Spielzeug von morgen

Das Media Lab steigt in die Entwicklung von High-Tech-Spielzeug ein

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Die Kinder sind ein großer Marktfaktor, zudem sind sie die späteren Benutzer der Informationstechnologien, in deren Welt sie immer früher hineinwachsen. Nach dem Boom der Video- und Computerspiele, die in Verbreitung und Umsatz bereits andere Unterhaltungsindustrien wie die des Kinofilms überholt haben, kam der Siegeszug der Tamagotchis, dieser simplen virtuellen Lebewesen, für viele überraschend.

Wie eine ansteckende Epidemie haben sich die Quälgeister, die man überall mit sich herumtragen kann, verbreitet und die Seelen der Kinder erobert. Etwas ausgereifter und komplexer sind die im Speicher des Computers hausenden "Creatures", die den Vorschein des Künstlichen Lebens darstellen sollen. Das verspricht etwa auch "Fin Fin on Teo". Fieberhaft haben sich natürlich Epigonen um vergleichbare Produkte bemüht und versucht man, die Dinger etwas aufzurüsten, um sie interessanter zu machen. Jetzt züchtet man halt Monster und läßt sie aufeinander los. Nicht nur die Industrie muß ständig Neues produzieren, auch die lieben Kinder des Informationszeitalters sind notorisch innovationssüchtig, und ihre Aufmerksamkeit erlahmt schnell.

Andererseits sprechen manche davon, daß die Computerspiele bei Kindern räumliches Orientierungsvermögen, Reaktionszeiten und allgemein die Intelligenz verbessern würden. Wenn Kinder sich an Chats beteiligen, sind sie in eine schnelle Konversation mit verschiedenen Partner verwickelt. Überhaupt soll die Informationsflut die Intelligenz der Kinder steigern. Jedenfalls scheint der "Flynn Effekt" bestätigt zu sein, also daß der Intelligenzquotient für fast jeden Test zumindest in den westlichen Ländern kontinuierlich steigt. Besonders deutlich ist das beim Erkennen von abstrakten Mustern. Ob das aber tatsächlich mit der Aussetzung der Kinder an Medien zu tun hat oder durch andere Faktoren (längere Schulausbildung, Ernährung, mehr Aufmerksamkeit der Eltern auf die geringere Anzahl von Kindern etc.) bedingt ist, ist noch nicht bekannt.

Microsoft, wie stets dabei, hat für viel Geld Barney, den violetten Dinosaurier, in seinem Programm der ActiMates entwickelt - als "erstaunlich neue Weise zu lernen und zu spielen". Die Roboterpuppe mit visuellen Sensoren und lebensähnlichen Bewegungen kann nicht nur spielen und singen, sondern sie läßt sich auch an den Fernseher mit den entsprechenden Videos und den Computer mit den entsprechenden Lern- und Spielprogrammen anschließen. Dann wird Barney für Kinder ab zwei Jahre zu einem "freundlichen Führer", der positive Themen verstärkt, an den richtigen Stellen lacht und hilft, das Kind stärker in das Programm oder das Video hineinzuziehen. Alles ist natürlich sauber und gut, da können die geplagten Eltern sorgenfrei und mit gutem Gewissen ihren Nachwuchs Barney überlassen. Gute Sitten werden dem Kind nebenbei auch beigebracht, schließlich sagt er am Ende: Danke, daß du mit mir ferngesehen hast. Geplant ist, am Ende des Jahres ein Fernsehprogramm "Barney and Friends" täglich mit den entsprechenden Signalen zur Steuerung auszustrahlen.

Um nicht einen möglicherweise wichtigen Marktanteil zu verlieren, werden nun, wie die New York Times, amerikanische Unternehmen, darunter Mattel, Disney und Lego, mit dem Media Lab des MIT ein neues Projekt mit dem Titel "Toys of Tomorrow" starten. Zukunftsfähig scheinen offenbar Spielzeugklaviere zu sein, die wie ein Steinway klingen, Joggingschuhe, die Laufgeschwindigkeit und Wegstrecke messen, oder kleine Roboter, die in Haufen auftreten und irgendetwas miteinander machen. Michael Hawley, der das Projekt am Media Lab leitet, meint, daß man mehr Aufmerksamkeit auf die Spielzeuge richten sollte. Sie bringen nicht nur neue Technik den Menschen näher, sondern Menschen haben auch ihre besten Ideen und ihre besten Beziehungen mit anderen, wenn sie spielen.

Natürlich würde "Toys of Tomorrow" auch gut zu den anderen Programmen des Media Lab wie "Things that think" und "Digital Life" passen. Patti Maes etwa ist mit dem ALIVE-System schon in die Richtung virtueller Lebewesen zum Spielen gegangen. Dann gibt es noch das Projekt für Wearable Computer, das nahtlos mit Spielzeuginnovationen zusammengehen könnte. Gerade fand der erste Kongreß über Wearable Computer statt. Man muß nicht gleich an solche Dinge denken, wie sie John Goldthwaite vom Georgia Tech Center for Rehabilitation Technology im Auge hat: eine im Gehirn eingepflanzte Mikroelektrode, mit der behinderte Menschen durch Denken eine Maus steuern oder auf der Tastatur tippen können.

Interessanter sind da schon Ansätze des "Affective Computing", das ebenfalls am Media Lab betrieben wird. Sensoren an den Fingern, am Bauch und im Gesicht lesen die entsprechenden Gefühls- und Aufmerksamkeitsdaten ab. Damit soll man feststellen können, wann jemand gelangweilt, interessiert oder verärgert ist. Steve Mann, mittlerweile zu einer bekannten Figur geworden, läuft mit einer speziellen Brille umher, die auch als Computermonitor dient und eine kleine Videokamera enthält. Verbunden mit einem Computer, den er unauffällig am Körper trägt, kann er überall Email und Bilder senden und empfangen. Auch anderweitig lassen sich nicht nur Soldaten oder Gefangene, sondern auch Kinder permanent überwachen, beispielsweise mit einem T-Shirt, in dem sich Glasfaserkabeln befinden, die mit einem Zellulartelefon verbunden sind. Für die Kinder, die später vielleicht nicht mehr Schreiben oder Lesen zu lernen brauchen, könnte man ebenfalls entsprechende Systeme entwickeln, die man permanent bei sich hat und die Geschriebenes in Gesprochenes umsetzen. Ob man aber die Brosche als Spielzeug verwenden kann, die je nach Herzschlag rhythmisch aufleuchtet, die musikalische Jacke, versehen mit einem Touchpad und einem Synthesizer, oder ein Kleidungsstück, das überzogen ist mit vielen kleinen Lämpchen, die gemäß den Bewegungen des derart Bekleideten aufleuchten, ist eine andere Frage. Das wäre dann die "Mode von morgen", die man auch am Media Lab bereits erforscht.

Geschäftstüchtig sind sie, die amerikanischen Wissenschaftler und akademischen Institute. Man stelle sich vor, die GMD oder das Fraunhofer Institut würden hierzulande Spielzeuge und Mode entwickeln.

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