Schwieriger Boden

Irak: Entwurf zu einem neuen Ölgesetz

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Vielleicht ist das einer der oft vergebens herauf beschwörten Meilensteine, vielleicht auch nur eine Wegmarke und vielleicht auch nur ein Stück Papier, das gegen das irakische Chaos keine Chance hat: In der kommenden Woche soll im Kabinett über den Entwurf zum neuen Ölgesetz im Irak abgestimmt werden. Entscheidender Punkt der Gesetzesvorlage: Die Zentralregierung in Bagdad erhält Kernbefugnisse, was die Ausbeutung der Ölvorkommen anbelangt - und die Öleinnahmen, die sie nach einem Schlüssel an alle Regionen verteilt. Die Hoffnung: viel Geld - ausländische Investitionen und Beteiligungen - und endlich Fortschritte beim großen politischen Projekt namens „nationale Versöhnung“.

Es war ähnlich wie bei der Ausarbeitung der Verfassung (vgl. Meilenstein Potemkin) ein langwieriger Weg bis zur Ausarbeitung des Ölgesetz-Entwurfs, der monatelange Verhandlungen mit den Vertretern der drei großen Gruppen, Schiiten, Kurden und Sunniten benötigte. Und ähnlich wie bei der Verfassung sind ungeklärte Fragen noch offen, drängen einige Gruppenvertreter noch auf wichtige Zusätze.

Und, einmal vorausgesetzt der Entwurf passiert nächste Woche nicht nur das Kabinett, sondern später auch das Parlament, ist es noch ein langer Weg, bis sich ausländische Investoren sicher genug fühlen, Milliardensummen ins Hochrisikoland Irak zu stecken. Diese großen Summen wären nach Meinung von Experten nämlich nötig, um die maroden Ölförderanlagen und entsprechende Infrastruktur wieder auf Vordermann zu bringen. Und wer kann garantieren, dass im Irak „ein heute geschlossener Vertrag auch morgen noch Bestand hat“?, wie die Neue Zürcher Zeitung fragt.

Soweit die finsteren Wolken und der schwierige Boden, welche die Hoffnung auf das Gedeihen des mühsam gepflanzten, fragilen Keimlings bedrohen. Der Gesetzesentwurf selbst ist, was die Konzeption betrifft, bemerkenswert, da er versucht, verschiedene, widersprüchliche Interessen geschickt gegenseitig auszutarieren. Er präsentiert in der Theorie ein föderalistisches Modell mit starker Zentralmacht, das versucht, den neuen innerirakischen Realitäten möglichst gerecht zu werden: den Sunniten mit ihrer Angst, bei der Verteilung der Öleinnahmen leer auszugehen, den kurdisch dominierten Provinzen und den mehrheitlich schiitischen Provinzen mit ihren Ambitionen, selbst Verträge mit ausländischen Ölunternehmen zu initiieren und abzuschließen. Und über allem soll die Zentralregierung wachen.

An sie sollen die gesamten Öleinnahmen gehen, die sie dann nach einer Regionalquote an alle Provinzen verteilt, und sie soll die Verträge mit den Ölfirmen begutachten und bestätigen. Dass der Deal für den neuen Gesetzesentwurf aber nicht abgeschlossen ist, worauf ein kurdischer Vertreter laut New York Times eindrücklich hinwies, liegt an Details, die eine große Rolle spielen. Der Zensus, welcher der Verteilung der Öleinnahmen zugrundeliegen soll, ist, wenig überraschend, noch umstritten. Die Kurden sollen bereits eine Erhöhung ihres Anteils von 13 auf 17 Prozent durchgesetzt haben und die Sunniten in der Anbar Provinz sollen sich schon jetzt darüber beklagen, dass sie ausgehungert werden.

Während die Sunniten dafür sind, dass der „Federal Oil and Gas Council“, der künftige Ausschuss der Zentralregierung, die Öl-Verträge nicht nur begutachtet und Ratschläge dazu erteilt, sondern die völlige Zustimmungskompetenz erhält, gibt es hier große Einwände von kurdischer Seite, wo bereits Verträge mit ausländischen Ölunternehmen abgeschlossen wurden. Das Wort „Zustimmung“ hat dort für Mißstimmung gesorgt. Immerhin soll man sich aber über eine Veto-Macht des Ausschusses geeinigt haben. Eingeschränkt wird die Macht des Ausschusses auch dadurch, dass er die Kriterien zur Beurteilung von Verträgen nicht eigenständig entwickeln darf, sondern sich an einen ausgearbeiteten Katalog halten muss. Für genügend Schlüpflöcher, was die Interessen der ölreichen Provinzen im schiitischen Süden und im kurdisch dominierten Norden angeht, ist somit auch hier gesorgt, gut möglich, dass die Sunniten bei der Erstellung dieses Katalogs nicht viel zu bestellen haben.

Bemerkenswert für die internationalen Ölfirmen, die wie die New York Times den Ölminister Shahristani zitiert, ihre Fühler ausstrecken und „sehr sehr interessiert sind“, ist darüberhinaus, dass das neue Ölgesetz der Privatisierung (vgl. Radikaler Umbau) den Weg ebnen soll:

Der Gesetzesentwurf würde Teile der vom irakischen Staat kontrollierten Ölindustrie radikal neu strukturieren, indem man den staatlichen Firmen, welche die Ölexporte kontrollieren, die Pipelines unterhalten und die Ölplattformen im persischen Golf betreiben, große Unabhängigkeit – möglicherweise bis hin zu einer Privatisierung – verleiht.

Doch muss man nicht nur auf die Guerillas verweisen, denen es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen ist, die irakische Ölindustrie zu sabotieren und auf den weitverbreiteten Schmuggel mit Öl, um auf die Realität, die den Gesetzesentwurf umgibt, aufmerksam zu machen. In letzter Zeit verdichten sich darüberhinaus auch Indizen, die dafür sprechen, dass das US-Militär die al-Mahdi-Miliz von Mukktada as-Sadr stärker ins Visier nimmt und eine erneute Auseinandersetzung sucht: Die Sadristen verfügen über große Macht und Präsenz im Süden, wo die großen Ölfelder liegen.