"Star Trek Beyond": Positiver Realismus und der Geist der Utopie

Bild: © 2015 Paramount Pictures

Das Kennedy-Amerika, nicht das von Donald Trump: Sie müssen reden. Die Enterprise-Crew als Weltraum-UNO

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Durch die unendlichen Weiten des Weltalls reiste das "Raumschiff Enterprise" erstmals vor 50 Jahren: 1966 startete die Fernsehserie, die zunächst mit drei Staffeln und knapp über 70 Folgen nur mäßig lief. Erst in den nächsten Jahrzehnten wuchsen sich die Abenteuer über bislang drei weitere Serienfortsetzungen in zusammen über 600 Staffeln sowie in bislang 12 Kinoabenteuern zum erfolgreichsten Science-Fiction-Universum der Weltgeschichte aus. Sogar ein Reboot, ein Neustart der ursprünglichen Serie fürs Kino, wurde 2009 erfolgreich überstanden. Seitdem begleitet die Crew der ersten Star-Trek-Staffel - Captain Kirk, Spock, Pille, Scottie, Uhura, Cekov und Sulu - in jüngeren Jahren, verkörpert von jungen, sehr gut gecasteten Darstellern auf der Leinwand eine neue Generation von Zuschauern.

Nun kommt der dritte Reboot-Film, der insgesamt 13te der Reihe, ins Kino. Das alles ist natürlich Hollywood-Ökonomie, aber damit ist noch nichts festgestellt. Denn "Star Trek" ist viel mehr als nur das.

Das beste an diesem Film ist der Abspann. Und dies keineswegs, weil "Star Trek: Beyond" schlecht wäre. Das ist er nicht - im Gegenteil: Der Film ist sehenswertes, unterhaltsames Pop-Corn-Kino, ein Film aus eigenem Recht, der trotzdem auch langjährige Fans von Fernsehserie und Kinoreihe zufriedenstellen dürfte.

Aber der Abspann bietet trotzdem zum allerersten Mal einige Elemente, die unbedingt nötig sind: Stille, Leere, dann Exzess und Überschreitung - "Space - the final frontier" erklingt und dann folgt ein langer Flug durch die unendlichen Weiten des Weltraums, das visuelle Ausnutzen dieses Raumes, eine Gefühl für Bewegung in der Leere, und ein Verlust der Kontrolle und der Orientierung in diesem Raum, ein Taumeln und Stürzen in ihm wie bei einer Achterbahnfahrt.

Bild: © 2015 Paramount Pictures

Zuvor ging es anderthalb Stunden lang doch weitgehend kontrolliert und gesittet zu. Natürlich im Rahmen der Üblichkeiten heutigen Hollywoodkinos, zu denen Gewalt und Katastrophenszenarien gehören. Eine satte Zerstörungsorgie ist nicht außergewöhnlich, sondern Routinestandard. Diesmal trifft es die "Enterprise" selbst.

Bei einen Angriff hunderter schwarzer insektenartig im Schwarm auftretender Metalldrohnen wird das Raumschiff durchlöchert und in seine Einzelteile zerlegt, bevor es brennend über einem Urwaldplaneten abstürzt. Dort sieht alles fast genauso aus wie in James Camerons "Avatar". Weil die Mannschaft größtenteils gerettet wurde, zwar zum Teil verletzt oder in Gefangenschaft, wird der Film dann für eine ganze Weile ebenfalls in Einzelteile, sprich parallel erzählte Mikro-Geschichten, erzählt. Sie laufen darauf hinaus, dass alle sich wieder zusammenfinden müssen. Dann verprügeln sie ein paar Schurken und schließlich machen sie ein - glücklicherweise am gleichen Ort gestrandetes - Raumschiff eines früheren Zukunfts-Jahrhunderts höchst spektakulär wieder flott.

Bild: © 2015 Paramount Pictures

Es fühlt sich also alles ziemlich lang so an wie eine klassische Folge der ursprünglichen Fernseh-Serie: Im Stil amerikanischer Short-Stories wird eine abgeschlossene Handlung erzählt: Leicht gelangweilt vom eintönigen Einerlei ihrer jahrelangen Raumpatrouille gleitet man durch die unendlichen Weiten. Doch dann findet sich die Besatzung unverhofft auf einem fremden Planeten wieder, wo sie dann überleben oder Ordnung machen muss - alles ein bisschen sehr nach Schema F: 1. Exposition, 2. Frieden, 3. Reise; 4. Gefahr & Angriff; 5. Hoffnungslosigkeit; 6. Widerstand; 7. Endkampf; 8. kurz große Gefahr der Zerstörung von allem; 9. Schlusskampf eins gegen eins; 10. Rettung.

Nur zwischendurch gab es mal kurz visuellen Überschuß: bei der Zwischenstation in "Yorktown", einer utopischen Stadt, die architektonisch an "Deep Space Nine" erinnert, von ihren Lebensbedingungen her an ein multikulturelles Paradies.

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Erst der Showdown in den letzten 20 Minuten wird wirklich rasant. Dann wird der Oberschurke, ein traumatisierter Soldat, der zu einer Art Selbstmordattentäter mutiert ist, spektakulär an der Weltzerstörung gehindert. Zuvor ist der Horizont von Handlung und Figuren kaum größer als eine Einzelkabine auf der "Enterprise".

Der neueste Raumschiff-Enterprise-Film funktioniert also am besten als Spiegel unseres Zeitgeists. Der ist von weltanschaulicher Depression und Emotionalisierung aller Lebensbereiche, einer Wiederverzauberung der Welt geprägt: Ausgerechnet der Erzrationalist und Vulkanier Spock muss zum Beispiel lernen über seine Gefühle zu sprechen - faszinierend!

Vor allem aber grundsätzlich: Da die großen Erzählungen und Erzählmaschinen absolut verbraucht scheinen, da wir uns auch gesellschaftlich und mit dem Schaffen von Kontinuitäten und Weltentwürfen enorm schwer tun, versuchen es die Macher um Regisseir Justin Lin und Produzent J. J. Abrams erst gar nicht. Das Episodische ist endgültig Trumpf geworden.

Bild: © 2015 Paramount Pictures

Aber zugleich funktioniert das Star-Trek-Universum immer noch als liberal-demokratischer Gegenentwurf zum rechtskonservativen Evangelium von "Star-Wars" mit Rittern, Priestern, Prinzessinnen und einer nicht fassbaren übermenschlichen Kraft, die alles durchzieht, und manche Menschen zum Messias macht.

Bei "Star Trek" handelt es sich bekanntlich um dem Weltentwurf eines einzelnen Mannes wie die Fantasy-Universen des J.R.R.Tolkien und des George Lucas. Der ehemalige Bomberpilot Gene Roddenberry (1921-1991) spielte Gott und erschuf die Welt ein zweites Mal - für sich und im Gefolge Millionen Fans.

"Star Trek Beyond": Positiver Realismus und der Geist der Utopie (19 Bilder)

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"Star Trek" ist das Kennedy-Amerika, nicht das des Donald Trump. Hier herrscht die aufgeklärte Vernunft des "kommunikativen Handelns" (Jürgen Habermas). Denn wie schon in der ersten Staffel der Fernsehserie eint die Figuren bei allen unterschiedlichen Temperamenten, Charakteren, Ethnien eines: Sie reden. Sie müssen reden, vor allem miteinander, um sich dem Gegenüber (und uns Zuschauern) zu erklären. Keine "Schweigespirale" (Elisabeth Noelle-Neumann), kein dumpfes Brüten, kein priesterliches Sehertum und anderer Esoterikram, auch keine "Empathikerin" und Gefühlstherapeutin (wie Diana Troi in "The Next Generation") stören hier den zwanglosen Zwang des besseren Arguments.

Die Enterprise-Crew funktionierte wie eine Weltraum-UNO, die überall vor allem westliche Werte verbreitet und ständig gezwungen ist, sich mit neuen Denkweisen auseinanderzusetzen und die eigenen Werte in dieser Auseinandersetzung zu bewahren, aber auch zu schärfen. Die erste Enterprise-Crew verkörperte dabei zwar auch amerikanisches Selbstbewusstsein, aber vor allem die theoretische Neugierde der Neuzeit. Die essentielle Erfahrung der Crew in über 70 Folgen ist die, dass sie auch im jeweils Anderen in erster Linie sich selbst begegnen.

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Zugleich war der relative Realismus der Serie bemerkenswert, ein "positiver Realismus" (Georg Seeßlen) in dem Sinn, dass er nicht naiv, aber werte- und lösungsorientiert war, dass er ein positives, kein skeptisches Bild von Technik zeichnete, dass er Mut zu Positionen hatte, keine softe Universaltoleranz.

Anfangs war das episodisch, mit jeder Folge wurde auch die Aufgabe abgeschlossen. Später spannte die Serie - vor allem in "Next Generation" und "Deep Space Nine" längere Erzählbögen, wurde damit moderner, zugleich privatistischer.

So wirkt "Star Trek XIII: Beyond" aus heutiger Sicht als freundlich-nostalgische Wiederbelebung der Visionen und der Atmosphäre utopischer Fantasy aus den 1960er Jahren, die von den Föderations-Idealen einer intergalaktischen Einheit und des "ewigen Friedens" (Immanuel Kant) im Weltall beseelt war.

Etwas mehr Überschuß und Utopie und großen Weltentwurf, etwas mehr "Beyond", würde man sich aber beim nächsten Mal bereits vor dem Abspann wünschen. Den muss man allerdings sowieso bis zum Ende angucken, denn erst dann erklingt auch Rihannas Titelsong im voller Länge.