Staatspleiten statt öffentliche Rettungsaktionen

Lehren aus der Griechenlandkrise: Aufgabe der Stabilitätskriterien

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Eurozone müsse ihre wichtigsten Grundprinzipien über Board werfen um langfristig überleben zu können, meint der Ökonom Jacques Melitz von der Heriot-Watt University in Edinburgh. Anstatt fiskalische Disziplin und die Maastricht-Kriterien zu betonen, sollten Staatspleiten möglich und der EZB die direkte Kontrolle und Stützung der nationalen Bankensysteme überantwortet werden.

Merlitz' Ausgangspunkt ist das längst von dem Ökonomen Robert Mundell, einem der ideologischen Väter der Eurozone, gebrachte Argument, dass sich ja auch niemand Sorgen um den US-Dollar mache, wenn Kalifornien, das in den USA wirtschaftliche in etwa das vierfache Gewicht von Griechenland in der Eurozone habe, seine Rechnungen nicht mehr begleichen kann.

Aus dem Chaos, dass Griechenland angerichtet hat, schließt er nun, dass in der Eurozone etwas "fundamental falsch" laufen müsse. Falsch sind nach ihm genau die von der Deutschen Bundesbank stets so eindringlich eingeforderten strengen Stabilitätskriterien. Diese seien inzwischen so fest verankert, dass auch die Märkte an die offizielle Sichtweise glauben würden. Und diese laute eben, dass jedes Land seinen Haushalt in Ordnung halten müsse und schon gar kein Land pleite gehen dürfe. Folglich ist die offizielle Sichtweise, dass die Schwierigkeiten eines einzelnen Landes ein Problem für die gesamte Eurozone sind. Und da die Ängste der Märkte sehr rasch auf die Realität durchschlagen, werde das regionale Problem Griechenlands zwangsläufig zur Euro-Krise, wie sich im nachhaltigen Kursrückgang des Euro gegenüber dem Dollar seit dem Ausbruch der Krise zeige. Tatsächlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass die offiziell stabilitätsorientierte Konstruktion des Euro Spekulanten dazu einlädt, den Realitätsgehalt der öffentlichen Ansprüche zu testen.

Laut Merlitz sei folglich eine neue Doktrin erforderlich, um zu verhindern, dass ein geringfügiges Problem zur gesamteuropäischen Krise ausarten kann. Dabei müsste vor allem der EZB die direkte Aufsichtsfunktion über die Eurozone-Banken übertragen und auch die Macht eingeräumt werden, als "lender of last ressort" deren Notfallfinanzierung zu übernehmen, was laut Merlitz sogar im Rahmen der Maastrichtverträge gedeckt sei.

So sei die Geldpolitik der EZB um nichts mehr vom Griechenland-Problem beeinträchtigt, als jene der US Federal Reserve Bank durch Kalifornien. So hat Kalifornien bereits im Vorjahr seine Angestellten mit Schuldscheinen bezahlen müssen und gilt nur deshalb nicht als bankrott, weil die Geschäftsbanken diese Scheine bislang honoriert haben. Das regionale Finanzsystem hatte durch die Zahlungsunfähigkeit Kaliforniens indes kaum nennenswert gelitten, obwohl es zusätzlich von einer besonders schweren Immobilienkrise betroffen ist. Und während noch völlig im Dunklen liege, ob und wie die US-Bundesregierung Kalifornien zur Seite stehen werde, sollte auch offiziell der Pleitefall auftreten, habe die Eurozone Griechenland bereits durch das Versprechen signifikant geholfen, Kredite unterhalb des Marktpreises zu geben.

Nun gibt Merlitz zu, dass die Erschütterung der Finanzmärkte durch Griechenland auch deshalb so schwer ausfällt, weil eine Griechenlandpleite vielleicht weit reichende Folgen für andere Euroländer und das europäische Bankensystem hätte, als eine Pleite Kaliforniens auf die USA. Die Stabilitätsdoktrin, die eine Staatspleite in Euroland für undenkbar erklärt, trage laut Merlitz aber jedenfalls einen gewichtigen Beitrag zu den Problemen bei.

An sich hätte die Eurozone keine Veranlassung, einen Staatsbankrott innerhalb ihres Währungsraumes ernster zu nehmen, als jede andere Notenbank die Pleite einer öffentlichen Körperschaft in ihrer Region. Im konkreten Fall würde die EZB dann zwar die Stabilität des griechischen Finanzsektors sichern und etwa bei Bank-runs und Bankpleiten eingreifen, nicht aber bei den Problemen der Regierung. Unter der neuen Doktrin wären also nicht Staatspleiten, sondern solche öffentliche Rettungsaktionen undenkbar.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt würde dann zwar weiterhin als Richtschnur für gutes Fiskalmanagement gelten. Sollte ein Land diesen aber verletzen, müssten letztendlich die Gläubiger und die Steuerzahler dieses Landes die Rechnung zahlen, nicht aber die Eurozone. Diese müsste alleine darauf achten, dass die fiskalische Unzulänglichkeit eines einzelnen Landes nicht auf andere Länder übergreift und dort höhere Risikoprämien und Finanzierungskosten verursacht, was zudem einiges an Unsicherheit und Verwirrung aus den Finanzmärkten nehmen würde.

Kern der Reform wäre, dass an die Stelle der nationalen nun europäische Banklizenzen der EZB treten würden. Ebenso würden die Banken auch einer einheitlichen EU-Aufsicht unterliegen und wären somit von den nationalen Regierungen ebenso unabhängig, wie die kalifornischen Banken von Kalifornien.

Während das Abgehen vom Primat der fiskalischen Disziplin in Deutschland aber kaum viele Freunde finden dürfte, erfreut sich die Forderung nach einem Abwicklungsregime für konkursreife Euroländer großer Beliebtheit. So machte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble umgehend nach der kostspieligen Rettungsaktion für eine Möglichkeit stark, bei der Euroländer in eine "geordnete Insolvenz gehen könnten, ohne dass die Euro-Zone insgesamt gefährdet" werde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits zuvor in einem ARD-Interview gefordert, bei einer solchen "geordneten" Lösung die Gläubiger stärker heranzuziehen.

Von der nun beschlossenen Hilfe scheinen die Märkte immerhin halbwegs überzeugt zu sein. So gingen in einer ersten Reaktion am Montag die Risikoprämien für Ausfallversicherungen für Griechische Anleihen (5yr CDS) von 720 auf 633 Basispunkte zurück, Portugals Risikoprämie sanken von 289 auf 260 und jene Spaniens von 168 auf 155 BP. Da der Außenwert des Euro aber weiter zurückfiel, scheint sich auch die These Merzens zu bestätigen, dass mit der Rettungsaktion zwar die schwächeren Euroländer den Finanzmärkten weniger riskant erscheinen, der Außenwert des Euro insgesamt aber als unter Druck gerät.

Indes hat die EZB ihre Abhängigkeit von den Ratingagenturen am Montag mit einem einzigen Federstrich drastisch reduziert. Denn weil die EZB die griechischen Sparpläne für überzeugend hält, lässt sie griechische Anleihen von jetzt ab mit jedem auch noch so schlechtem Rating für die Refinanzierungsgeschäfte der Banken zu. Freilich bleibt die Abhängigkeit der Eurozone von den Finanzmärkten weiterhin bestehen und eines dürfte nach dieser Griechischen Tragödie jedenfalls klar sein: Dass die Bondmärkte es besser schaffen als jede Regierung oder internationale Organisation, ein Land zum Sparen zu zwingen.