Stellares Relikt aus der frühen Milchstraße

Astronomen haben einen metallarmen Stern am Rande der Galaxis entdeckt, der ein Relikt aus der Frühzeit des Universums ist

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In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature veröffentlichen N. Christlieb, B. Gustafsson, P.S. Barklem, T. Karlsson und M. Mizuno-Wiedner von der Hamburger Sternwarte, M.S. Bessell vom Mount Stromlo Observatory, T.C. Beers von der Michigan State University in East Lensing, A. Korn von der Universitäts-Sternwarte München sowie S. Rossi von der Universidade de Sao Paolo ihren Bericht über die spektakuläre Entdeckung des Sternenrelikts am Rande der Milchstraße. Die Existenz metallarmer Sterne ist theoretisch seit langem vorhergesagt, aber es war trotz intensiver Suche seit mehreren Jahrzehnten nicht gelungen, einen solchen Stern tatsächlich nachzuweisen.

Verschiedene Aufnahmen der Milchstraße, Bild: University of Dallas

In der Astronomie werden im Gegensatz zur Chemie alle chemischen Elemente, die schwerer als Helium sind als Metalle bezeichnet. Diese schweren Elemente haben sich in den Sternen gebildet, die sie dann jeweils spätestens am Ende ihres Lebens wieder in den Weltraum ausgestoßen haben. Nach dem Urknall (vgl. Vom Ende der Welt zum Big Bang) gab es zunächst nur Wasserstoff und Helium, erst in den nuklearen Brennöfen der Sterne bildeten sich die Metalle (vgl. Kernsynthese im frühen Universum). Ganz frühe Sterne sollten also entsprechend sehr wenig Kohlenstoff, Phosphor, Blei und andere schwere Elemente enthalten. Bisher wurden aber nur Sterne gefunden, die ein Zehntausendstel des Metallanteils unserer Sonne enthalten, was aber nicht den theoretischen Vorhersagen entsprach, die von sehr viel weniger ausgehen.

Die meisten Sterne - auch die Sonne - in unserer Galaxis bestehen aus ein bis zwei Prozent Elementen, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium. Es gibt allerdings eine Population von Sternen, bei denen der Anteil an schweren Elementen lediglich ein Zehntel bis ein Hundertstel dieses Wertes beträgt. Diese Sterne bewegen sich in einem großen Schwarm um die Milchstraße, dem so genannten Halo. Sie wurden geboren, als die Galaxis noch jung war und ihre Bewegung enthält noch Informationen über die Entstehungsprozesse der Milchstraße. Die Astronomen bezeichnen die Halo-Sterne als Population II, im Gegensatz zu den jüngeren Sternen der Scheibe, die Population I genannt wird. Sterne der Population II enthalten Metalle, die in älteren und bereits nicht mehr existierenden Sternen entstanden sind.

Der jetzt entdeckte Stern mit dem poetischen Namen HE 0107-5240 enthält nur ein Zweihunderttausendstel (1/200.000) der Metallmenge unserer Sonne. Er wurde im Zug der systematischen Suche der Hamburger Sternwarte nach metallarmen Sternen aufgespürt. Das Projekt nennt sich "Hamburg/ESO-Surveys" und sucht mithilfe der Bilder eines Weitwinkel-Teleskops der Europäischen Südsternwarte in Chile den südlichen Sternenhimmel ab. Mittels einer Computeranalyse der gewonnenen Spektralaufnahmen von Millionen von Sternen, gelang es den Wissenschaftlern, bereits 8000 Sterne aufzuspüren, die sehr metallarm sind. Diese Kandidaten werden jetzt eingehender untersucht.

Bei HE 0107-5240 ist das schon geschehen. Dieser Stern ist viele tausend Mal leuchtschwächer als ein Stern, der gerade noch mit dem bloßen Auge zu erkennen ist. Er befindet sich 36'000 Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Phoenix und umfasst die 0,8-fache Masse unserer Sonne. Im Dezember 2001 wurde er mit dem UVES-Spektrographen des Very Large Telescopes der ESO abgebildet und seine chemische Zusammensetzung analysiert. Er erwies sich als der lange gesuchte Stern mit dem bisher geringsten Anteil an schweren Elementen. Dr. Norbert Christlieb, Hochschulassistent an der Hamburger Sternwarte, erklärt dazu:

Niemals zuvor sind wir mit der Untersuchung von Sternen so dicht an die Zustände unmittelbar nach dem Urknall herangekommen. Aber offensichtlich ist schon eine Menge passiert zwischen dem Urknall und der Entstehung dieses Sterns. Obwohl er arm an schweren Elementen ist, enthält er eben doch schon einige davon. Diese wurden wahrscheinlich in noch massereicheren Sternen gebildet, die als Supernovae explodiert sind. Außerdem enthält der Stern ungewöhnlich viel Kohlenstoff und Stickstoff. Diese Elemente sind wahrscheinlich durch Kernfusion im Inneren des Sterns entstanden und durch Vermischung an die Sternoberfläche geraten. Es ist auch möglich, dass ein benachbarter Stern am Ende seines Lebens Masse auf unseren Stern übertragen und ihn so verschmutzt hat. Wir haben aber keine Beweise dafür, dass so etwas passiert ist.

HE 0107-5240 ist der reale Beleg für die Existenz der bisher nur theoretischen metallarmen Sterne. Zugleich wirft seine Entdeckung aber auch neue Fragen auf. Seine geringe Größe ist verblüffend, denn die Theorie ist bislang davon ausgegangen, dass sich kleine Sterne nur schwer aus Gaswolken ohne schwere Elemente bilden. Erstaunlich ist dazu der bereits erwähnte relativ hohen Anteil von Kohlenstoff und Stickstoff.

In ihrem begleitenden News&Views-Artikel in Nature zeigt sich Catherine Pilachowski von der Indiana University begeistert:

Einen Stern zu finden, der zwanzig Mal weniger Metall beinhaltet als alle anderen bis bisher entdeckten, ist verblüffend. Trotzdem sind weitere Entdeckungen nötig, um zu beweisen, dass HE 0107-52 nicht ein seltener oder einzelner Ausnahmefall ist. Noch fehlen Sterne, um die riesige Lücke zwischen den verschiedenen Metallanteilen von ein Zehntausendstel und ein Zweihunderttausendstel zu belegen und zu erklären. Pilachowski meint: "Die Antwort darauf wird nur die Zeit und eine Erweiterung neuer Beobachtungsstudien über noch schwächer leuchtende Sterne bringen.