Labels. Da kommt die IFPI nicht ran. Und es besteht nun auch keine Gefahr mehr, dass ihre Plattenumsätze versehentlich durch ein Webradio angekurbelt werden. Der Vorteil für noch unbekannte Bands: Nun hat plötzlich bessere Chancen, im Radio gespielt zu werden, wer noch keinen Plattenvertrag hat - die letzten 80 Jahre war es genau andersrum...

Deutschland: Online-Musiklieferung bei Nacht

Die deutsche IFPI ist dagegen wesentlich fortschrittlicher und beklagt sich berechtigterweise über die Verflachung des Radioprogramms: Während früher die Musikredakteure gerade nach seltenen Scheiben suchten, also nicht nur das spielten, was der Plattenpromoter ausdrücklich empfahl und so die Hitparade selbst bestimmten, wird heute nur noch gespielt, was bereits in der Hitparade ist.

Um dem Problem mit den auf Profi- und Computersystemen nicht mehr abspielbaren CDs beizukommen, haben die deutschen Plattenfirmen mit Musik-Promotion.Net ein System aufgebaut, in dem sich Musikjournalisten und Radioleute über die neuen Scheiben online informieren und sich bereits zur Sendung freigegebene Tracks auch vor der CD-Veröffentlichung über Nacht in einem verlustfrei komprimierten WAV-Format auf ihren Server schießen lassen können. Damit ist das CD-Computerproblem beseitigt, allerdings ist eine etwas aufwendigere IT-Struktur mit festen IP-Adressen erforderlich, da eine Musik-Datei immerhin typisch 25 MB hat und per VPN sichergestellt werden soll, dass kein Lauscher an der Leitung die neuesten Hits schon vor der Veröffentlichung abgreift und MP3s daraus macht. Für kleine Independent-Sender ist diese Lösung allerdings nicht geeignet.

Auch in Deutschland kassiert die Plattenindustrie natürlich für sich selbst und die vortragenden Künstler beim Webradio - die GEMA ist ja nur für Komponisten und Texter zuständig! Allerdings hier nicht über die IFPI selbst, sondern über die dem Normalbürger kaum bekannte GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten). Die Kosten? Ähnlich wie bei der GEMA und SUISA: Mindestens 25 Euro im Monat für bis zu 25 Hörer, darüber entsprechend mehr, wenn 24 Stunden mit 100% Musikanteil gesendet wird, sonst prozentual weniger. Ein "Wunschkonzert" kann allerdings ins Auge gehen - die Titel dürfen nicht direkt auswählbar und die Musik nicht downloadbar sein. Insgesamt sind also für ein Webradio mindestens 50 Euro im Monat notwendig - zuzüglich Kosten für Tonträger, Internet und Hardware sowie der Gefahr von Abmahnungen.

Die in den letzten Monaten wieder zunehmend gefragte Alternative: Piratensender bauen und nicht erwischen lassen - dann kassiert die RegTP nämlich einige tausend Euro für den Peilwageneinsatz...