"Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"

Katholische Gläubige auf dem Weg zur Messe von Papst Franziskus in Quito (Ecuador). Bild: Agencia de Noticias ANDES / CC-BY-SA-2.0

Zur Kritik der bürgerlichen Wohlfühl-Kirchenreform im Licht weltkirchlicher Widersprüche. Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 3 und Schluss)

Der Bischof von Rom repräsentiert in religiöser Hinsicht derzeit mehr als 1,3 Milliarden Menschen, einen nennenswerten Teil der Weltbevölkerung also. Papst Franziskus weiß, dass uns der Globus im Atomzeitalter um die Ohren fliegt, wenn nicht einmal die so eng verwandten drei "Abrahams-Religionen" - einschließlich ihrer Denominationen - sich an einen gemeinsamen Familientisch hinsetzen können. Auch deshalb ist er - ungeachtet der Lamentos mancher Lokalkirchenredakteure in reichen Ländern - vom 5. - 8. März 2021 in den Irak gereist.

Im Blickfang des von den deutschen Bischöfen finanzierten Internetportals katholisch.de fand dieses wahrlich historische Ereignis zunächst nur untergeordnete Aufmerksamkeit. Dort prangte als Leitartikel mit Hauptbild am Samstag (6. März) ein Beitrag "Warum der Vatikan seine Butter in Österreich kauft", sodann nachmittags der Text über eine "dank innovativer Lasertechnik" mögliche "Schönheitskur für Engel". Bei einigen erneuten Aufrufen am Sonntagnachmittag (7. März) leitete mich der redaktionelle Wochenenddienst des Mediums an erster Stelle hin zu etwas Kulinarischem: "Trierer Bischofswein".

Man sieht, dass thematische Schwerpunktsetzungen und Informationsbedürfnisse im katholischen Spektrum höchst unterschiedlich ausfallen können. Die einen interessieren sich für Butter, Marmor-Engel und Bischofswein, andere wiederum für das historische Weltgeschehen. Die einen üben sich in exquisiten Nahrungsmitteleinkäufen und Gelassenheit, die anderen sind beunruhigt und wollen sich partout nicht abfinden mit der Welt, wie sie ist.

Kirche im zivilisatorischen Ernstfall

Es ist zu spät auf dem Planeten Erde für kleinschrittige ökologische Transformationen und ein Zuwarten auf jenen Sankt-Nimmerleinstag, an dem die demokratisch schon längst nicht mehr kontrollierbaren Konzernkomplexe - in einer Quadratur des Kreises - ihren einzigen Daseinszweck "Profitmaximierung" (Beispiel: Impfstoffpatente) freiwillig austauschen durch eine neue Vorgabe: "Wirtschaften allein zum Wohl der gesamten menschlichen Gattung und im Bewusstsein von begrenzten planetarischen Ressourcen".

Es ist zu spät in dieser Welt für eine weithin nur noch aus "ungedeckten Schecks" und "virtuellen" Wettbüros bestehende Geldapparatur mit Fetischcharakter, zu spät für Heimatträume im Format von Marketing-Regionen, vor allem auch zu spät für die Heilsreligion des Militärischen und die Unterhaltung von Todesindustrien, deren profitable Massenproduktion die Herrschaft über Räume absichert und eine möglichst effiziente Vernichtung von möglichst vielen Mitgliedern unserer Spezies ermöglicht …

Gerade auch von den Religionen sollten wir erwarten dürfen, dass sie den Blick auf das Ganze öffnen, uns befreien zu einer ungeschönten Analyse zukünftiger Barbarei und im Transzendieren der Sterblichkeit unseres eigenen kurzen Erdendaseins die nach uns Kommenden via "Zeitkonferenz" an den Weichenstellungen der Gegenwart beteiligen. Unter solchen Vorzeichen würden Kirchen und Religionen helfen, "dem Rad in die Speichen zu fallen" (D. Bonhoeffer), und sich auf dem gesamten Globus einbringen in die Kooperationen für eine andere ökonomische, politische wie kulturelle Hegemonie, in der das Lebensdienliche - nicht das Todbringende - zur maßgeblichen Richtung wird.

Dies ist unzweifelhaft die "Agenda" des gegenwärtigen Bischofs von Rom, der auch präzise benennt, dass die ökonomisch "Nutzlosen" am Ende wie Müll entsorgt werden. Das Lager derjenigen, die dieser Agenda gleichgültig oder feindlich gegenüberstehen, bildet mitnichten ein einheitliches Gefüge. Vielmehr sabotieren konträre Strömungen, die sich untereinander wie Feuer und Wasser verhalten, gleichermaßen den Weg einer neuen Weltkirchlichkeit im zivilisatorischen Ernstfall.

Widersprüche und Lager in der Weltkirche

Umso fahrlässiger ist es, wenn neuerdings aus Bequemlichkeit, Verzweiflung oder Geschichtsvergessenheit immer öfter schwadroniert wird, innerhalb der römisch-katholischen Gemeinschaft seien Gegensatzpaare wie "aufgeklärt - fundamentalistisch", "konservativ - fortschrittlich", "liberal - autoritär" oder "rechts - links" letztlich gegenstandslos.

Dass es nur mit Mühe gelingt, Vielfalt und Widersprüchlichkeit eines Verbundes von deutlich mehr als einer Milliarden Menschen zumindest in einem vagen Überblick zur Anschauung zu bringen, versteht sich von selbst.

Die leichtsinnigen Einheitsvoten sind allerdings schon erledigt, wenn ein fremdenfeindlicher und homophober Nationalkatholizismus in Polen sich unfähig zeigt zur Umkehr, italienische Politiker die "Muttergottes" zur Abwehr von Migranten anrufen oder demnächst womöglich die von traditionalistischen Katholiken unterstützte Rechte in Frankreich auf der Regierungsbank sitzt.

Den autoritären Schatten eines 1869/70 neu konstruierten römischen Kirchengebildes, welches auf dem letzten Konzil 1962-1965 nur auf halbherzige Weise wieder evangelisiert worden ist, kann niemand leugnen. Zu den unseligen Früchten gehören u.a. Kooperationen mit italienischen und deutschen Faschisten sowie alle klerikal-faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts.

Die deutschen Rechtskatholiken, die an der Zerstörung der Weimarer Republik beteiligt waren, kann man schlechterdings nicht in einen Topf werfen mit den katholischen Pazifisten, Sozialisten und Zentrumsdemokraten der 1920er Jahre. Die vom Staat besoldeten deutschen Bischöfe, die ab 1939 dem Rasse- und Vernichtungskrieg Predigtbeihilfe gewährten, standen mitnichten für die Kirche jener Laien und Leutepriester, die durch Konzentrationslagertorturen ermordet wurden.

Widerspruchsfrei kann man auch nicht behaupten, die an der Seite der Militärdiktaturen stehenden Kirchenkomplexe der Reichen in Lateinamerika und ihre Sympathisanten im Kardinalskollegium seien mit gleichem Recht als "katholisch" zu bezeichnen wie die Märtyrerkirche der Armen des Kontinents, die seit den 1970er Jahren blutig verfolgt wurde.

Genauso gehören z.B. heute schwule Priester, die sich für menschenfreundliche Reformen stark machen, zu einer anderen Gruppe als jene sich selbst hassenden homosexuellen Kleriker, die im gleichen Atemzug Homophobie, Priesterselbstanbetungsreligion und materielle Privilegien in der Kirche zementieren wollen.

Falls man mit der Unterscheidung von "Lagern" auf ästhetische Empfindlichkeiten zielen will, so verbleiben Etiketten wie "konservativ" freilich zumeist an der Oberfläche. Als linker Katholik kann ich mich z.B. leidenschaftlich darüber aufregen, wenn Frömmigkeitsformen aus meiner wirklich sehr katholischen Kindheit mit seichtem Pastoral-Entertainment kombiniert werden. Ich käme aber nie auf die Idee, dass Stilbrüche die Grundlage der christlichen Gemeinde bedrohen oder eine goldene Monstranz Gegenstand von göttlicher Offenbarung wäre.

Es gibt schließlich das Paradoxe und Ambivalente, welches einem allzu platten Lagerdenken wirklich entgegensteht: Einige katholische Konservative aus dem föderalistisch-großdeutschen Spektrum gehörten z.B. zu den frühesten Feinden der Nationalsozialisten und arbeiteten punktuell mit Linken zusammen.

Ein ausgewiesener Reaktionär wie Kardinal Alfredo Ottaviani (1890-1979) erkannte als erster, dass im Zeitalter der Massenvernichtungstechnologie aus der kirchlichen Lehrtradition nur eine mögliche Konsequenz bleibt: Jegliches Kriegführen ist zu untersagen. ("Bellum omnino interdicendum esse.")

Ganz anders der US-Militärkardinal Francis Joseph Spellman (1889-1967), der vielleicht aufgrund einer heimlichen Liaison mit einem Broadway-Tänzer durch staatliche Dienste erpressbar war. Er wollte mit seiner Clique die Ächtung der Atombombe durch das letzte Konzil verhindern und spendete dem Morden der US-Streitkräfte in Vietnam bedenkenlos seinen Segen.