Seehofer und der Geist von Kreuth

Zieht der CSU-Vorsitzende seine Minister aus Merkels Kabinett ab?

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Gestern brachte die Bild-Zeitung unter Berufung auf das Umfeld des bayerischen Ministerpräsidenten das Gerücht, dass Horst Seehofer die CSU-Minister aus Angela Merkels Kabinett abziehen wird, wenn die Bundeskanzlerin bis Sonntag nicht für eine wirksame Begrenzung des Einwandererzustroms sorgt. Dieses Gerücht dementierte bislang nicht die bayerische Staatskanzlei, sondern nur Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, von der die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) glaubt, dass sie "nicht zum ersten Mal nicht ganz auf der Höhe von Seehofers Zeit" sein könnte.

Angela Merkel hat bereits angedeutet, dass sie nicht bereit ist, Seehofers Forderungen innerhalb der von ihm gesetzten Frist nachzukommen: Am Dienstag sagte sie der Presse, man könne "den Schalter nicht mit einem Mal umdrehen", sondern müsse "Schritt für Schritt vorgehen". Außerdem verwies sie auf den Brüsseler Balkangipfel vom Sonntag und die "engere Zusammenarbeit" sowie die "Maßnahmen zur Verbesserung der organisatorischen Abläufe", die man dort beschlossen habe.

Sollte Seehofer seine Minister tatsächlich abziehen, heißt das allerdings noch nicht, dass er damit die Koalition platzen lässt. Es gibt in der Geschichte vieler Länder zahlreiche Beispiele für solche Fälle, in denen Regierungen von der aus dem Kabinett ausgeschiedenen Partei noch bis Ende der Legislaturperiode im Parlament gestützt werden. Ein reiner Abzug der Minister wäre deshalb vor allem ein symbolischer Akt, mit dem Seehofer bayerischen Landräten, Bürgermeistern und Bürgern, die keine Asylbewerber mehr unterbringen können, zeigt, dass er ihre Probleme zur Kenntnis genommen hat.

In diesem Tagungszentrum der Hanns Seidel Stiftung in Wildbad Kreuth fasste die am 19. November 1976 den so genannten "Kreuther Trennungsbeschluss". Foto: J. Patrick Fischer. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Sollte die CSU über einen Abzug der Minister hinaus aus der Koalition ausscheiden, dann hätten CDU und SPD mit 254 und 193 Abgeordneten immer noch eine absolute Mehrheit der insgesamt 631 Sitze im Parlament. Diese Mehrheit könnte allerdings wackeln, wenn der Parlamentskreis Mittelstand (PKM), dem ein Großteil der CDU-Abgeordneten angehört, auf der Fraktionssitzung Anfang November offiziell fordern sollte, dass Asylbewerbern, die über sichere Drittstaaten wie Serbien in die EU kommen, an der deutschen Grenze die Einreise verweigert wird. Der PKM-Vorsitzende Christian von Stetten hatte dazu Mitte Oktober gemeint, er glaube zwar, dass die Regierung bereits einen "wirksamen Plan" zur Begrenzung des Asylbewerberansturms habe - sollte sich jedoch "herausstellen, dass diese Annahme falsch war", müsse die Unionsfraktion "reagieren" (vgl. Union vor der Meuterei?).

Im Falle solch einer Reaktion gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Merkel beherzigt das Votum ihrer Fraktion und legt sich mit der SPD an (die einer solchen Einreisebeschränkung wahrscheinlich nicht ohne weiteres zustimmen würde) - oder sie riskiert, dass ihr viele CDU-Abgeordnete die Gefolgschaft verweigern. Wie viele das wären, hängt unter anderem davon ab, wie viele sich mit einer Fortsetzung der aktuellen Einwanderungspolitik schlechtere Chancen für ihren Mandatserhalt ausrechnen als mit einem "Ende mit Schrecken". Einige müssten bei Umfragewerten von 35 und 36 Prozent schon jetzt damit rechnen, dass sie im Falle einer vorgezogenen Neuwahl nicht mehr lange im Bundestag sitzen würden.

Neuwahlen und Koalition mit der FDP?

Bei einer Neuwahl könnte die Union im Wahlkampf auf ein Bündnis mit der FDP setzen, die propagiert, dass Asylbewerber aus Kriegsgebieten nicht mehr das reguläre Asylverfahren durchlaufen, sondern einen zeitlich begrenzten Flüchtlingsstatus erhalten, mit dem später eine Aufenthaltsbeendigung leichter möglich sein soll. Sollte es für Union und FDP zusammen nicht reichen, könnte in Einwanderungsfragen unausgesprochen eine Duldung durch die AfD im Raum stehen, die es aktuellen Umfragen zufolge in den Bundestag schaffen könnte.

Die am wenigsten wahrscheinliche Entwicklung ist, dass Seehofer den "Geist von Kreuth" aus der Flasche holt und seine CSU bundesweit als Alternative zur CDU antreten lässt: Mit dieser Option spielte 1976 der CSU-Übervater Franz Josef Strauß, er bei der vorangegangenen Bundestagswahl zusammen mit der Schwesterpartei die absolute Mehrheit knapp verfehlte. Die CSU kam damals zum Ergebnis, dass sie mit solch einem Schritt in Bayern mehr verlieren könnte, als sie im Bund gewinnt, und blies die Trennung wieder ab. Auch einen bereits gefassten Beschluss für eine Trennung der Fraktionsgemeinschaft legte man zu den Akten.

Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die bayerische Landesregierung bald ihre angekündigte Verfassungsklage gegen die Bundesregierung einreicht, die nach Ansicht von Staatsrechtsexperten wie Christoph Degenhart und Rupert Scholz durchaus nicht chancenlos ist. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann versicherte gestern, man arbeite weiter daran, und wiederholte seine Einschätzung, dass die Bundesregierung derzeit "ganz eindeutig ihre verfassungsrechtlichen Kompetenzen" überschreitet.

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