Staatsschulden: Warum wir umdenken müssen

Bild: Alice Pasqual, Unsplash

Die Marktwirtschaft, von der die Neoliberalen und die traditionellen Keynesianer träumen, gibt es schon eine ganze Weile nicht mehr. Wie Scharlatanerie verhindert werden muss.

Der britische Economist gilt als die seriöse Wirtschaftszeitung schlechthin. Wer grundlegende, wenngleich konservative Vorstellungen zu Wirtschaft und Wirtschaftspolitik lesen möchte, kommt nicht umhin, sich mit dem Economist auseinanderzusetzen.

Der Verlag leistet sich sogar eine "Intelligence Unit", die Daten und Analysen bietet, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen sollen. Am 3. Mai widmete der Economist seine Titelstory der amerikanischen Staatsverschuldung und kommt zu dem Ergebnis, dass von Nachhaltigkeit nicht die Rede sein kann.

Heiner Flassbeck. Bild: United States Mission Geneva / CC-BY-2.0

Aufhänger der Geschichte ist im Economist wie in Hunderten anderer Zeitungen dieser Welt natürlich die in den USA unmittelbar drohende absolute Schuldengrenze, die derzeit bei 31,4 Billionen US-Dollar oder 117 Prozent des BIP liegt. Gibt es keine rasche Einigung zwischen Administration und Parlament, wäre die US-Regierung gezwungen, Staatsausgaben zu kürzen, die Steuern zu erhöhen oder, der unwahrscheinlichste Fall, die Bedienung der amerikanischen Staatsanleihen auszusetzen, also das zuzulassen, was man einen Staatsbankrott nennt.

Die amerikanische Schuldengrenze ist ein wirklich lächerliches bürokratisches Monster, das keinerlei ökonomische Berechtigung hat, aber alle paar Jahre für hohe mediale Aufmerksamkeit sorgt – genau bis zu dem Zeitpunkt, wo sich die Beteiligten in den USA doch darauf einigen, sie anzuheben, weil alles andere einfach zu blöde wäre.

Doch der Economist wäre nicht der Economist, wenn er nicht tiefer bohren und die Frage stellen würde, ob nicht ganz unabhängig von der Schuldengrenze die US-amerikanische Staatsverschuldung aus dem Ruder läuft.

Da wird es interessant, weil sich zeigt, dass auch ein Blatt, das für sich in Anspruch nimmt, ernsthafte Analysen zu liefern, nicht über seinen engstirnigen neoklassischen Schatten springen kann. Der Economist schreibt:

Die Zinsen könnten in Zukunft sinken. Sie können aber auch noch eine Weile hoch bleiben. Und in der Welt der höheren Zinssätze, in der Amerika jetzt lebt, können große Defizite zu pathologischen Entwicklungen führen. Um eine so hohe Kreditaufnahme zu finanzieren, muss der Staat einen größeren Teil der Ersparnisse aus dem privaten Sektor an sich ziehen. Dadurch bleibt weniger Kapital für Unternehmensausgaben übrig, was die Investitionsfähigkeit der Unternehmen einschränkt.

Gleichzeitig kann die Notwendigkeit des Staates, Ersparnisse von Anlegern aus dem In- und Ausland anzuziehen, einen Aufwärtsdruck auf die Zinssätze ausüben. Das Risiko, dass Investoren, insbesondere aus dem Ausland, beschließen, ihr Geld woanders anzulegen, würde die Anfälligkeit der amerikanischen Staatsfinanzen erhöhen. Dies wiederum würde die Fähigkeit des Staates einschränken, bei konjunkturellen Abschwächungen Konjunkturimpulse zu setzen.

Aus: Economist (Übersetzung H.F.)

Da haben wir es wieder: Der Staat darf die Ersparnisse der privaten Haushalte nicht übermäßig nutzen, weil sonst für die wirklichen Investoren, die Unternehmen zu wenig übrig bleibt. Auch aus dem Ausland, so das Argument, zieht der US-amerikanische Staat Ersparnisse ab, was sogar zu steigenden Zinsen führen könnte.

Wer in den USA nicht anlegen will, geht einfach woanders hin. Das ist das klassische "Crowding-out", wonach der unproduktive Staat die produktiven privaten Investoren verdrängt und die Anleger darüber entscheiden, wie hoch sich ein Staat verschulden darf. Mit diesem Argument sind die Neoliberalen jahrzehntelang gegen die Ausweitung der Staatstätigkeit zu Felde gezogen – und sie waren erfolgreich.

Auch zwanzig Jahre nach einer wirklichen Zeitenwende in dieser Frage kann man immer noch mit dem alten Argument kommen, ohne dass die gesamte Wissenschaft einschließlich der konservativen Kreise einen argumentativ in Stücke reißt. Die Zeitenwende ist auf den Beginn des Jahrhunderts zu datieren.

Seitdem hat sich nämlich in den USA und in fast allen großen Industrieländern der Welt das Sparverhalten des gesamten privaten Sektors und insbesondere das der Unternehmen so fundamental verändert, dass Crowding-out heute wie ein Märchen aus längst vergangenen Zeiten klingt.

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