Stellarer Methusalem in kosmischer Nachbarschaft

Stefan Keller. Bild: Nature

Astronomen entdecken einen der ältesten Sterne im Universum, der überraschenderweise kein Eisen enthält und von einer niederenergetischen Supernova genährt wurde

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Um zu verstehen, aus welchen Bestandteilen sich das Gas im frühen Universum zusammensetzte, wie daraus die ersten Sterne und Elemente entstanden und wie die Übergangsphase vom primordialen Universum zum heutigem Universum aussah, durchmusterte ein amerikanisch-australisches Astronomenteam den Südhimmel. Dabei stieß es auf einen vielversprechenden Kandidaten, der - wie weitere Beobachtungen und Messungen zeigten - zwischen 13,2 und 13,6 Milliarden Jahre alt ist und nur 6000 Lichtjahre von der Erde entfernt liegt. Zur Überraschung der Astronomen enthält der stellare Greis kein Eisen. Wie das Team in der aktuellen AOP-Ausgabe des Nature-Fachmagazins berichtet, explodierte der Vorläuferstern des neuen Sterns entgegen der bisherigen Theorie einst mit sehr geringer Energie. Die archaische Supernova vollzog sich weniger dramatisch und schleuderte weitaus weniger Metalle und Eisen ins All als bislang angenommen. Es sieht so aus, als müsse die Geschichte der Frühzeit des Universums zumindest an einigen Stellen umgeschrieben werden.

Jenseits der Zeitlichkeit, irgendwann zu keinem Zeitpunkt und irgendwo an keinem bestimmten Ort, als der Raum noch keine Mehrdimensionalität kannte, setzte sich vor 13,7 Milliarden Jahren der Urknall (Big Bang) vollkommen geräuschlos und absolut lichtfrei in Szene. Binnen einer Quintillionstel Sekunde blähte sich der Raum aus einem undefinierbaren, unendlich kleinen Punkt (Anfangssingularität) von unbegreiflich hoher Energiedichte und Temperatur mit unglaublicher Geschwindigkeit um den unvorstellbaren Faktor 10 hoch 29 auf - weit über die Größe des heute beobachtbaren Universums hinaus.

Stellare Chemiefabriken

Dabei wurden auch jene chemischen Ingredienzien freigesetzt, aus denen sich später die ersten Sterne bildeten. Als zentrale Ur-Elemente und direkte Produkte des Urknalls eroberten Wasserstoff und Helium das blutjunge Universum. Noch in den 1950er Jahren nahmen Astronomen an, dass auch alle anderen chemischen Elemente mit dem Urknall erzeugt wurden, dass der Urknall der Vater aller Dinge und Materie war.

1957 jedoch vollzog sich der Paradigmenwechsel, als Margaret Burbidge und Fred Hoyle (et al.) in einem legendären Fachbeitrag eine neue Theorie zum Besten gaben, die als Nukleosynthese Berühmtheit erlangen sollte.

Fred Hoyle (1915-2001). Bild: NASA

Dieser zufolge wurden die chemischen Elemente nicht im Urknall synthetisiert, sondern über Jahrmillionen im Innern von Sternen produziert. Mit Ausnahme des Wasserstoffs und Heliums wurden die anderen kosmischen Zutaten systematisch in stellaren Fabriken hergestellt. Das Leuchten der Sterne kommt nicht von ungefähr. Sterne sind große Chemiefabriken, in denen von Generation zu Generation schwerere Elemente mittels Kernfusion gebrütet werden. Die Chemie des Kosmos kann auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurückblicken.

Eigenwillige Definition und komplizierte Altersbestimmung

Um diese und insbesondere die Anfangsphase des Universums besser zu verstehen, suchen Astronomen vereinzelt gezielt nach den ältesten Sternen im Kosmos und folgen dabei dem ungeschriebenen Gesetz: Je metallärmer ein Stern respektive je weniger Eisen in ihm nachweisbar ist, desto älter ist er. Anders gesagt: Mit der Lebensdauer des Universums steigt der Eisengehalt an, weshalb die Quantität an Eisen in einem Stern viel über sein Alter verrät.

Doch zum Leidweisen von gestandenen Chemikern, die mit Astronomie nur wenig am Hut haben, haben die stellaren Archäologen mit der klassischen Definition von Metallen selbst wenig am Hut. Denn wenn Astronomen von Metallen reden, meinen sie zum Entsetzen vieler Chemiker damit keineswegs klassische Metalle wie Eisen, Zink, Gold oder Aluminium, sondern letztendlich alle chemischen Elemente, die schwerer als Wasserstoff und Helium sind.

Manchmal können die stellaren Archäologen bei ganz seltenen metallarmen Sternen, die aus einer Gaswolke gebildet wurden, auf das Alter eines Sterns rückschließen. Dies gelang 2005, als ein Team unter der Leitung von Anna Frebel den bis dahin ältesten bekannten Stern des Universums aufspürte. HE 1523-0901, so der Katalogname des astralen Gebildes, war rund 13,2 Milliarden Jahre alt. Wie alle Sterne dieser früheren Epoche entstand er aus einer Gaswolke, die sehr wenig Eisen und Kohlenstoff enthielt. Da die Forscher seinerzeit in ihm auch die radioaktiven Elemente Thorium und Uran fanden, konnten sie sein Alter relativ gut bestimmen.

Aufnahme einer Supernova aus dem Jahr 1977. Supernovae spielen bei der Produktion der schweren Elemente eine Schlüsselrolle. Bild: ESO

Stellare Populationen und kosmo-chemischer Kreislauf

Heute gilt als gesichert, dass die allerersten Sterne, bestehend aus primordialer Materie (72 Prozent Wasserstoff, 27 Prozent Helium und Spuren von Lithium), das Universum bereits 300 Millionen Jahre nach dem Urknall bevölkert haben. Es waren seinerzeit ausnahmslos Riesensterne mit enormer Masse, Sterne der III. Population, die bereits nach wenigen Millionen Jahren schnell wieder verschwanden und als Paarinstabilitätssupernovae endeten.

Sie bildeten die ersten Metalle und schleuderten diese in den Raum, weshalb sich in den ältesten Sternen der Populationen II Spuren von Metallen nachweisen lassen. Sterne der Population II weisen eine geringere Metallizität auf und sind in der Regel mehrere Milliarden Jahre alt. Astronomen lokalisieren solche oft in Kugelsternhaufen und im ausgedehnten galaktischen Halo der Galaxis.

Derweil sind die meisten Sonnen in der Milchstraße Sterne der Population I. Sie sind relativ jung und leuchten stabil. Und sie zeichnen sich durch einen hohen Anteil an schweren Elementen aus, die frühere Sterngenerationen produziert haben.

Stellarer Fingerabdruck

Bereits in kosmo-archaischer Urzeit begann ein chemischer und materieller Kreislauf, der bis heute anhält. Gehen sterbende massereiche Sterne in eine Supernova über, schleudern sie bekanntlich die in den Sternküchen zusammengekochten Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff immerfort zurück ins All. Zu guter Letzt bereichern sie das Universum dabei zusätzlich mit noch mehr Chemie, weil just im Moment der Explosion einer Supernova weitere Elemente produziert werden, die zuvor in dem Stern nicht synthetisiert wurden.

Da im Universum keine Materie und Energie verloren geht, setzte sich dieser Vorgang immer wieder über Generationen von Sternen fort. Jeder Stern verfügt demnach über einen Elementen-Cocktail, der in zahlreichen Supernova-Ereignissen über Jahrmilliarden hinweg zusammen gemixt wurde.

Blick auf Messier 15 (NGC 7078), zirka 30.000 Lichtjahre entfernt. Alle dem Kugelsternhaufen zugehörigen Sterne sind um die 13 Milliarden Jahre alt. Eine wahre Fundgrube für stellare Archäologen. Bild: ESA/NASA

Um konkrete Informationen über die chemische Zusammensetzung des jeweiligen observierten Sterns zu erhalten, benötigen die stellaren Archäologen sehr sensible optische Teleskope und leistungsstarke Spektrografen, mit denen sie das Sternenlicht zerlegen und die charakteristischen Absorptionslinien sezieren. Wenn ein chemisches Element bei einer bestimmten Wellenlänge Licht verschluckt, manifestiert sich dieser Effekt im Spektrum als dunkle Linie.

Je schwächer eine Linie ausgeprägt ist, desto weniger Metalle sind in einem Stern vorhanden. Kein Wunder demnach, dass bei metallarmen Sternen aufgrund des Eisenmangels die Eisenlinien sehr schwach ausgeprägt sind. Derlei Sterne lassen sich am besten in flagranti erwischen, wenn die Fraunhoferlinien, genauer sagt die Kalzium-K-Linie, ins Visier genommen wird. Sie ist der beste Indikator für die Metallizität eines Sterns.

SMSS J031300.36-670839.3

Ebenfalls ins Visier genommen hat unlängst ein amerikanisch-australisches Astronomenteam einen Stern, der auf die wenig einprägsame Katalognummer SMSS J031300.36-670839.3 (Nickname= SM0313) hört. Der Fund basiert auf Datenmaterial, das der 1,5-Meter-Primärspiegel des Australian National University’s SkyMapper Teleskops im Rahmen eines fünfjährigen Suchlaufs des Südhimmels gesammelt hat. Dabei erfasste der SkyMapper 60 Millionen Sterne. Den Forscher gelang es, die stellare Nadel im Sternhaufen zu finden.

Hubble-Astrofoto von der 320 Millionen Lichtjahre entfernten Spiralgalaxie NGC 4911. Zweifelsfrei sind in dieser Galaxie zahlreiche metallarme Sterne zuhause. Nur für irdische Astronomen werden sie vorerst ein unlesbares Buch mit sieben Siegeln sein, weil sie für eine effektive Spektralanalyse schlichtweg zu weit entfernt sind. Bild: NASA, ESA, and the Hubble Heritage Team (STScI/AURA)

Nachfolgebeobachtungen mit dem Las Campanas Observatory in Chile bestätigten den Fund. Mithilfe des 6,5-Meter-Spiegels des Magellan Teleskops II (Clay-Teleskop) und MIKE-Spektrografen konnten die Astronomen die Absorptionslinien noch präziser erfassen. Der gesammelte Datenfundus belegt, dass der nur 6000 Lichtjahre entfernte und im Sternbild "Kleine Wasserschlange" gelegene Stern eindeutig ein Vertreter der zweiten Generation und mit einem Alter von 13,2 bis 13,6 Milliarden Jahre einer der ältesten detektierten Sonnen ist.

Die Spektralanalyse und das Studium der Absorptionslinien des neuen Sterns offenbarten, dass in dem Stern so gut wie kein Eisen vorhanden ist, was ein eindeutiges Indiz für sein hohes Alter ist.

"Das verräterische Zeichen, dass der Stern so alt ist, ist die komplette Abwesenheit von irgendwelchen nachweisbaren Spuren von Eisen im Spektrallicht des Sterns", erklärt Stefan Keller von der Australian National University in Canberra (Hauptstadt Australiens), der Projektleiter und federführende Autor der Nature-Artikels, der gestern online veröffentlicht wurde.

Zwar fanden die Forscher bei vorangegangenen Suchläufen noch vier weitere Sterne mit ähnlich niedrigem Eisengehalt, dennoch ist SMSS J0313 in puncto Eisenarmut fraglos konkurrenzlos.

Neue Daten korrespondieren nicht mit altem Modell

Dass der stellare Methusalem indes einen Eisenanteil aufweist, der 10 Millionen Mal geringer ausfällt als der unserer Sonne, kommt für die Forscher völlig überraschend und korrespondiert nicht mit den Messdaten früherer Observationen. Nicht minder überrascht sind die Forscher auch über den vergleichsweise hohen Kohlenstoffgehalt in SM031.

Das Spektrum von SM031. Die hier zu bestaunenden starken Linien dokumentieren das Vorkommen von Wasserstoff und Kohlenstoff. Zum Vergleich: Würde man das Spektrum unserer jungen und metallreichen Sonne hier abbilden, sähe man viele Tausend schwarze Linien. Bild: Anna Frebel

Ebenso frappierend ist die Tatsache, dass SM031 seine Metalle dereinst nur von einer einzigen Supernova erhalten hat. Von einer Supernova, deren Vorgängerstern ungefähr die 60-fache ursprüngliche Masse unserer Sonne gehabt hat. Aber wider Erwarten und entgegen allen bisherigen Beobachtungen und Extrapolationen war die Supernova vor 13,6 Milliarden Jahren offenbar nicht energiereich und stark, sondern eher recht energiearm.

Genau hier widerspricht das bisherige Modell, dem zufolge im frühen Universum sehr energiereiche Supernovae das Geschehen dominierten, die spektakulär und gewaltig explodierten und dabei große Mengen an schweren Elementen wie Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen freisetzten, die wiederum von den Nachfolgesternen absorbiert wurden. Die Astronomen gingen davon aus, dass die ersten Sterne im Kosmos sehr massereich, kurzlebig und instabil waren und schnell zur Supernova mutierten und dabei die Galaxie desgleichen schnell mit Eisen bereicherten. Doch anno dazumal herrschten offensichtlich andere Spielregeln.

Magellan-Teleskope. Bild: Carnegie Institution for Science

Zurück zum Reißbrett

Wenn dem so war, dass müssen die Forscher ihr Modell überarbeiten. Dies sieht auch Anna Frebel ähnlich, die als Assistant Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge lehrt und forscht und an der Entdeckung des von SM0313 maßgeblichen Anteil hatte.

Dieser Stern hatte eine geringere Explosionsenergie als erwartet. Sie war sogar niedriger als die von heutigen Supernovae. Es war wirklich ein unerwarteter Fund. Uns sagt dies in gewisser Weise, dass wir zurück zum Reißbrett müssen, weil es unter der ersten Generation von Sternen viel größere Vielfalt gibt, als wir bislang angenommen haben.

Ihr Kollege, Stefan Keller, indes hat für das Verschwinden der schwereren Elemente eine plausible Erklärung:

Alles spricht dafür, dass die Explosion des primordialen Sterns überraschenderweise mit sehr geringer Energie erfolgt ist. Obgleich sie groß genug war, den primordialen Stern zu zerstören, wurden fast alle schweren Elemente wie Eisen von einem Schwarzen Loch verschluckt, das sich im Herz der Supernova-Explosion gebildet hat.

Konsequenzen

Der aktuelle Fund und die gesammelten Daten könnten in Zukunft dabei helfen, das Wechselspiel zwischen Sternentstehung, Supernovae und chemischer Evolution im frühen Universum besser zu verstehen.

Sie könnten Antworten auf die Fragen liefern, aus welcher Art von Gaswolken Sterne entstanden sind und wie die Vorgängersterne (einer der ersten Sterne) diese Gaswolke verschmutzt und mit Elementen angereichert haben. Wie Anna Frebel in einer E-Mail an Telepolis erklärt:

Diese Methode ist die einzige, um etwas über diese allerersten Sterne zu lernen, da sie ja selbst nur sehr kurze Lebensdauer hatten und schon bald nach ihrer Geburt als Supernova explodierten."

Die Nature-Autoren vermuten, dass niederenergetische Supernovae im frühen Universum weit verbreitet waren und eine wichtige Rolle für die Sternentwicklung und Galaxienbildung gespielt haben. Hierzu Frebel gegenüber Telepolis:

Das hat natürlich weitreichende Konsequenzen, denn mit den ersten Sternen fing ja die chemische Entwicklung an, die zu späteren Zeiten Planeten und dann Leben ermöglichte. Mit diesen ältesten Sternen der frühesten Generationen haben wir also die Möglichkeit diese Anfänge der chemischen Entwicklung und natürlich die der ersten Sterngenerationen und der ersten Galaxien bestmöglich zu rekonstruieren. Mit jedem Rekordstern wird dies immer besser.

Paper " A single low-energy, iron-poor supernova as the source of metals in the star SMSS J031300.36-670839.3"

"Yes, yes, we have done it again!" - Anna Frebels Sonder-Website zur Entdeckung mit weiterführenden Info, Bildern, Links und Animationen etc.