Sie wurden bestellt und nicht abgeholt

Über studierende Arbeiterkinder und "Klassismus"

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Ungerechtigkeit ist ein weites Feld. Menschen werden aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes oder auch einfach nur ihrer Herkunft wegen als minderwertig angesehen und dabei an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

An den Universitäten ist es daher üblich, dass im Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) spezielle Referate gebildet werden, die sich um die besonderen Probleme dieser gesellschaftlichen Randgruppen in den Hörsälen kümmern. Neben Referaten für Ausländer oder Behinderte gibt es in aller Regel immer auch ein Referat für Schwule und Lesben.

An der Universität Münster hat sich darüber hinaus auch ein spezielles Referat für die Belange von studierenden Arbeiterkindern gebildet. Zwar gehört diese Gruppe nicht unbedingt zu den klassischen Randgruppen in der Gesellschaft, schwierig ist das Leben als Arbeiterkind an einer Universität aber irgendwie trotzdem, sagt zumindest Tobias Fabinger. Telepolis hat mit ihm ein Gespräch über Klassismus an den deutschen Universitäten geführt.

Herr Fabinger, an der Uni Münster gibt es das erste Referat eines Allgemeinen Studentenausschusses (Asta), der sich mit Klassismus befasst. Können Sie mir erklären, was Klassismus eigentlich ist?

Tobias Fabinger: Klassismus ist recht ähnlich zum Rassismus. Es geht um die Ablehnung von Menschen. Allerdings nicht aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft oder ihres Geschlechts, sondern aufgrund ökonomischer Umstände. Reichere lehnen Ärmere ab und umgekehrt.

Das klingt jetzt für mich ein bisschen beliebig. Ist das nicht eigentlich völlig normal? Menschen leben in unterschiedlichen Milieus und bringen für Menschen aus anderen Milieus weniger Verständnis entgegen. Ist das denn überhaupt ein Problem?

Tobias Fabinger: Auf den ersten Blick sicherlich nicht. Es gibt jedoch Orte, da wird es zum Problem.

Welche Orte genau meinen Sie?

Tobias Fabinger: Die Uni beispielsweise. In Deutschland stellen die unteren Schichten etwa 50% der Bevölkerung. An der Universität stammen jedoch nur 10% aller Studierenden aus einem Arbeiterhaushalt. Da stellt sich für mich die Frage, warum das so ist. Eigentlich müsste die Universität doch einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen.

Woher kommt das?

Tobias Fabinger: Wenn Arbeiterkinder an eine Uni kommen, stehen sie vor anderen Problemen, als die Kinder aus einem Akademikerhaushalt.

Welche besonderen Probleme sind das?

Tobias Fabinger: Das ist in erster Linie, dass sie an der Universität in eine für sie völlig neue Welt kommen, von der sie bis dahin relativ wenig mitbekommen haben.

Probleme mit Professoren

Universitäten sind aber doch keine geschlossene Gesellschaften?

Tobias Fabinger: Das ist richtig. Allerdings dringt nicht permanent das nach außen, was an der Uni passiert und was dort gemacht wird. Arbeiterkinder sind in der Regel die ersten ihrer Familie, die überhaupt an eine Uni gehen. Für Kinder mit einem akademischen Hintergrund ist das, was an der Uni passiert völlig normal. Sie kennen es aus den Erzählungen ihrer Eltern. Daher ist für sie der Gang an die Uni auch etwas Normales. Arbeiterkinder betreten eine für sie neue Umgebung und haben damit auch völlig andere Orientierungsschwierigkeiten als Akademikerkinder. Kinder aus einem Akademiker-Haushalt haben eine grobe Vorstellung davon, was auf sie zukommt. Arbeiterkinder haben das nicht.

Ich bin bislang eher davon ausgegangen, dass das größte Problem für Arbeiterkinder die fehlende familiäre finanzielle Absicherung ist..

Tobias Fabinger: Nicht nur. Unterstützung meint hier auch, dass sie sich zu Hause keinen Rat holen können, wenn es beispielsweise Probleme mit Professoren gibt. Für die Eltern von Arbeiterkindern sind Professoren eine neue und unbekannte Gruppe, mit der sie, wenn überhaupt, bis dahin nur am Rande in Berührung gekommen sind und sie wissen daher auch nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen. Darüber hinaus wissen die Eltern von Arbeiterkindern auch nicht, welche Probleme überhaupt mit einem Professor entstehen können. Studierende aus Arbeiterfamilien stehen fast immer zwischen den Stühlen.

Welche Probleme haben Arbeiterkinder denn mit Professoren?

Tobias Fabinger: Dieselben wie mit manchen Kommilitonen. Arbeiterkinder haben einen anderen Habitus. Daher passen sie vielfach nicht in die Gruppen an der Uni. Ein Beispiel: Das Studentenorchester einer Uni besteht zu 95% aus Medizinern. Warum spielen keine Arbeiterkinder mit? Sie haben kein Instrument gelernt und mit klassischer Musik sind sie bislang auch nicht in Berührung gekommen. Wenn überhaupt haben sie in einer Rockband gespielt. Aber ein Cello spielendes Arbeiterkind ist doch eher selten. Viele der typischen gesellschaftlichen Betätigungen an der Uni sind für Arbeiterkinder neu, während sie für ihre Kommilitonen mit akademischem Hintergrund völlig normal sind. Auf diese Weise fallen sie immer irgendwie durch das Raster.

Sensibilität schaffen

Das bedeutet, Arbeiterkindern fällt es schwer, sich an der Uni zu integrieren?

Tobias Fabinger: Nein, aber sie brauchen länger, um ihren Platz zu finden.

Was machen Sie in ihrem Referat dagegen?

Tobias Fabinger: In erster Linie versuchen wir, mit Beratung zur Seite zu stehen. Dann versuchen wir aber auch die Leute zusammenzubringen. Wir haben jetzt eine ganz gute Gruppe, die sich immer wieder gegenseitig unterstützt.

Inwiefern ist das eigentlich ein Problem, dass an der Uni so wenige Arbeiterkinder sind?

Tobias Fabinger: Die Universität ist eine unglaublich teure Einrichtung. Wenn davon dann nur eine bestimmte Gruppe in der Bevölkerung einen Vorteil hat, ist das schon ein wenig ungerecht. Denn eine Universitätsbildung hat ja immer noch den großen Vorteil, dass man anschließend in aller Regel mehr verdient. Warum sollten Arbeiterkinder das nicht auch anstreben?

Was müsste getan werden, dass Arbeiterkinder an der Uni besser Fuß fassen können?

Tobias Fabinger: In erster Linie muss für die Probleme der Arbeiterkinder erst einmal eine Sensibilität geschaffen werden. Die Professoren müssen sich darüber klar werden, dass manche Studenten eben einen anderen Habitus haben, sie aber trotzdem die gleiche Leistung bringen können.

Sie meinen Professoren unterstützen Arbeiterkinder weniger als Kinder aus einem Akademikerhaushalt?

Tobias Fabinger: Teilweise, allerdings glaube ich, eher unbewusst. Das Verhalten von Arbeiterkindern ist eben ein anderes als das der Professoren. Damit jedoch werden sie gelegentlich in eine Schublade gesteckt, in die sie eigentlich, aufgrund ihrer Begabung, nicht hineingehören.

Lässt man Arbeiterkinder an der Uni also ein bisschen im Regen stehen?

Tobias Fabinger: Das stimmt tatsächlich. Pro forma hat jeder an der Uni natürlich die gleichen Chancen. Aber Arbeiterkinder können sie nicht so gut nutzen, weil sie die Chancen nicht so schnell ergreifen können. Es ist ein bisschen so, als hätte man sie bestellt und nicht abgeholt.