Staudamm-Bruch in der Ukraine: Folgen für Getreidepreis und Ökosysteme

Zahlreiche Menschen mussten wegen der Überschwemmungen ihre Häuser verlassen. Foto: State Emergency Service of Ukraine / CC BY 4.0

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms können Felder nicht mehr mit Wasser versorgt werden. Experten rechnen mit Dürrekatastrophe. Droht nun ein weltweiter Mangel?

Die Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms sind bisher nur teilweise absehbar. Wie viele Menschen am Unterlauf des Dnipro in der Südukraine direkt durch die Wassermassen zu Tode kamen, ist noch immer unklar. Vier Menschen seien umgekommen, dreizehn Personen würden vermisst, elf seien verletzt worden, teilte das ukrainische Innenministerium am Freitagnachmittag mit. Nach Angaben der von Russland eingesetzten Behörden waren es da bereits acht Tote.

Tausende wurden und werden evakuiert. Auf dem ukrainisch kontrollierten Ufer seien bis Freitagnachmittag rund 2.400 Menschen evakuiert worden - offenbar unter Beschuss, es habe Tote und Verletzte gegeben.

In der Region Mykolajiw, 75 Kilometer nördlich von Cherson, wurden Straßen, Wege, Felder, ganze Dörfer und Brücken überschwemmt. Laut Vize-Bürgermeister Vitaji Lukow war die Versorgung mit Trinkwasser für die Stadt Mykolajiw seit Langem ein Problem. Nach der Rückeroberung von Cherson lag ein Teil der Trinkwasserversorgungsanlage auf besetztem Gebiet. Das habe die Versorgung erschwert.

Durch die Überflutung sei die ohnehin anfällige Pumpstation überschwemmt, deren Strom vor rund drei Wochen ausgefallen sei. Weil alles unter Wasser stehe, könne die Station nicht repariert werden.

Am rechten Ufer des Dnipro wurden mindestens 17.000 Menschen evakuiert. Auf der von Russland kontrollierten linken Flussseite sind rund 25.000 Menschen in Gefahr. Die Stadt Nowa Kachowka mit rund 45.000 Einwohnern stand zu großen Teilen unter Wasser. Auch hier werden Menschen vermisst. Die Überschwemmung wird wohl auch die Rückeroberung der Gebiete auf der südlichen Dnipro-Seite deutlich erschweren, wie es heißt, denn die Panzer können nicht in die sumpfigen Gebiete vorrücken.

Der Damm war 30 Meter hoch und 3,2 Kilometer lang. Der riesige Stausee wurde 1956 als Teil des Wasserkraftwerks Kachowka gebaut – 240 Kilometer lang, bis zu 23 Kilometer breit, versorgte er die Halbinsel Krim und das Kernkraftwerk Saporischschja mit Wasser. Seit er vor wenigen Tagen brach, strömt das Wasser unkontrolliert aus dem riesigen Stausee und überflutet mehr als 80 Ortschaften in der umkämpften Region.

Das gefährdet die Trinkwasserversorgung in der gesamten Region, auch auf der Halbinsel Krim. In der landwirtschaftlich geprägten Region rund um Cherson mit seinen 1,2 Millionen Einwohnern wurde vor dem Krieg vor allem Getreide angebaut. Mit dem Wasser aus dem Staudamm wurden auch die Getreidefelder bewässert. Dieses Reservoir werde in Zukunft fehlen, fürchten Experten.

In den nächsten Jahren könnten sich Felder in Wüsten verwandeln

Die Zerstörung des Stausees werde die Wasserversorgung von 31 Feldbewässerungssystemen in den Regionen Dnipropetrowsk, Cherson und Saporischschja zum Erliegen bringen, erklärte das ukrainische Agrarministerium. Insgesamt sollen rund 920 Quadratkilometer überschwemmt worden sein. Rund 10. 000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche dürften allein am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson betroffen sein, weitaus mehr jedoch im derzeit russisch besetzten Gebiet:

Wie Satellitenbilder zeigen, wurde der Getreidespeicher in Kosazke auf der nördlichen Seite direkt unterhalb des Dammes fast komplett überflutet.

Weltweit hängen bis zu 400 Millionen Menschen von den Lebensmittellieferungen aus der Ukraine ab. Bisher gelang es, mit Hilfe eines Getreideabkommens einen Teil der Ausfuhren aus dem Land zu sichern. Nun könnte die Agrarproduktion einen harten Rückschlag erleben.

Die Überschwemmung werde die Agrarindustrie der Ukraine hart treffen, befürchten Experten. Damit werde eine der Haupteinnahmequellen aus dem Export von Getreide und die Versorgung am Binnenmarkt ausgeschaltet. Die Getreidepreise am europäischen Terminmarkt steigen bereits deutlich an.