Schwierigkeiten mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung

Die Zeitschrift Science publiziert einen Artikel über die Sequenzierung des Reisgenoms durch den Konzern Syngenta, die Daten aber sind wieder einmal vorerst nicht uneingeschränkt zugänglich

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Die Wissenschaft und die wissenschaftlichen Veröffentlichungen verändern sich unter dem wachsenden Druck der Kontrolle und der Privatisierung von Erkenntnissen als geistiges Eigentum. Vorreiter dieser Entwicklung sind nicht nur Biotech-Unternehmen, sondern auch wissenschaftliche Zeitschriften, die ihre Claims abstecken und ihre Konkurrenten übertrumpfen wollen. Erst vor kurzem ist eine umstrittene Veröffentlichung in Science kritisch kommentiert worden (Kernfusion mit Bläschen), jetzt veröffentlicht die renommierte Zeitschrift schon zum zweiten Mal einen Artikel über die Sequenzierung eines Genoms, ohne die Daten den Wissenschaftlern zur freien Einsicht und Überprüfung zu geben, wie dies bislang der Brauch war.

In der nächsten Ausgabe von Science wird ein Artikel über die Sequenzierung des Reisgenoms veröffentlicht werden. Doch wie schon bei den Sequenzierungsdaten des menschlichen Genoms durch Celera (Zugang zu den Genomdaten: fast frei) werden auch dieses Mal die Daten nicht auf einer internationalen öffentlichen Datenbank wie der GenBank für alle Wissenschaftler zugänglich gemacht. Die Sequenzierungsdaten werden hingegen auf der Website des weltweit führenden Herstellers von agrochemischen Produkten veröffentlicht und nur unter bestimmten Bedingungen zugänglich sein. Syngenta wurde im Jahr 2000 durch die Verbindung der beiden Unternehmen AstraZeneca und Novartis gegründet und ist auch einer der größten Saatguthersteller.

Konkurrent Monsanto hat seine Sequenzierungsdaten des Reisgenoms uneingeschränkt zugänglich gemacht

Syngenta hatte bereits zu Beginn des letztes Jahres berichtet, das Reisgenom sequenziert zu haben. Beteiligt waren daran das Syngenta-Forschungszentrum "Torrey Mesa Research Institute" (TMRI), das Unternehmen Myriad Genetics. und Wissenschaftler der Clemson Universität. Damit hatte der Konzern nicht nur den Konkurrenten Monsanto eingeholt, der bereits im April 2000 eine Arbeitsversion fertig gestellt hatte, sondern auch das International Rice Sequencing Project(IRGSP) überholt. Dadurch wiederholt sich beim Reis, was auch bei der Sequenzierung des menschlichen Genoms der Fall war. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und um der allgemeinen Kritik an der Gentechnik etwas entgegen zu setzen, hatte Monsanto hingegen im August 2000 die Daten dem IRGSP zur Verfügung gestellt und auf einer Website allgemein und kostenlos zugänglich gemacht.

Jetzt will man beim IRGSP bis Ende 2002, sechs Jahre vor dem ursprünglich angesetzten Termin, die Sequenzierung des Reisgenoms realisieren. Der Konzern Monsanto, der heftig kritisiert wurde, pflegt mit der Aktion sein Image. Man gewähre den Zugriff auf die Daten für die internationale Forschergemeinschaft, weil man um die Bedeutung des Reis als globales Nahrungsmittel und als Modellorganismus für die Pflanzenforschung wisse. Besonderen Wert legt man darauf, mit der aus der Analyse der Sequenzierungsdaten möglichen Herstellung neuer Reisarten den Menschen in der Dritten Welt und der Umwelt zu helfen.

Wissenschaft und Handelsgeheimnisse

Wahrscheinlich wird sich auch Syngenta einem solchen Schritt nicht verschließen können und seine Datenbank doch noch öffnen. Vorerst aber fürchtet man wahrscheinlich, dass die andere Wissenschaftler oder kommerzielle Konkurrenten die Sequenzierungsdaten nutzen könnten, um beispielsweise Patente auf Gene zu erwerben. Durch eine Beschränkung des Zugriffs wird allerdings nicht nur die Entwendung des geistigen Eigentums erschwert, sondern auch die Forschung verhindert.

Das Hauptproblem liegt allerdings, was die Veröffentlichungsstrategie anbelangt, weniger bei dem Unternehmen als bei der Zeitschrift Science. Natürlich können Unternehmen, die wissenschaftliche Arbeiten in Auftrag geben, die daraus gewonnenen Erkenntnisse zurück halten, um sie nicht auch für die Konkurrenz einsehbar zu machen. Doch offenbar wollen entweder die Wissenschaftler, die für den Konzern das Reisgenom sequenziert haben, auch die Anerkennung durch eine Veröffentlichung in einer der renommiertesten Wissenschaftszeitschriften, oder die Redaktion von Science will sich einen Marktvorteil verschaffen, indem es trotz der bislang unüblichen Bedingungen den Artikel veröffentlicht. Man hatte dies ja auch bereits beim menschlichen Genom ohne großen Ansehensverlust gemacht, daher könnte dieselbe Praxis bei der wichtigsten Pflanze für die menschliche Ernährung auch eher nutzen als schaden. Überdies helfen in der Aufmerksamkeitsökonomie auch Skandale und Kritik, den eigenen Namen bekannter zu machen, was auch das Geschäft fördert.

Unmittelbarer Konkurrent von Science ist Nature. Das betraf auch bereits die spektakuläre Veröffentlichung der Sequenzierungsdaten des menschlichen Genoms. Hier hatten das Unternehmen Celera und das mit öffentlichen Geldern finanzierte internationale Konsortium des Humangenomprojekts bekanntlich ein Wettrennen veranstaltet, bei dem es nicht nur darum ging, wer als erster das Genom sequenziert, sondern auch welches Verfahren das bessere ist und ob die Daten für alle öffentlich zugänglich sein sollen. Nature hatte sich auf die Seite des Humangenomprojekts geschlagen und seitdem die Linie weiter verfolgt, dass die Sequenzierungsdaten eines Genoms vollständig auf einem öffentlich zugänglichen Server wie der GenBank liegen müssen, falls die Zeitschrift einen diesbezüglichen Artikel veröffentlicht.

Science verteidigt die Entscheidung

Nachdem sich die Entscheidung von Science herumgesprochen hatte, schrieben prominente Genforscher einen Brief an Science, um dagegen zu protestieren, da die Absprache verhindere, dass Wissenschaftler mit den Daten wirklich arbeiten können. Syngenta erlaubt Wissenschaftlern nur, täglich 100.000 Basenpaare einzusehen. Falls sie Zugang zu mehr haben wollen, müssen sie erst einen Brief schreiben und um Genehmigung anfragen. Das Reisgenom besteht aus über 400 Millionen Basenpaaren.

Donald Kennedy, der Chefredakteur von Science, sieht in seiner Entscheidung natürlich kein Problem. Die Frage sei, ob es für den allgemeinen Nutzen besser sei, wenn die wertvollen Daten als Handelsgeheimnis geschützt werden oder auf einer privaten Website zugänglich sind. Er würde zwar vorziehen, wenn die Daten auf der GenBank verfügbar gemacht würden, und versicherte auch, dass vorerst keine weiteren Daten eingeschränkt zugänglich gemacht sein werden. Kennedy warnte aber gleich, dass sich die Verhältnisse ändern können. Bei Syngenta habe man deswegen eine Ausnahme gemacht, weil der Konzern versprochen habe, alle Daten später über die GenBank zugänglich zu machen. Ansonsten preist er seine Veröffentlichungsstrategie ungehemmt an: "Ich glaube, das ist eines der wichtigsten Dinge, die wir in Science gemacht haben. Das wird nicht nur Bedeutung für die Biologie, sondern auch für die armen Menschen in der ganzen Welt haben."

Wahrscheinlich also wird Syngenta die Daten erst mit einer Verzögerung unbeschränkt zugänglich machen. Man überlege sich noch, so Chris Novak, ein Sprecher von Syngenta, wie man "Informationen mit der Öffentlichkeit teilen" wird. Da Reis Grundnahrungsmittel für fast die Hälfte der Menschen darstellt, wird diese Entscheidung aufmerksam verfolgt werden. Während der Artikel der Syngenta-Wissenschaftler den genetischen Code der Reissorte Japonica behandelt, veröffentlichen in derselben Ausgabe von Science chinesische und amerikanische Wissenschaftler einen Artikel über das Genom der Indica-Reissorte. Die Daten werden über die GenBank unbeschränkt zugänglich gemacht. Da es überdies noch weitere Sequenzierungsprojekte gibt, ist die Frage, ob die Syngenta-Daten tatsächlich gebraucht werden.