Stuttgart 21: Kritiker zerpflücken Brandschutz-Konzept

Seite 2: "Das Ganze ist eine Fehlkonstruktion aus Kostengründen"

Hätte man gemäß der gängigen Sicherheitsanforderungen konstruiert und dafür noch viel mehr Gestein aus den Bergen gebaggert, wären die Ausgaben ins Unermessliche gestiegen – was sie auch so schon tun.

"Das Ganze ist eine Fehlkonstruktion aus Kostengründen", befand WikiReal.org-Sprecher Joris Schoeller gegenüber Telepolis. "Es war der politische Wille, das Projekt auf Gedeih und Verderb durchzuziehen und das könnte irgendwann tödlich enden." Anknüpfend an den Wortlaut des Brandschutzfachmanns Keim ergänzte Schoeller: "Wenn etwas Schlimmes passiert, werden diese Tunnel zu Krematorien."

Forderung nach Bestätigung des "Universalbrandschutzkonzepts"

In seinem Offenen Brief an PSU-Chef Olaf Drescher bittet dessen Mitstreiter Engelhardt darum, einen Experten zu benennen, der das behauptete "Universalbrandschutzkonzept" bestätige, und "lassen Sie ihn oder sie für diese Einschätzung eine nachvollziehbare Begründung abgeben". Er glaube indes nicht, "dass sich so ein Fachmann auftreiben lässt", bemerkte der Analyst im Gespräch mit Telepolis.

"Das wäre eine absolute Revolution im Brandschutz, wenn es genügen würde, einen Tunnel auf Mindestanforderungen auszulegen, und er dann trotzdem Zügen mit Tausenden Passagieren gewachsen wäre." Beispielhaft wird in dem Schreiben auf den "Neuen Mainzer Tunnel" verwiesen, der nach DB-Angaben innerhalb von 15 Minuten verrauchen würde. Die S21-Tunnel sind allerdings nur ein Drittel so breit.

"Tunnel, die rund 16-mal so riskant ausgelegt wurden wie üblich, können keinesfalls so sicher sein wie übliche Tunnel, und natürlich kann ein Rettungskonzept nicht unabhängig von der Art der eingesetzten Züge sein", setzte der WikiReal-Gründer nach. Denn überall im Brandschutz ist die Personenzahl die Grundprämisse, "Und bei den Stuttgart-21-Tunneln hat sich die Evakuierungszeit mit der zuletzt verdoppelten Personenkapazität mehr als verdoppelt."

Simulierte Sicherheit: Das Brandschutzkonzept von S21

Nun ist es nicht so, dass S21 kein Brandschutzkonzept hätte. Dieses sieht etwa eine Weiterfahrt oder ein Weiterrollen eines brennenden Zuges in den Tiefbahnhof vor. Fraglich bloß, ob sich jeder Zug, zumal ein entgleister, daran hielte. In jedem Fall müsste dafür eine Tunnelröhre sowie im Bahnhof ein entsprechendes Bahnsteiggleis ständig freigehalten werden, was den angepeilten Hochleistungsbetrieb empfindlich stören würde.

Überdies wurde von den Machern bis heute nicht der gemäß EBA-"Tunnelrichtlinie" verlangte Nachweis erbracht, dass in der Not die "Selbst- und Fremdrettung gewährleistet" ist. Dabei hatten die Verantwortlichen das lange Zeit behauptet – mit Verweis auf eine schon 2014 durch das Schweizer Planungsbüro Gruner AG angefertigte Simulation für einen Unglücksfall im Fildertunnel – dem mit neun Kilometern längsten Zulauf zum künftigen Stuttgarter Tiefbahnhof.

Diese liefere den Beweis, so hieß es damals, dass sich bei einem sogenannten Heißereignis alle 1.757 Passagiere eines vollbesetzten Doppelstockzuges unbeschadet und über Querstollen innerhalb von elf Minuten in die Nachbarröhre in Sicherheit retten könnten. Das Resultat fiel damit sogar noch besser aus als von der Stuttgarter Branddirektion gefordert. Die hatte für die Entfluchtung ein Zeitfenster von maximal 15 Minuten gefordert.

Rechtsweg ohne Erfolg: Kein Einblick in die Simulation

Die DB-Kritiker haben jahrelang auf dem Rechtsweg vergebens versucht, Einblick in das Material zu erhalten. Immerhin stellte sich im Laufe der Auseinandersetzung heraus, dass besagtes Computermodell kein "Heiß-", sondern ein "Kaltereignis" durchspielte. Was fehlte, war ein Feuer und damit noch viel mehr. Rauch- und Hitzeentwicklung? Mobilitätseingeschränkte Personen? Panikverhalten der Flüchtenden? Nichts davon war Gegenstand der Untersuchung.

Aber es war diese ominöse Simulation, auf deren Grundlage etwa die Feuerwehr grünes Licht gegeben hatte zum Brandschutzkonzept. Man kann nachvollziehen, warum die PSU alles unternommen hat, das Ding unter Verschluss zu halten.

Vor fast drei Wochen zog das Verwaltungsgericht Stuttgart einen Schlussstrich unter die Angelegenheit und erklärte die Deutsche Bahn zum "Sieger". Die habe belegt, dass das Material schon vor acht Jahren gelöscht worden sei. Wo es nichts gibt, gibt es auch nichts zu holen. Keine weiteren Fragen, bitte!