Sehnsucht nach Dschingis Khan

Langer Ritt auf gelber Steppe: Großartig, blutig, einseitig - "Der Mongole" vom Russen Sergei Bodrov macht Dschingis Khan zu einem "Braveheart des Ostens" und Führer für heute

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der zentrale Mythos Eurasiens als klassische Abenteuergeschichte: Den Groß-Khan der Mongolen spielte einst John Wayne in der schlimmsten Rolle seiner Karriere, nicht nur schauspielerisch, sondern auch, weil der Film in der Nähe eines Atomtestgeländes gedreht wurde und wahrscheinlich ursächlich für Waynes tödliche Krebserkrankung war.

Alle Bilder: X Verleih

Vorbei sind auch die Zeiten, als die Mongolen im Kino nur von Jack Palance und Omar Sharif verkörpert und auf gutaussehende Schurken reduziert wurden - dieser hier ist ein moderner, gnädiger Zen-Führer. In Sergej Bodrovs bildgewaltigem, blutigen Epos "Der Mongole" wird der Führer der blutrünstigen Mongolen, der einst bis in die Ukraine vordrang, den größten Teil Russlands unterwarf und halb Asien mit seinen Reiterhorden kontrollierte zum Staatsmann und großzügigen Menschenfreund. In bestechenden Bildern erzählt uns ein Russe das Märchen davon, dass man eben auch mal hart sein muss, die ebenso gewalttätige, wie romantisierende Geschichte vom Boss, der seine Kinder liebt, und diese Liebe gerade dadurch zeigt, dass er sie schlägt - honi soit qui mal y pense.

Verachte nie ein schwaches Junges, es könnte ein brutaler Tiger werden

Mongolisches Sprichwort

Da reitet er über die Steppe und reitet und reitet und schaut gar entschlossen drein. Er weiß noch nicht, dass er einmal Dschingis Khan sein wird, noch heißt er Temudschin.

Print the legend!

John Ford, "The Man Who Shot Liberty Valance"

In den ersten Sommertagen des Jahres 1172 ist er noch ein Junge - und gerade dabei, gemeinsam mit seinem Vater (einem von hunderten der Khan genannten Führer der mongolischen Nomaden) gemäß traditionellem Ritual eine Frau zu finden - das Mädchen Borte. Schon auf dem Rückweg ist Temudschins unbeschwerte Kindheit vorbei, und das Unglück beginnt: Der Vater wird von einem rivalisierenden Khan ermordet, er selbst gefangen genommen und versklavt. Als ihm endlich irgendwann die Flucht gelungen ist, wird die Mutter ermordet, die inzwischen erwachsen gewordene Borte entführt. Er steht vor dem Nichts: Ein armer Nomade im schier endlosen gelben Meer der mongolischen Steppe.

Die Passion des Dschingis Khan

Zugleich ist dies eine fast schon christliche Passionsgeschichte: In ihrem Zentrum steht ein Held, der erst Schwächling ist, um stark zu werden, der erst leiden muss, um zu siegen, der Unmenschliches auf sich nehmen muss, um der zu werden, der er dann war: Ein Führer seiner Zeit. Ein von höheren Mächten, von der Natur selbst auserkorener Herrscher - für letzteres spricht seine stete Zwiesprache mit einem schönen Wolf.

Nicht weit entfernt liegt dies alles allerdings auch von Revenge-Geschichten a la Hollywood. Denn auch im Erwachsenen Dschingis Khan steckt bis zum Ende dieses Films noch der kleine Temudschin, der den Vater rächt, der einst getötet wurde, der eine traumatische Kindheit mit Entbehrungen abschütteln will und doch nicht kann, der einen Menschen sucht, dem er vertrauen kann - und doch existentiell einsam bleibt.

"Der Mongole" erzählt, wie Temudschin zu Dschingis Khan (1155/1162-1227) wurde, wie der junge, völlig unbekannte Hirtensohn zum ebenso legendären wie gefürchteten Herrscher der Mongolen aufstieg. Der Film ist der erste Teil einer geplanten Trilogie. Wer hier erwartet, Zeuge von Mongolenstürmen zu werden, der wird enttäuscht: Der Film zeigt zunächst über weite Strecken Not und Entbehrung, ein Leben als einziges Martyrium, die Leiden eines Kindes in einer überaus harten Welt, in der Mord und Totschlag, Folter und Vergewaltigung, Hunger und Stürme an der Tagesordnung sind und die der Junge mit hunderttausenden Altersgenossen geteilt haben dürfte. Erst allmählich ändert sich das Bild und man begleitet Temudschin (wirkungsvoll gespielt vom Japaner Tadanobu Asano) auf dem langen, zähen Kampf um die Macht, bei Händeln und prekären Bündnissen mit anderen Khans, bei schleppenden politischen Verhandlungen. Dass er schließlich die Macht erringt, ist vor allem das Werk von Geduld, Zähigkeit und geschickter Diplomatie.

"Verrate niemals Deinen Khan."

Dies ist dabei auch die Geschichte einer Verhärtung, einer Abtötung der Seele. Wie aus einem Mann ein MANN wird. Dazu muss er kalt und innerlich tot sein. Eigentlich kennt Temudschin nur Leid und Verrat.

Allmählich vereint er die Stämme, ändert einige Gewohnheiten und eingefahrene Bräuche, macht aus den Mongolen eine effektivere, modernere Kampfmaschine in einer Welt des Kriegs aller gegen aller, in der das "Gesetz des Stärkeren" den Ton angibt. Und zugleich zivilisiert er eben dieses, legt den Grundstein zu einer Art modernem Staatsapparat: Die Mongolen erhalten eine vereinheitlichte Sprache und eine gemeinsame Rechtsordnung: "Unsere Gesetze sollten sehr einfach sein: Töte niemals eine Frau oder ein Kind. Vergiss niemals Deine Schulden. Bekämpfe Deine Feinde bis zum Ende. Und verrate niemals Deinen Khan."

Zwischen "Lawrence von Arabien" und "Winnetou"

"Der Mongole" ist ein ungewöhnlicher, in vieler Hinsicht bemerkenswerter Film. Der russische Regisseur Sergei Bodrov ("Nomad", "Der Kuss des Bären", "Gefangen im Kaukasus"), der auch das Drehbuch schrieb und den Film gemeinsam mit der Berliner Firma X-Filme ("Lola rennt", "Good Bye Lenin!") unter Zuhilfenahme deutscher Fördergeldern produziert hat, erzählt detailliert und bei allen Freiheiten historisch genau, geradeaus, mit wenig Humor und gewissermaßen altmodisch: Bodrov bedient nicht das schlichte Dschingis-Khan-Klischee vom gnadenlosen Monster, barbarischen Plünderer, sondern zeigt vor allem den furchtlosen und visionären, dabei nachdenklichen Anführer.

Dies ist klassisches Breitwand-Kino im visuellen Stil der Monumentalepen der späten 50er, frühen 60er, in seinen besten Momenten an David Leans "Lawrence von Arabien" erinnernd, in den schwächeren eher an einen "Winnetou" aus Deutschland.

Jedenfalls ist alles - trotz großartiger und blutiger Schlachtenszenen - insgesamt etwas weniger actionreich und martial-arts-lastig, als Werbung und Trailer-Marketing suggerieren, mitunter sogar langatmig und zerredet. Das wird den Teenagern und allen, die unter Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leiden, nicht so gefallen, den historisch Interessierten schon mehr: Denn in vielem hält sich Bodrov genau an jene "Geheime Geschichte der Mongolen", die kurz nach Dschingis Khans Tod entstand und bis heute die wichtigste Quelle über dessen Leben ist. Vieles, allem voran die herrlichen Naturpanoramen (gedreht wurde in Kasachstan und der Mongolei) erinnert auch an einen Western. Inhaltlich ist es überraschend ernst gemeint und mündet allzuoft in betont bedeutsame Sätze wie "Größe fällt denen zu, die sie sich nehmen."

Die Russen und ihre Sehnsucht nach dem Führer

"Der Mongole" ist somit zweierlei - und im Ergebnis ein wenig widersprüchlich: Auf der einen Seite die um Faktentreue bemühte Rekonstruktion einer kaum bekannten historischen Epoche, die mitunter geradezu poetische Kraft entfaltet, und den in der Wahrnehmung Europas einseitig zum primitiven Schlächter stilisierten Dschingis Khan als differenzierte historische Figur ernst nimmt. Dann aber auch - jede Ästhetik hat ihre Moral - ein Stück einseitige politische Mythologie, eine von Pathos triefende Idealisierung der Geschichte, weniger "Gladiator" als ein "Braveheart" des Ostens. Da merkt man dann, dass "Der Mongole" aus dem heutigen Rußland des Vladimir Putin kommt: Bombast und opulente Schauwerte paaren sich mit martialischen Gesten und der uneingestandenen Sehnsucht nach einem weisen Führer mit starker Hand. "Der Mongole" ist auch auf seine Art eine Feier des Primitiven, des Archaischen, des Allzu-Einfachen.