"Smoking Gun" entdeckt?

Wie genetische Variationen innerhalb von Populationen entstehen

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Schon lange versuchen Forscher herauszufinden, welche genetischen Veränderungen den großen Schritten der Evolution zu Grunde liegen. Eine wichtige Frage dabei ist, wie genetische Variationen innerhalb von Populationen entstehen und wie sie sich weiterentwickeln, so dass dann z. B. verschiedene Arten entstehen. Am Beispiel des Dreistachligen Stichlings ist es amerikanischen Forschern nun gelungen, das Entstehen einer solchen genetischen Veränderung zu beschreiben. Im aktuellen Nature stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Der Dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) ist ein Allerweltsfisch, der Verhaltensforscher bislang eher wegen seines Fortpflanzungsverhaltens interessierte. Er kommt auf der gesamten nördlichen Halbkugel vor und ist relativ anspruchslos. Seinen Namen verdankt er mehreren einzeln stehenden Stacheln am Rücken, die der Abwehr von Fressfeinden dienen. Daneben sind auch die vorderen Strahlen der Bauchflossen und der erste Afterflossenstrahl zu kräftigen, spitzen Stacheln umgewandelt. Diese Stacheln besitzen am Ansatz scharnierartige Knochenbildungen, in die sie eingerastet und damit ohne Muskelanstrengung aufgestellt werden können. Doch nicht alle Stichlinge sehen gleich aus: Vor allem Stichlings-Populationen, die im Süßwasser leben, weisen am Bauch deutlich kleinere bzw. keine Bauchstacheln auf.

Um herauszufinden woran das liegt, hat eine Forschergruppe um David M. Kingsley, vom Department of Developmental Biology and HHMI der University School of Medicine in Stanford/Kalifornien das Genmaterial von Stichlingen mit und ohne Stacheln verglichen und dabei das Haupt-Gen für das Stachelwachstum gefunden. Bei ihren Versuchen kreuzten sie ein Weibchen mit gut ausgeprägten Bauchstacheln mit einem Männchen ohne Stachel und untersuchten die Nachkommen, die ein breites Spektrum von Varianten aufwiesen: von vollständigen Stacheln bis hin zu stachellos. Die Biologen fanden heraus, dass fünf Genabschnitte in das Wachstum der Stachel involviert sind, die Hauptrolle spielt das so genannte Pitx1-Gen. Dieses Gen hatte sich bereits in Versuchen mit Mäusen als zuständig für das Wachstum der Beine erwiesen.

Doch während Pitx1-Mutationen bei Mäusen teilweise zu starken Anomalien an Kopf, Gesicht und Drüsen führten und manchmal auch tödlich endeten, zeigten sich bei den Stichlingen keine "Nebenwirkungen". Wie Kingsley und sein Team feststellten, lag dies daran, dass, egal wie stark die Bauchstacheln ausgeprägt waren, die Sequenz der proteinkodierenden Region des Pitx1-Gens, bei allen Stichlingen identisch war. Verändert hatte sich nur das Expressionsmuster des Gens. Die Population ohne Stachel zeigte keine Pitx1-Expression in den Stachelfortsätzen, wies aber Genaktivität in anderen Regionen auf. Der lokal begrenzte Rückgang der Aktivität eines Gens, kann also zum Schwinden eines morphologischen Merkmals führen, ohne andere Teile des Körpers zu beeinträchtigen.

Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Die amerikanischen Wissenschaftler folgern daraus, dass sich morphologische Veränderungen, wie sie bei den Stichling-Populationen feststellbar waren, über regulatorische Veränderungen auf nur wenigen Genen sehr schnell vollziehen und völlig unabhängig bei verschiedenen Arten und Populationen stattfinden können. Anhand von Fossilien lässt sich belegen, dass sich z. B. die Veränderung beim Dreistachligen Stichling über weniger als 10 000 Generationen entwickelt hat und damit noch recht jung ist. Kingsley und seine Kollegen gelang es zu zeigen, dass die Muster von Parallelevolution womöglich dieselbe genetische Basis haben. Im Falle der Rückentwicklung des Bauchstachels kamen bei Stichling-Populationen, die 5 700 Kilometer voneinander entfernt leben, ähnliche genetische Veränderungen zum Tragen.

Für Neil Shubin und Randall Dahn von der University of Chicago haben Kingsley und sein Team eine große Entdeckung gemacht. In einem begleitenden News-and-Views-Artikel schreiben sie:

Sie (Kingsley und Kollegen) haben womöglich ein "smoking gun" entdeckt - ein echtes Beispiel für eine makroevolutionäre Veränderung, die durch genetische Veränderungen unter Populationen hervorgerufen wird.