Steinbrück auf Pflichtbesuch in Polen

bild: J. Mattern

Die Faszination an Europa konnte der SPD-Kanzlerkandidat nicht vermitteln, den auch Schröders Gasprom-Deal einholte

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Der Polenbesuch gilt mittlerweile als Pflichtprogramm für Politiker kurz vor oder nach der Annahme eines wichtigen Amts. Guido Westerwelle, Horst Köhler und Joachim Gauck wählten Warschau für den ersten Antrittsbesuch im Ausland. Der Nachbar verbindet Deutschland mit einer schlimmen Vergangenheit, die bilateralen Verhältnisse gelten jedoch seit den letzten Jahren als gut und Gesten werden gern gesehen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stellte sich darum nach einem Besuch in Paris und Athen am vergangenen Freitag dem politischen Establisment vor.

Der Tag begann mit der Kranzniederlegung am Denkmal zum Gehtto-Denkmal, wo 1970 Willy Brandt kniete. Sie gehört mittlerweile zum Standardprogramm der SPD-Politiker. Steinbrück besuchte auch das Museum des Warschauer Aufstandes.

Doch viel unüberwindbarer als die vergangene Feindschaft scheint die aktuelle Freundschaft zu sein: Sein Gesprächspartner Premier Donald Tusk versteht sich blendend mit der aktuellen Kanzlerin. Ihre Parteien gehören auch der Europäischen Volkspartei an. Die CDU-Politikerin konnte sogar mit polnischem Vorfahren und einem kürzlich entdeckten Cousin ihres Vaters in Polen Pluspunkte sammeln.

Beim Heimspiel unter Linken, auf der Presskonferenz mit Leszek Miller, dem SLD-Parteichef, versuchte Steinbrück die SPD mit Borussia Dortmund zu vergleichen - er versuche einen so guten Wahlkampf zu machen wie die polnischen Sportler im Dortmunder Verein Fußball spielten. Dazu gab es als launiges Präsent einen Borussia-Schal.

Den Vortrag "Europa gemeinsam gestalten - Auswege aus der Krise" im fast vollen Audimax der Universität Warschau leitet Steinbrück mit einem persönlichen Erlebnis ein. Er selbst sei 1989 in Polen tief berührt gewesen, als er dort im September auf einem öffentlichen Platz den polnischen Originalradiobeitrag zum deutschen Angriff 1939 hörte. Sein Vater hatte zu dieser Zeit an der Universität in Danzig studiert, ein polnischer Kommilitone war seit dem ersten September verschwunden.

Die oft tabuisierte "deutsche Familiengeschichte im Zweiten Weltkrieg” riss er somit an, erzählte sie jedoch nicht weiter. Hier hätte er an Profil gewinnen können. Denn was dann als Überleitung kam, war zu erwarten: "Europa ist die Antwort auf die Katastrophe des 20. Jahrhunderts."

Polen gelten bislang als EU-Befürworter, die Einführung des Euros wird herausgeschoben. Während das Land mit einem prognostizierten Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent eine Verlangsamung, aber keine Rezession erlebt, trifft auch hier die Jobmisere die bis zu 25-Jährigen mit 28 Prozent Arbeitslosigkeit. Einen europäischen Mindestlohn, wie von der Warschauer Soziologin Julia Kubisa gefordert, lehnte er jedoch als nicht machbar ab.

"Ja, Deutschland wird zahlen"

Doch sonst plädierte der Kandidat für Milde und warb für eine weniger harsche Sparpolitik als Merkel gegenüber den südeuropäischen Mitgliedern: "Die Dosis des Sparens darf nicht tödlich sein”, so seine Annäherung an den französischen Präsidenten Francois Hollande. Banken sollten für ihre Fehler in Zukunft zur Kasse gebeten werden, nicht der Steuerzahler.

peer Steinbrück und Adan Michnik. Bild: J. Mattern

Seine Warnung überzeugte, die Krise nicht allein ökonomisch zu sehen:. In Griechenland würden Linksextreme und Faschisten derzeit bei Neuwahlen mehr Stimmen bekommen als die aktuell regierende Dreierkoalition. Doch die "Faszination”, die von Europa angeblich ausgehe, konnte er seinem Publikum nicht illustrieren, das Statement zur Euro-Krise "Ja, Deutschland wird zahlen" machte dann schon mehr Eindruck.

In der nachfolgenden Diskussion hatte Steinbrück vergangene Fehler seiner Partei einzuräumen. Der ehemalige Dissident und Chefredakteur der Gazeta Wyborcza Adam Michnik verwies auf die SPD-Ostpolitik, die die freie Gewerkschaft Solidarnosc lange nicht ernst nahm.

Auch zum Gasprom-Engagement Gerhard Schröders, das in Polen immer noch für Verärgerung sorgt, musste sich Steinbrück äußern. Deutsche Firmen, so Steinbrück, hätten den Ex-Kanzler zu diesem Engagement gedrängt. Den Verdacht, besonders Russland-affin zu sein, wird ein SPD-Politiker in Polen eben nicht so schnell los.