Slums online

Bilder aus dem Abseits

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Hallo und willkommen in meinem Dorf. Im Moment kannst Du das Haus von Maurice, Peter und das Haus von Joyce sowie unsere Kirche besuchen. Unser Dorf heißt "Mji Wa Huruma" und steht in keiner Landkarte. Es ist rund 40 Kilometer von der Hauptstadt Nairobi entfernt. Wir haben keinen Strom, kein Wasser und keine Kanalisation, aber eine eigene Homepage.

Huruma

Eigentlich ist eine Homepage etwas, was die Bewohner in Huruma vielleicht am wenigsten brauchen, doch in der virtuellen Welt der fröhlich-bunten Bilder braucht das Internet genau solche Seiten wie die aus Huruma. Was der Hightech-Surfer der entwickelten Welt dort zu sehen bekommt, macht klar, dass ein großer Teil der Welt von unserer Informationsgesellschaft gänzlich abgeschnitten ist.

Wagen wir uns also in das Haus von Maurice. Der zeigt uns stolz seinen kleinen Schwarzweiß-Fernseher, den er manchmal, wenn er das Geld für das Aufladen der Autobatterie entbehren kann, anstellt, um zu sehen wie der Rest der Welt eigentlich aussieht. Seine Hütte eignet sich nicht unbedingt dazu, Bilder an die Wand zu nageln. Dieser Versuch erzeugt nur tiefe Risse in der Wand. Wir sehen auch den kleinen Zaun an seiner "Grundstücksgrenze", damit nicht der Nächste seine Hütte dort errichtet. Wobei Grundstück nach Eigentum klingt, den Bewohnern von Huruma jedoch nichts gehört, außer ihrem Leben.

Mathare

In Kenia präsentiert sich auch Mathare, nur vier Kilometer vom Zentrum Nairobis entfernt, durch eine eigene Homepage seinen virtuellen Besuchern. Er gilt als einer der größten Slums Afrikas. Vermutlich weit mehr als 50.000 Menschen hausen dort dicht an dicht. Die Kinder haben Fotoapparate bekommen und fangen an, sich mit ihrer Umgebung auseinander zu setzen. Das Projekt, unterstützt von der Jugendorganisation Nairobi Bits, gibt den schnell zu überlesenden Zeitungsberichten über blutige Übergriffe innerhalb dieses Ghettos plötzlich ein Bild und einen Namen. Die mediale Wirkung beginnt sogar die Regierung auf den Plan zu rufen. Präsident Daniel Arap Moi hat verfügt, Karogoch, ein Gebiet aus 7 Slums mit etwa 100.000 Einwohnern das Land zu überlassen.

Davon ist man in der indischen IT-Metropole Bangalore noch weit entfernt. Während die Softwareentwickler in Ihren Bürohäusern online zwischen Tokio und Silicon-Valley von Videokonferenz zu Videokonferenz hechten, türmt sich auf der Straße der Müll. Die Metastasen der Armut weiten sich aus. Die Kluft zwischen den ungebildeten Armen und den qualifizierten Verdienenden wächst.

Da ist es kaum mehr als ein hilfloser Versuch des Computerbildungs-Instituts NIIT in Neu Delhi, an der Gebäuderückseite Surfterminals für Slum-Bewohner einzurichten: "Die Kinder der Slums erobern das Web, obwohl sie nicht lesen und schreiben können", berichtet Institutsleiter Sugata Mitra. Das soziologische Ergebnis dieser Beobachtung wurde weit mehr diskutiert als das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Rocinha, eine riesige Favela-Siedlung im Schatten des Zuckerhuts von Rio de Janeiro, ist so gesehen schon besser dran. Die Armensiedlung mit über 150.000 Einwohnern, ganz in der Nähe des Touristenzentrums Ipanema, ist zwar immer noch illegal und ohne offizielle Wasser- oder Stromversorgung, gilt aber dennoch als ermutigendes Modell: Die Menschen in Rocinha sprechen von ihrer Stadt und tatsächlich gilt das Viertel längst nicht mehr als Sperrzone für Touristen. Natürlich hat man eine eigene Homepage, die ein buntes, anziehendes Kleinhandelstreiben zeigt. Ein Unternehmer lockt abenteuerlustige Touristen und veranstaltet eine Favela-Tour, die - glaubt man bekannten Reiseführern - zu einem unbedingten Muss eines Rio-Besuchs gehört. So schön kann arm sein: Selbst Fotografen wie André Cypriano zieht es in Rios vergessenen Hinterhof, doch die gezeigte Ästhetik erzeugt eine Verzerrung der Wirklichkeit.

Als Ausgangspunkt für eigene Netzausflüge empfiehlt sich die Webseite der Slum Dwellers International. Sie weist den Weg zu Slumbewohnern aus Indien, Thailand, Kambodscha, Nigeria und anderen Regionen der Erde.

Noch gibt es viel zu wenig Slums online. Vielleicht sollte man die Idee vom globalen Dorf noch nicht entsorgen, sondern denen Öffentlichkeit zu Teil werden lassen, die ihre Probleme nicht ohne fremde Hilfe lösen können.