Städte im Wettbewerb

Spätestens seit "Stuttgart 21" ist die Stadtentwicklung wieder ein Politikum. Auch bei den anstehenden Wahlen spielt der Streit um die Gestaltung des unmittelbaren Lebensraums eine wichtige Rolle

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"Bayern wird München"

Eigentlich wollte die Bayerische Staatsregierung den im Dezember 2010 abgeschlossenen Bericht ihres Zukunftsrats noch ein wenig unter Verschluss halten. Doch nachdem in den Medien immer breiter und kontroverser über einzelne Aussagen debattiert wurde, entschied man sich schließlich doch, den aus Analysen und Empfehlungen gemischten Text Zukunftsfähige Gesellschaft - Bayern in der fortschreitenden Internationalisierung zu veröffentlichen.

Die Konzentration auf die urbane Konzentration und das Abhängen von Regionen ohne Anbindung an "Leistungszentren" rief Unmut hervor. Grafik: Bericht des Zukunftsrats

Seitdem wird noch heftiger diskutiert, doch es geht dabei nicht um alle Empfehlungen der Ratsmitglieder, die immerhin auch vor "immer mehr finanziellen Transferleistungen an die Unterschichten" warnen und stattdessen den "Leistungsträgern", "Eliten" und "Lokomotiven" der Gesellschaft endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen.

Der Zukunftsrat bekennt sich zu den Leistungsträgern der Gesellschaft. In Zeiten der Individualisierung und eines großen Angebots an Lebens-, Berufs- und Arbeitsalternativen und der Gefahr von Nivellierungen sind Leistungsträger als Vorbilder für eine Gesellschaft unabdingbar. Leistung muss überall gesellschaftlich anerkannt werden, damit erlangter Wohlstand positiv bewertet und respektiert wird. (...)

Leistung lohnt sich für alle. Die positive Darstellung von Leistung als ein Beitrag zum Gelingen eines Vorhabens muss mehr als bisher wieder in die Gesellschaft kommuniziert werden. Das muss schon in Kindergarten und Schule beginnen.

Zukunftsrat der Bayerischen Staatsregierung

Empörung löst nur der zweite von insgesamt vier Einzelberichten aus, der den Titel "Metropolregionen und ländlicher Raum" trägt. Hier empfiehlt der Zukunftsrat eine Entwicklungsstrategie, mit deren Hilfe "potente Städte" zu "überregionalen Leistungszentren" ausgebaut werden sollen. Infrage kommen neben der Landeshauptstadt München, die in der Expertise zum Synonym für den gesamten Freistaat mutiert ("Bayern wird München") auch Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg/Erlangen/Fürth, Regensburg und Würzburg. Der ländliche Raum dient in dem Szenario zur Erholung oder als Wohnraum für Pendler, denn "ein Prinzip der undifferenziert gleichen Förderung ohne Schwerpunktsetzung (Gießkanne)" würde Bayerns Wettbewerbsfähigkeit gefährden.

Der Bericht des Zukunftsrats umfasst 99 Seiten – über 60 Mal taucht hier der Begriff "Wettbewerb" in unterschiedlichen Kombinationen auf. Der Tenor ist jedoch stets identisch: Wenn Bayern mit seinen Leistungszentren im internationalen Vergleich bestehen will, muss auch die Land- und Stadtentwicklung – von baulichen Großprojekten bis zur kleinsten Verwaltungseinheit - nach unternehmerischen Grundsätzen organisiert werden.

22 hochkarätige Experten …

Kritiker aus Oberfranken, Niederbayern oder Schwaben witterten schnell landsmannschaftliche Konkurrenten hinter der einseitigen Ausrichtung des Papiers, da die Oberbayern über eine Zwei-Drittel-Mehrheit (15 von 22 Mitglieder) verfügen.

Bayerns ehemaliger Wirtschaftsminister und Parteivorsitzender Erwin Huber (CSU) ließ sich auf diese Feinheiten jedoch nicht ein und unterbreitete lieber einen sinnigen Vorschlag zur Zukunft des Zukunftsrats.

Der Schaden durch die Vorschläge ist so groß, dass er am besten durch die sofortige Auflösung des Zukunftsrats gemildert oder beseitigt werden könnte. Die Pläne sind haarsträubender Blödsinn, der eingestampft gehört.

Erwin Huber

So sah es auch SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher, der überdies darauf hinwies, dass für die Arbeit des Beratergremiums im Doppelhaushalt stolze 160.000 Euro vorgesehen sind.

Doch wer hat die "22 hochkarätigen Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft" (O-Ton Bayerische Staatsregierung) überhaupt um ihre Meinung gebeten? Horst Seehofer war es – und mehr noch: Die Mitglieder wurden von ihm "ad personam" auf die Dauer von zwei Jahren ernannt. Die parteiübergreifende Kritik an der Arbeit seiner Berater kann der Ministerpräsident nicht nachvollziehen. "Da sitzen nicht nur Akademiker drin", schwor Seehofer auf dem Berchinger Rossmarkt. Sondern? "Praktiker aus dem täglichen Leben", sagte der Ministerpräsident, und tatsächlich: Wer einen Blick in die Mitgliederliste wirft, kann sich vor Praktikern kaum retten: Hubert Burda ist dabei, Alois Glück, der Präsident des Zentralkomitees der Katholiken in Deutschland, ein Gewerkschafter "a.D." oder die Präsidenten der beiden Münchner Vorzeigehochschulen TU und LMU - Wolfgang A. Herrmann und Bernd Huber.

Das sind Unternehmer, die an ihre Heimat denken und sich für die Schicksale der Menschen interessieren.

Horst Seehofer

So wird es wohl sein.