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Die Beseitigung der Schäden durch invasive Arten kostet die EU-Länder heute schon über 10 Milliarden Euro jährlich - doch das Schlimmste kommt noch, warnen Forscher

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Dass eine Pflanzen- oder Tierart nicht mehr am Ort ihrer Entstehung lebt, muss nicht zwangsläufig ein Problem darstellen. Auch die Fauna und Flora Deutschlands besteht aus vielen "Ausländern", die wir längst nicht mehr als solche betrachten. Klatschmohn und Kornblume gehören ebenso zum Landschaftsbild wie die meisten Nutzpflanzen, Birne und Pflaume, viele Getreidesorten, Tomate und Kartoffel. Seit der Entdeckung Amerikas sind 12000 Pflanzenarten nach Mitteleuropa gebracht worden - nachdem auch durch die Römer schon unzählige Spezies in unsere Breiten gelangt waren.

Manchmal kommt es allerdings vor, dass ein Neuling mit den hiesigen Umweltverhältnissen besser zurechtkommt als seine alteingesessenen Nachbarn. In so einem Fall kann es dazu kommen, dass einheimische Arten verdrängt werden - man spricht dann von einer invasiven Art. Obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der Neuankömmlinge die Verhältnisse so vorteilhaft nutzen kann (von 1000 neuen Arten können sich etwa 100 eine gewisse Präsenz erarbeiten, zehn werden eingebürgert und nur eine wird zum Problem), ist das Phänomen mittlerweile die zweitwichtigste Ursache für die Verminderung der Artenvielfalt - gleich nach der Zerstörung von Lebensräumen.

Der Waschbär, früher nur in Pelzfarmen zu finden, hat sich vor allem im nördlichen Mitteldeutschland festgesetzt. Seine Auswirkungen auf die Biodiversität sind umstritten. (Foto: Quartl. Lizenz: CC-BY-SA)

Dabei sind die Schwierigkeiten, die der aus Afrika eingewanderte Großaffe Homo sapiens sapiens der Umwelt mit seinen oft stinkenden Werkzeugen und Hinterlassenschaften bereitet, noch gar nicht einberechnet. Leidtragende gibt es in jeder Größe: Der einheimische Marienkäfer wird vom Asiatischen Marienkäfer bedrängt (der weit mehr Punkte besitzt und ursprünglich "nur" bei der biologischen Schädlingsbekämpfung helfen sollte). Bachläufe sind inzwischen oft exklusiv vom Indischen Springkraut bewachsen. Der Amerikanische Nerz, dank verschiedener Tierschutzaktionen in größerer Zahl aus Pelzfarmen befreit, konkurriert allzu erfolgreich mit dem kleineren Europäischen Nerz. Der aus dem Kaukasus kommende Riesen-Bärenklau, hierzulande zunächst als Bienenweide und Wild-Deckung empfohlen, verbreitet sich dank seiner bis zu 80.000 Einzelblüten und bis zu 30.000 Samen pro Pflanze rasant aus - sein Gift kann allerdings schwere gesundheitliche Schäden hervorrufen.

Die Probleme scheinen dramatisch, aber bekannt. Tatsächlich dürfte es so sein, dass der heimischen Natur das Schlimmste noch bevorsteht. Das meint jedenfalls ein internationales Forscherteam, das die Verbreitung von zehn taxonomischen Gruppen in 28 Ländern Europas untersucht und in Relation zur sozio-ökonomischen Entwicklung gesetzt hat. Wie die Wissenschaftler in ihrem Beitrag in den Veröffentlichungen der US-Akademie der Wissenschaften (PNAS) begründen, haben wir heute mit den Folgen derjenigen tierischen und pflanzlichen Invasionen zu kämpfen, die um die Wende zum 20. Jahrhundert in Gang gesetzt wurden.

Die Pollen der Beifuß-Ambrosie gehören zu den stärksten Allergieauslösern - für den gleichen allergischen Effekt ist etwa im Vergleich mit Gräserpollen nur ein Fünftel der Pollen nötig. Sie stammt ursprünglich aus Nordamerika, verbreitet sich jedoch seit den 90-er Jahren zunehmend auch in Deutschland. (Foto: Brunga. Lizenz: CC-BY-SA)

Die Forscher sprechen von einer Invasionsschuld: einer Verzögerung, die zwischen dem zu einer Ausbreitung fremder Arten führenden ökonomischen Wachstum und dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Folgen der Invasion ökonomisch spürbar sind. Diese Verzögerung gilt nicht für alle Arten im gleichen Maße - sie ist bei Spezies mit hoher Mobilität wie etwa Vögeln oder Insekten geringer. Faktoren sind dabei unter anderem die Länge einer Generation oder die Zeit, die zur Anpassung an die neuen Bedingungen benötigt wird. Insgesamt jedoch dürfte die Invasionsschuld in Europa bei etwa 100 Jahren liegen. Die Kosten für Ökonomie und Naturschutz werden deshalb auch noch in den kommenden Dekaden steigen - selbst wenn es gelänge, die Invasion neuer Arten sofort und komplett zu stoppen (was völlig unrealistisch ist) Die Wissenschaftler fordern deshalb, eine Art Frühwarnsystem einzurichten, das rechtzeitig auf potenziell gefährliche Neubürger in Flora und Fauna aufmerksam macht.

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