Shagster – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief

Schnitzlers „Reigen“ online

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Wer hatte Sex mit meiner Ex? Die etwas härtere Variante von Friendster will es genau wissen.

Dass jeder auf der Welt jeden über maximal sechs Bekannte kennen muss, wurde 1967 vom Psychologen Stanley Milgram ermittelt, der am bekanntesten für das Milgram-Experiment ist. Ob er mit dieser empirisch ermittelten Zahl Recht hat, ist bis heute nicht ganz geklärt, da Bekanntheitsketten, die abreißen, also nicht ans Ziel führen, hier nicht mitgezählt wurden.

Doch von der Erkenntnis, dass die Welt so klein ist, leben im Internet etliche Communities wie Orkus, Open BC oder Friendster, die den alten Partyspruch „Lady, wir haben einen gemeinsamen Bekannten…“ in die Tat umsetzen sollen: Weil man jemand kennt, der jemand kennt, der die Person kennt, die denjenigen kennt, den man ansprechen will, ist man ja schon gut befreundet und braucht weniger Hemmungen zu haben. „Ich bin ein Freund von Mitch“ öffnet so die Tür. Teilweise kommt man auch nur mit Einladungen („Ken sent me!“) in diese verschworenen Gemeinschaften.

Tatsächlich sind in diesen Netzwerken Unbekannte oft nur drei Personen entfernt, denn so groß ist die Internet-Welt doch noch nicht. Und während Open BC nur für seriöse Geschäftsleute gedacht ist, darf in den anderen Systemen hemmungslos gebaggert werden. Oder es gibt Alumni-Netzwerke, in denen man nachsehen kann, was aus alten Schulfreunden geworden ist – und meist nur die wiederfindet, die man nur zu gerne vergessen hatte…

Nur Bewährtes kommt ins Bett?

Dann gibt es aber noch die Art der Beziehungen, die normalerweise weniger öffentlich stattfinden. Abgesehen von Swingern sind die meisten Menschen auf frühere oder spätere Sexualpartner eigener Bettgenossen eher nicht so gut zu sprechen, selbst wenn sie dabei keinerlei ansteckende Präsente ausgetauscht haben. Der Sinn von „Shagster“, der neuen Sex-Version von Friendster & Co., liegt daher etwas im Dunkeln – außer man will vor dem Stelldichein mit der neuen Errungenschaft wirklich wissen, wer zuvor schon das Vergnügen hatte und sich gar „Referenzen“ einholen.

Der Londoner Betreiber Chris Leate schwört allerdings auf einen ganz neuen Freundeskreis, der sich auch noch gegenseitig mit Punkten bewertet. Außerdem erhofft sich Leate ganz neue Erkenntnisse über das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Großstädter und Kleinbauern. Und schließlich meint er wirklich, dass die Menschen lieber bekannt als fremd gehen und sich im Bett an „Empfehlungen von Freunden“ halten. Dabei ist doch genau das Vermitteln abgelegter Partner häufig ein Patentrezept für Ärger. Aber vielleicht ist das gerade das beabsichtigte soziologische Experiment – nach wie vielen Kontakten in der Kette knallt es?