Spione, Daumenlutscher, usw.

Die Möglichkeit, vor Lachen zu explodieren oder vom Entsetzen gepackt zu werden: Ross Thomas

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Im Moment sieht es so aus, als sei die Demokratie zur höchsten Form politischer Struktur aufgeblüht, die sich die Menschen ausdenken konnten. Auch wenn sich noch einige Länder stur gebärden, der Demokratie scheint kein Entrinnen zu sein. Trotzdem wird es immer jemanden geben, der sein Land verrät. Dabei spielen Ideologien wohl kaum eine Rolle mehr. Weshalb also werden Menschen ihrer Heimat abtrünnig? Eine einfache und klare Antwort ist: Gier. Das Moment, das im nachrichtendienstlichen Gewerbe immer schon die Welt am Rollen gehalten hat.

Dem Agent geht der ins Netz, der für eine Hand voll Dollar bereit ist, Geheimnisse zu verkaufen. Aus dem Betrieb, der Agentur, der Kanzlei oder altbacken aus dem Ministerium, überall ruhen Informationen, die einen Preis haben. Und der wird eisern bezahlt. Auf der Strecke bleiben dabei immer die gleichen. Ein Mann vom Militär, eine Sicherheitsbeamtin, ein Journalist, ein Lokalpolitiker... die Liste ist lang, in jedem Fall ein Mensch mit einem Traum von mehr. Das Bezahlen übernehmen in der Regel Regierungsdienste mit einer Lobby im Rücken. Und häufig steht am Ende einer solchen Geschichte ein Kommentar in der Zeitung, und irgendjemand ist gestorben. Ermordet oder öffentlich rechtlich hingerichtet.

Im Amerikanischen Journalismus gibt es den Ausdruck „thumbsucker“. Er bezeichnet einen Zeitungskommentar zu einem politischen Ereignis von einem bekannten Autor oder Journalisten, der allerdings im Grunde nichts zu dem Ereignis zu berichten weiß, sondern nur wegen seines Namens gebeten wurde, Zeilen zu füllen. Sich gewissermaßen eine Geschichte aus den Fingern zu saugen - einen Daumenlutscher eben. Oder aber der Amerikaner Ross Thomas hat sich eines Ereignisses dieser Art angenommen und eine Geschichte daraus gesponnen.

Der Mann fürs Grobe

Denn egal welchen der 25 Romane des Autors man zu verarbeiten hat, die Kunst des Komplotts ist einem nah gekommen, und das Schauspiel Leben mit all seinen düsteren Facetten. Korrumpierung, Verrat und Manipulation. Die Allianz von Politik, Justiz und dem organisierten Verbrechen. Ob auf lokaler Ebene, in Gewerkschaften, den Nachrichtendiensten oder in der amerikanischen Kolonialpolitik, Ross Thomas zeigt die Kluft in jedem von uns auf. Die zwischen der Menschlichkeit und der Gier. Der Liebe zum Geld des Triebmenschen. Und er beweist Größe als Autor, indem er die Gegenposition gleichermaßen einbezieht. Humor, Wortwitz und den Faktor Mensch. Damit eröffnet er dem Leser die Möglichkeit, vor Lachen zu explodieren oder vom Entsetzen gepackt zu werden. Je nach Lesart.

Ross Elmore Thomas kommt am 19. Februar 1926 in Oklahoma City zur Welt. Schon als Collegestudent schreibt er im Daily Oklahoman. Später, nach Kriegsteilnahme auf den Philippinen, und Abschluß eines Studiums der Anglistik macht er das Schreiben als Reporter und Redakteur bei Zeitungen und Radiosendern zum Beruf. In den fünfziger Jahren ist er der Mann im Frankfurter Studio des AFN (American Forces Network) und täglich mit den „Reports from Europe“ live zu hören. In dieser Zeit knüpft er Kontakte zu einer Londoner PR-Firma, die weltweit politische Kampagnen unterstützt. Man kommt ins Geschäft.

Thomas wird Wahlkampfberater. Er gibt seine Tätigkeit beim Radio auf und reist für die Londoner PR-Firma nach Nigeria. Dort berät er einen Präsidentschaftskandidaten bei den ersten unabhängigen Wahlen des Landes. Der Kandidat verliert, und Thomas kehrt zurück in die Staaten. Nach Washington D.C.. Zurück in den USA, so drückt er sich in einem Interview aus, klappert er als Mann fürs Grobe im Namen verschiedener Gewerkschaften das politische System ab. Beschafft Gelder, gibt Versprechen ab, bricht Versprochenes, schreibt Reden für Senatoren und solche, die es werden wollen, teilt aus und steckt ein. Aus dem journalistischen Tagesgeschäft ist er längst ausgestiegen. In dieser Phase kommt dann den Punkt, an dem er das hat, was ein Schriftsteller braucht. Zeit und Geld. Und eine Menge zu erzählen.

Es gibt kein sauberes Geld!

Also setzt er sich hin und fängt an zu tippen: Seite 1. Kapitel 1. Sechs Wochen später ist der erste Roman fertig The Cold War Swap (Der Ein-Weg-Mensch). Thomas bekommt einen Edgar Allan Poe Award für dieses Debüt. Von da ab legt er Jahr für Jahr einen neuen Roman vor. Sein persönlicher politischer Kommentar zum Zeitgeschehen. 1984 wird er zum zweiten Mal mit einem Edgar Award ausgezeichnet. Für Briarpatch (Schutzwall).

Stilistisch wurde Ross Thomas häufig mit Len Deighton, Ken Follett oder John Le Carré verglichen. Allerdings halten diese Eingliederungsversuche in die Kategorie Politthriller nicht lange stand, kennt man den kompletten Thomas. Diese Art Vergleiche sind vielmehr feuilletonistische Comme-il-faux der Rezensenten, in Zeiten des Kalten Krieges. Es gibt keine smarten Geheimagenten in der großen Sache, wie sie viele andere Autoren ins Rennen schicken.

Bei Thomas kämpfen oftmals kleine Gauner an den Rändern von Großstädten, korrupte Polizeichefs und verkorkste B-Schauspieler um die Aufmöbelung ihres Lebens. Ein Leben ohne Illusionen, aber immer noch mit der Hoffnung auf die eine oder andere Million, die irgendwann einmal an einem unbedeutenden Ort versteckt worden war. Wobei immer klar sein sollte: Es gibt kein sauberes Geld! So einfach erklärt es der Thomasche Charakter Maurice Otherguy Overby in Out on the Rim (Am Rand der Welt).

Amerikanische Realität beobachten und wiedergeben

Ross Thomas schreibt in der großen Tradition der Amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Das strikte Halten der Perspektive der Helden; schlichte Dialogführung, ohne unnötige Adverbien; der Verzicht langwieriger Beschreibungen eines Charakters, der sich aus seinem Handeln und Standpunkten selbst beschreibt, stehen für sich. Eine Kategorisierung wird somit wirkungslos. Er selbst bekennt in Rezensionen eine schriftstellerische Verbundenheit zu Elmore Leonard und John D. Macdonald. In ihren Büchern, schreibt Thomas, bewundere er die Art, wie sie die amerikanische Realität beobachten und wiedergeben.

1994 kommt sein letzter Roman auf den Markt. Ah Treachery (Die im Dunkeln). Darin tauchen für den Thomas Kenner alte Bekannte am Rande wieder auf. So stirbt im Nebensatz Minor Jackson (Vierzig Riesen für den Zwerg), und der Zwerg ist mittlerweile neunzig Jahre alt und runzelig und genauso verdorben wie vor vierzig Jahren.

Im nächsten Buch sollten einige Figuren aus seinen früheren Büchern aufeinander treffen, heißt es in der Fangemeinde. Welch ein Fest, stellt man sich Artie Case Wu, Quincy Durant, Otherguy Overby, Booth Stallings mit Mac McCorkle, Michael Padillo, Herrn Horst und Herrn Karl in einem Werk vor. Leider kommt es dazu nicht mehr. Denn Thomas erliegt 1995 einem Krebsleiden, bevor er dieses Vorhaben verwirklichen kann.

Der Berliner Alexander Verlag hat Die im Dunkeln und Gottes vergessene Stadt (The Fourth Durango) jetzt wieder neu aufgelegt. Man kann gespannt sein, ob sich der Verlag auch an neue Übersetzungen früherer Titel wagt. Denn diese wurden in den sechziger und siebziger Jahren aus marktwirtschaftlichen Gründen und verqueren Maximen teilweise leider bis auf ein Drittel gekürzt auf den deutschen Markt gebracht.

Umweg zur Hölle

Für diesen Monat kündigt der Verlag das Erscheinen von Umweg zur Hölle (Chinaman’s Chance) an. Für viele Thomas Liebhaber sein bestes Buch. Umweg zur Hölle spielt im kalifornischen Pelican Bay. Pelican Bay ist ein kleines, unscheinbares Städtchen im Süden von Los Angeles, am Pazifischen Ozean gelegen. Doch hinter der idyllischen Fassade von Pelican Bay gibt es wahrscheinlich mehr Korruption pro Quadratkilometer als in jeder anderen amerikanischen Stadt, ausgenommen Washington D.C..

Fadenscheinige Politiker, abwegige Polizisten, schattenhafte Firmenausschüsse und die Mafia wollen in Pelican Bay den Ton angeben. Ein Alptraum mitten im gelackten Kalifornien, aber ein Traum für Artie Wu und Quincy Durant. Die beiden tauchen genüsslich ab in die tiefsten Ebenen der Korruption und Habgier. Für ein paar Informationen schmieren und kaufen Wu und Durant Typen, die schon nach einem guten Steak und drei Wodka Martini ihrer eigenen Mutter nicht mehr geheuer sind. Die dubiosen Interessen ihres Partners Otherguy Overby, die Machtbesessenheit des CIA-Weisen Whittaker Lowell James und die verdrehte Familiengeschichte des ehemaligen Volksmusiktrios „Armitrage Sisters“ sorgen dafür, dass der Kampf um die Macht in Pelican Bay mit harten Bandagen geführt wird.

Die Lektüre ist ein wahrhaftes Fest für echte Triebmenschen. Mal sehen, wie der Berliner Alexander Verlag mit dem Autor und seinem Werk in Zukunft umgeht. Dem Fan bleibt auf jeden Fall die Hoffnung einer neuen Ross Thomas Gesamtausgabe. Bis dahin mixt man sich am besten einen Seven-layer Mint Frappé, lehnt sich zurück, schlägt dazu einen Ross Thomas auf (auch um das Rezept für den Mint Frappé noch einmal nachzuschauen) und fängt an zu lesen. „Es begann, wie das Ende der Welt beginnen wird: mit Telefonklingeln um drei Uhr morgens...“

Ross Thomas: Die im Dunkeln. (Ah, Treachery). Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Gisbert Haefs. Berlin, Alexander Verlag, 302 Seiten, 12.90 Euro.

Ross Thomas: Gottes vergessene Stadt. (The Fourth Durango). Aus dem Amerikanischen von Bernd W. Holzrichter. Berlin, Alexander Verlag, 352 Seiten, 12,90 Euro.

Ross Thomas: Umweg zur Hölle, Aus dem Amerikanischen von Edith Massmann, Berlin, Alexander Verlag, 300 Seiten, 12,90 Euro

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