Stadtinformationssysteme

Pilotprojekt Münster

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In der Universitätsstadt Münster ist ein elektronisches Stadtinformationssystem installiert worden, das ein virtuelles Abbild der Stadt darstellen soll. Doch die Landesregierung hat kein Interesse daran, daß Städte Telekommunikationsanbieter werden und will das Geschäft lieber den großen Unternehmen überlassen.

Das Stadtinformationssystem Münster - Publikom genannt- soll kostenlos Informationen aus den Bereichen Kultur, Politik, Sport, Wirtschaft, Weiterbildung und Universität auf dem PC oder an öffentlichen Terminals verfügbar machen.

Es gibt zwar auch in anderen Städten solche Systeme, aber sie sind nur übers Internet zu erreichen und weisen Mängel auf. Münsters Stadtnetz hat Pilotfunktion, denn es wird kostenlos, abgesehen von anfallenden Telefongebühren, und ohne notwendigen Internetzugang zur Verfügung stehen. Das Stadtnetz versteht sich als offenes System, das allen Bürgern zugänglich ist, deren Mitarbeit explizit erwünscht ist. Von den Betreibern wird mehr Demokratie, Effizienzsteigerung, der Erwerb von Medienkompetenz und sogar eine Stärkung der lokalen Wirtschaft prognostiziert. Nicht nur jeder interessierte Münsteraner könnte seinen Nutzen daraus ziehen, auch Touristen können sich so einen Überblick verschaffen. Außerdem ist Publikom auch weiterhin über das Internet zugänglich.

Die Lage ist allerdings prekärer: Die NRW-Landesregierung hat kein Interesse daran, daß Städte Telekommunikationsanbieter werden. Genau das wollen die Münsteraner Stadtwerke aber gerne werden, und das Stadtinformationsnetz ist der Einstieg dazu. Die Landesregierung will den großen Unternehmen in der Branche die Türen offen lassen. Beispielsweise Vebacom, die ihre Infocity NRW realisieren wollen. Dieses Konzept sieht vor, die Städte Köln, Wuppertal, Hagen, Dortmund, Essen, Düsseldorf, Bochum, Duisburg, Aachen und Bonn als Metropolitain Area Network (MAN) mittels Glasfaser zu vernetzen. Die Städte sollen im Netz ein einheitliches Erscheinungsbild erhalten. Die Verwaltungschefs der 10 größten NRW-Städte fordern hingegen eine Änderung der Gemeindeordnung, so daß Städten die wirtschaftliche Betätigung auf diesem Sektor ermöglicht wird. Gestritten wird unter Juristen, ob ein "dringender öffentlicher Zweck" vorliegt oder nicht. Der Deutsche Städtetag sieht diesen als gegeben an, sofern die Verwaltung eingebunden ist. In Köln wird dies schon praktiziert.

Begonnen hatte alles Anfang letzten Jahres. Ideen von einem demokratischen Bürgernetz spukten in den Köpfen von einigen Personen des Bürgernetzvereins büne e.V. und vom Bündnis90/Die Grünen. Die Ideen mündeten schließlich Ende Juni in einen Ratsantrag der frischgewählten Rot-Grünen-Koalition im Stadtrat. Unter dem Namen Digitales Offenes Münster (D.O.M.) wurde von da an das Konzept weiterentwickelt. Dadurch wurden Diskussionen in interessierten Kreisen über strittige Fragen ausgelöst: Was gehört zur informationellen Grundversorgung? Wer hat die Kontrolle über das Netz? Welche Organisationsform scheint am angemessensten? Was für eine Rolle hat die Stadt?

Die Verwaltung nahm diesen Ratsantrag jedoch nicht ernst genug, um weitere Schritte einzuleiten. Ein zweiter Gedanke beschleunigte dann den Prozeß: die Stadtwerke, eine 100%-ige Tochter der Stadt, könnten in das Telekommunikationsgeschäft einsteigen. Unter dem Namen Citykom - nun der Netzbetreiber des Stadtnetzes - wurden finanzielle Mittel von den Stadtwerken zur Verfügung gestellt. Der Bürgerverein büne e.V. brachte das notwendige Know-How ein. Im Sinne des Ratsantrages wurde dann im November die Multimedia Initiative Münsterland gebildet, die einen Stufenplan erarbeitete und die beteiligten und potentiellen Akteure an einen gemeinsamen Tisch brachte. Die Meinungen bewegten sich zwischen den Polen "freies Spiel der Kräfte" und "subventionierter Zugang durch kommunale Regelungen". Diese Initiative arbeitete im weiteren Verlauf in einer drastisch verkleinerten Arbeitsgruppe weiter. Es wurde über Zensur, die Zulässigkeit von kryptographischen Verfahren diskutiert, aber auch über die Machtverhältnisse im Stadtnetz. Die Linie der demokratisch denkenden Akteure setzte sich schließlich durch: der Zugang ist für alle Einwohner kostenlos, jeder bekommt einen Account, Zensur findet nicht statt, kryptographische Verfahren zum Verschlüsseln von mails sind möglich und Einzelpersonen haben das Recht, über sie gesammelte Daten einzusehen und zu korrigieren.

Ab Anfang März begann für Münsters Stadtnetz die Pilotphase. Foren dienen zur Diskussion und zum Austausch von Mitteilungen, eine Jobbörse zur Vermittlung von Stellen. Der Fahrplan der Busse und der Bahn ist ebenso zugänglich wie das aktuelle Kinoangebot und ein Veranstaltungskalender. Ein Cityplan dient der ersten Orientierung. Für die Bürger wird ein Startset mit der notwendigen Software vorbereitet. Öffentliche Terminals -Info-Portale - werden in der Bürgerberatung, in Kinos, in der Stadtbücherei und an anderen Orten eingerichtet.

Eine erste Analyse zeigte eine enorme Nachfrage. Unklar aber ist auch nach wie vor, wer in einem vom Stadtrat gewählten Beirat sitzen wird, der als Clearinginstanz fungieren soll, denn Schwierigkeiten sind vorprogrammiert. Beispielsweise wird die Abgrenzung der nichtkommerziellen Anbieter von den gewerblichen voraussichtlich zu Konflikten führen. Die Verwaltung ist in diesem Modell nicht ausreichend berücksichtigt, sie hat sich aber auch bislang, teils wegen Sicherheitsbedenken, nicht zu mehr Engagement durchringen können. Das ist bedauerlich, denn gerade deren Präsenz im Netz würde im behördlichen Alltag vieles erleichtern und die Verwaltung den Einwohnern näher bringen, wie es in Hamburg schon Praxis ist - allerdings via T-Online. Langfristiges Ziel ist es, daß der Bürger interaktiv mit der Verwaltung in Kontakt treten kann, Pässe verlängern, Lohnsteuerkarten beantragen etc.

Aber vielleicht ist das alles nur ein flüchtiger Traum. Vebacom soll in Ruhe sein Glasfasernetz legen und die Infocity NRW realisieren -so die gegenläufigen Vorstellungen der Landesregierung. Städten eine wirtschaftliche Betätigung im Telekommunikationsgeschäft zu erlauben, kommt ungelegen. Münster ist bisher nicht in der Infocity NRW und auch nicht bei der Anbindung der Hochschulen vorgesehen. Ziel der Infocity ist es, im Einzugsbereich des Ruhrgebietes Forschungseinrichtungen, Universitäten und mittelständische Unternehmen miteinander zu vernetzen. Netzwerke für Telearbeit, virtuelle Büros, Telelearning und vernetzte Fernsehanstalten sollen ermöglicht, Markt- und Meinungsforschungsinstituten neue Impulse gegeben und die öffentlichen Verwaltungen offener werden. Schließlich ist auch das Angebot von Stadtinformationsdiensten vorgesehen. Für die Pilotphase muß man 10 000 Privathaushalte gewinnen, die über die Kabelfernsehnetze angeschlossen werden. Eine Abrechnungssystem ist geplant, schließlich wird viel investiert. Bis zur Freigabe des Monopols auf Datennetzdienste am 1.Juli 1996 ist nicht mehr viel Zeit.