Sehnsucht nach Rot-Grün

Die beiden großen Parteien haben in Bremen verloren, aber die SPD hat mehr Optionen und will sie ausnutzen

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Der Stadtstaat Bremen hat gewählt. Eigentlich würde man nicht vermuten, dass die Wahlergebnisse im kleinsten Bundesland besonders große Aufmerksamkeit auf Bundesebene bekommen. Doch nach den Wahlen am gestrigen Sonntag ist das anders. Jetzt wird gerätselt, ob die große Koalition in Bremen fortgesetzt oder erstmals in einem Bundesland wieder eine Landesregierung gestellt wird, die von SPD und Grünen gebildet wird.

Deutlich wurde in Bremen vor allem ein Trend, nämlich die wachsende Zahl derjenigen, die an den Wahlen nicht mehr teilnehmen. Grafik: Statistisches Landesamt Bremen

Das Wahlergebnis war eigentlich nur für zwei Parteien ein Erfolg: für die Grünen und die Linkspartei.

Die Grünen erreichten 16,43%. Ein Wert, wie ihn die Umweltpartei bisher nur in Hochburgen des akademischen Mittelstandes, z.B. in Freiburg, erreicht hatte. Ganz überraschend ist der grüne Erfolg allerdings nicht. Einerseits dürfte es sich für sie positiv auswirken, dass zur Zeit alle vom Wetter oder besser noch vom Klima reden. Andererseits war Bremen 1979 das erste Bundesland, in dem die Grünen ins Parlament eingezogen sind.

Jetzt schafft die Linkspartei mit ihrem Einzug in die Bürgerschaft das erste Mal den Sprung in ein westdeutsches Parlament. Dabei lag sie in den letzten Tagen vor der Wahl in Umfragen sogar unter 5%. Diese Zitterpartie hat wahrscheinlich dazu geführt, dass die Partei dann mit 8.40% ihr selbst gestecktes Wahlziel weit übertraf. Sieben Prozent wollte man holen.

Dieser Wahlerfolg gibt der neuen Partei, die gerade ihre letzten Hürden vor der endgültigen Gründung nimmt, mächtig Rückenwind. Zwar ist ihr Einzug in die Landesparlamente anderer Bundesländern noch längst nicht garantiert. Doch hätte die Linkspartei am Sonntag in Bremen den Einzug ins Parlament nicht geschafft, wäre das Projekt schon vor der Gründung gescheitert gewesen. So hat der Wahlerfolg vor allem eine symbolische Komponente. Er zeigt, dass die neue Partei im Westen nicht mehr einfach als umbenannte SED gesehen wird. Das dürfte auch in den letzten linksgewerkschaftlichen Refugien in der SPD Eindruck machen.

Schon vor der Bremenwahl hat der langjährige sozialdemokratische Sozialpolitiker Rudolf Dreßler in einem Interview einen Wechsel zur Linkspartei ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Auch in linken Gewerkschaftskreisen dürfte das Bremer Wahlergebnis mit Interesse verfolgt werden. Dort ist schon während der Schröder-Regierung eine Absatzbewegung von der SPD festzustellen gewesen. Die Politik der großen Koalition hat diesen Trend noch verstärkt. Nachdem mit Hilfe der SPD das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht wurde, lieferten sich SPD und DGB erstmals einen offenen Streit.

Nachdem der DGB in Bayern SPD-Politiker, die für die Rente mit 67 eingetreten sind, als Redner bei den 1.Mai-Veranstaltungen ausgeladen hatte und die SPD kurzfristig über eine Gegenveranstaltung nachdachte, wurde deutlich, dass der aktuelle Streit mehr als das übliche Geplänkel ist, das es seit jeher zwischen SPD und Gewerkschaften gibt, aber keine weiteren Konsequenzen hatte. Das lag auch daran, dass es links von der SPD für Gewerkschaftslinke keine Alternativen gab. Schließlich hatten die Grünen sozialpolitisch die SPD schon lange rechts überholt. Mit der Linkspartei, deren westlicher Ableger sogar aus dem gewerkschaftlich-sozialen Milieu gespeist wurde, könnte es diese Alternative für linke Gewerkschaftler nun geben.

Grafik: Statistisches Landesamt Bremen

Schwere Entscheidung bei der SPD

Dieser Aspekt dürfte auch bei der Frage nach der Regierungskoalition in Bremen nicht unbeachtet bleiben. Denn als Sieger kann sich die SPD eigentlich überhaupt nicht betrachten. Sie hat mit 5,49% mehr als die CDU (- 4,10%) verloren. Dass sie am Tag nach der Wahl trotzdem besser als ihr bisheriger Koalitionspartner in der Öffentlichkeit dasteht, liegt an den mehr als 10% Vorsprung vor der CDU und daran, dass sie zwei Regierungsoptionen hat: die Fortsetzung der großen Koalition oder ein neues Kapital Rot-Grün.

Eigentlich ist die Frage relativ unideologisch zu betrachten, wenn es nur um die Politik in Bremen geht. Schließlich war es der lange Zeit als Parteilinker geltende Henning Scherf, der sich in einer Zeit, als Rot-Grün noch die Aura eines spannenden Projekts hatte, mit der CDU arrangieren musste, weil es die Bremer SPD-Basis so wollte. Im Jahr 2007 hat Rot-Grün längst jeden Ruch eines solchen Projekts verloren, sondern ist eben eine Machtoption.

Trotzdem wähnte man sich in den vergangenen Tagen 15 Jahre zurückversetzt, wenn man die Debatte um ein Bündnis zwischen SPD und Grünen verfolgte. Während die linksliberale Frankfurter Rundschau schon am Tag vor der Wahl eine „Sehnsucht nach Rot-Grün“ ausgemacht haben wollte, warnte die CDU wie vor 15 Jahren genau vor einem solchen Bündnis.

Doch anders als vor 15 Jahren werden von keiner Seite mehr irgendwelche Utopien und Visionen dahinter und auch keine Furcht davor verbunden. Es geht einzig und allein um die Frage, welche Partei mehr Regierungsoptionen hat. Dabei ist die SPD gegenüber der Union im Vorteil. Denn allen Debatten über schwarz-grüne Optionen zum Trotz ist dieses Modell noch in keinem Bundesland zustande gekommen. Solche Farbspielereien werden immer dort besonders lautstark geführt, wo sie besonders unrealistisch sind. So haben sich in Berlin, wo der Regierende Bürgermeister gemeinsam mit einer pflegeleichten Linkspartei fest im Sattel sitzt, sogar CDU, FDP und Grüne über Regierungsoptionen, die sie nicht haben, ausgetauscht. In Bremen wäre ein solches Bündnis nicht einmal rechnerisch möglich.

Die SPD-Führung könnte mit einer Neuauflage von Rot-Grün in Bremen auch gegenüber der Union bundesweit deutlich machen, dass es auch andere Regierungsoptionen als die große Koalition gibt. Genau dieses Signal fürchtet wiederum die Union. Denn auch trotz Merkels hohen Zustimmungswerten gibt es bundesweit keine Mehrheit für ein Regierungsbündnis zwischen CDU/CSU und FDP. Ein Bündnis mit den Grünen könnte aus Sicht der SPD-Spitze auch aus einem anderen Grund von Vorteil sein. Damit könnte die moderate Linke um Andrea Nahles stärker eingebunden werden.

In diese Richtung zielen auch die in der Öffentlichkeit lancierten Überlegungen von Kurt Beck und seinen Beratern, Nahles für den Posten der SPD-Vizechefin vorzuschlagen. Damit will man den Teil der Mitglieder, die sich weiter zu Rot-Grün bekennen, die konsumbewusst leben wollen und sich Sorgen um die Umwelt machen, in der Partei halten. Schon das beharrliche Beharren von Umweltminister Gabriel auf dem rot-grünen Atomkompromiss zielt in diese Richtung. Damit will die SPD verhindern, dass sie Wähler und Mitglieder an die Grünen verliert.

Keine Überraschungserfolge für die Rechte

Gegenüber der Linkspartei hätten solche Personalentscheidungen hingegen kaum Wirkung. Schließlich wird ein Bündnis SPD-Grüne auf sozialpolitischem Gebiet wenig gegenüber der großen Koalition verändern. Bremen hat auch gezeigt, dass die Linkspartei eben nicht auf Kosten der Grünen stärker wurde. Vielmehr haben beide Parteien gewonnen und dabei völlig unterschiedliche Wählerpotentiale angesprochen.

Die Grünen konnten über das akademische Bürgertum hinaus bei Besserverdienenden und jungen Menschen punkten, die sich um die Umwelt sorgen. Die Linkspartei hingegen hatte ihre Wahlerfolge in Stadtteilen, in denen besonders viele Menschen von Sozialkürzungen und Maßnahmen wie Hartz IV betroffen sind. Damit dürfte sie auch ein Erstarken des rechten Randes verhindert haben.

Die rechte Deutsche Volksunion zieht zwar mit 2,75% abermals mit einem Abgeordneten in die Bürgerschaft ein. Das ist aber einer Besonderheit im Wahlrecht geschuldet, das einer Partei auch den Einstieg in die Bürgerschaft ermöglicht, wenn sie lediglich in der Stadt Bremerhaven auf 5% kommt. Gescheitert hingegen ist die rechtspopulistische Gruppierung Bürger in Wut, die eigentlich den Blitzerfolg der Schillpartei vor einigen Jahren in Hamburg wiederholen wollte. Statt des erhofften großen Wahlerfolgs will die Partei jetzt für eine Neuauszählung der Stimmen streiten, weil die Partei in Bremerhaven äußerst knapp mit einer Stimme an der 5-Prozent-Hürde scheiterte. Das Wahlamt hat aber bereits mitgeteilt, dass es keinen Anlass zu einer Sonderprüfung sieht. Allerdings werden wie üblich alle Stimmen, die von den ehrenamtlichen Wahlvorständen bei der Auszählung als ungültig bewertet wurden, noch einmal von den Mitarbeitern des Wahlamtes geprüft.

Auch die Liste Bremen muß leben hatte keinen Erfolg. Sie wurde vom rechtskonservativen Joachim Siegerist gegründet, der in den vergangen Jahren die Distanz zum äußerst rechten Rand vermissen ließ. Auf der Kandidatenliste fand man neben diversen Wanderern zwischen verschiedenen rechten Kleinstgruppen mit Bernd Rabehl auch einen ehemaligen SDS-Aktivisten, der sich aber in den letzten 10 Jahren immer weiter nach rechts bewegte.