Supa Soul Sistaz

Keine Kompromisse mehr: Afro-amerikanische Künstlerinnen wie Erykah Badu, Jill Scott und Ursula Rucker haben kreative Kontrolle über ihre Musik und ihr Image

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Nicht ist schlimmer, als wenn in regelmäßigen Abständen - immer wenn wieder Veröffentlichungen von weiblichen Künstlerinnen anstehen -, von der neuen "Frauenpower" die Rede ist. Ganz offensichtlich spielt Gender eine größere Rolle als Talent oder skills. Klar das Musikbusiness ist ein Old-boys-network und Frauen haben es vergleichsweise schwer, wenn sie nicht vollbusig im Bikini vor der Kamera über Blow Jobs hauchen; sinnlos anzumerken, dass niemals von der "Männerpower" die Rede ist, auch wenn Männer in bislang typische Frauendomänen eindringen, wie es z.B. im R&B zur Zeit der Fall ist....In der Popmusik im allgemeinen und im R&B im speziellen ist nach wie vor meist "Sängerin" gemeint, wenn von "Künstlerin" oder "Musikerin" die Rede ist.

Wenn eine Frau auf einer Platte zu hören oder im Video zu sehen ist, wird vorausgesetzt, dass vom Produzenten der Platte bis zum Regisseur des Videos ein Mann dafür verantwortlich ist. Doch für eine Reihe von Frauen ist es mittlerweile selbstverständlich, dass sie ihre eigenen Songs schreiben, texten und singen. Sisterhood kann wirklich powerfull sein - vor allem wenn man so viele Supa Soul Sistaz hat.

Erykah Badu, Promotion Photo von ihrer Website

Als Erykah Badu 1997 ihr Debütalbum "Baduism" herausbrachte, war das eine kleine Sensation. Mit einem Charteinstieg auf Platz zwei war es das bis dato bestverkaufte Debütalbum einer neuen weiblichen Künstlerin. Ihre Musik ist eine sanfte Mischung aus dem reichhaltigen Fundus der Tradition der Black music: Südstaaten-Jazz, lauer Sommerabend-Swing, Blues und ganz viel 70er Jahre Soul. Sie zitiert Billie Holiday, Bessie Smith aber auch Marvin Gaye und Curtis Mayfield. Erykah Badu:

"Es gibt Millionen und Millionen von Atomen ihrer Musik in meiner Musik. Das meine ich nicht nostalgisch, für mich ist das real."

Dies scheint nicht so ungewöhnlich, beziehen sich doch nahezu alle afro-amerikanischen Künstlerinnen auf ihre populären Vorfahren - doch was Badu von allen anderen unterschied, war ihr Auftreten. Das Video ihrer ersten Single "On & On" spielt Szenen aus dem Spielberg-Drama "Die Farbe Lila" nach, ein Film über die Selbstfindung einer schwarzen Frau in den amerikanischen Nachkriegssüdstaaten, nach einem Roman von Alice Walker. Badus Texte handeln von Selbstreflexion, Afrozentrismus, Spiritualismus und Bewusstsein, schwarzem Bewusstsein. "Als ich diese Musik schrieb und kreierte, schuf ich mich selbst als Person, als Frau und als African-American." sagt Badu auf ihrer Website.

Badu arbeitet nicht nach dem Sex-sells-Prinzip, ihre gesamte Erscheinung ist eine einzige Referenz an die Geschichte, Wurzeln und den Stolz der African-american. Sie kleidet sich in traditionelle Gewändern, trägt ungeglättete lange Rastazöpfe, (böse Zungen belächelten dies oftmals als Marge-Simpson-Frisur). Dies stellte zu diesem Zeitpunkt eine eindrucksvolle Alternative zu den existierenden Bildern schwarzer Frauen in den amerikanischen Medien dar. Der afroamerikanische Journalist Greg Tate beschrieb es wie folgt:

"Die Vorfahren haben Badu gesandt, um uns zu helfen, aus unserem völkermordenden Konsumverhalten auszubrechen - und vielleicht auch, um der Plattenindustrie die Nachricht zu übermitteln, dass wir in unserer Musik zu mehr bereit sind als zu Mord, Pornografie und Prostitution."

Erykah Badu, Promotion Photo von ihrer Website

Aber auch in anderer Hinsicht ist Badu eine Ausnahmekünstlerin, als Songschreiberin, Produzentin und Videoregisseurin hielt sie nahezu sämtliche Zügel während der Produktion in ihrer Hand. "Als Künstlerin muss ich alles tun, was mit meiner Musik und meinem Projekt zu tun hat", sagte sie damals. "Manchmal befürchte ich, dass nie jemand wissen wird, dass ich alles allein mache, und dann leide ich darunter. Dann wiederum denke ich: 'Warum mache ich das? Mache ich es, damit mir Leute eine Trophäe dafür geben oder weil es nun mal das ist, was ich machen soll?' Ich habe immer noch keine Antwort auf die Frage, aber ich denke, ich will eine Trophäe." (Interview bei Inkblot)

Und Sie bekam eine Menge. Sie sahnte nahezu sämtliche Musikpreise ein, die das Business so bietet: von zwei Grammys, vier Soul Train Awards, vier Soul Train Lady of Soul Awards, zwei NAACP Image Awards und einen American Music Award. Gleichzeitig wurde Sie nun zum ersten weibliche Aushängeschild eines neuen Genre, welches bald Neo-, Retro Nuevo-, New Classic- oder Nouveau Soul getauft wurde.

Jill Scott, India.Arie, Angie Stone, Lauryn Hill aber auch Macy Gray und Mary J. Blige werden ebenso dazu gezählt wie D'Angelo und Maxwell. Badu selber sieht die Gemeinsamkeiten jedoch ein wenig anders:

"Ich denke nicht, dass die Künstler, die unter diesem Label Neo-Soul zusammengefasst werden, ähnlich klingen. Und ich finde auch nicht, dass man sie auf diese Art vergleichen sollte. Aber was wir gemein haben, ist, dass wir unserer Musik treu sind und dass wir keine - wie auch immer gearteten - Kompromisse eingehen. Ich kenne keine Bezeichnung dafür, aber ich halte es deshalb für passend, dass wir in der gleichen Kategorie sind."

Who is Jill Scott?

Jill Scott, Promotion Photo von ihrer Website

Jill Scott hält es für Erykah Badus größte Errungenschaft, dass sie ohne Zugeständnisse erfolgreich ihre eigenen Vorstellungen transportieren konnte. Von dem immer noch vorherrschenden Bild, das es von Frauen im R&B und HipHop gibt, ist sie alles andere als erfreut: "Wenn ich auch nur ein weiteres Rap- oder R&B-Video mit Mädchen sehe, die ihre Ärsche in die Kamera halten, fange ich an zu schreien", stöhnt die 28jährige. "Ich mag es genauso wie jeder andere, meinen Körper zu feiern. Aber diese kleinen Mädchen brauchen Liebe, Regeln und Unterstützung."

Anders als Badu hatte Jill Scott ein schwieriges Debüt. Dramatisch kreuzte sich ihr Weg mit dem Badus. Zwei Ausnahmemusikerinnen, Songschreiberinnen und Sängerinnen, denen es vor allem auch um Selbstbestimmung und Kontrolle über eigenes Material geht, gerieten auf unschöne Weise aneinander: 1997 hatte Jill Scott den Text und die Melodie des Refrains für den Song "You Got Me" bei einem Studio-Treffen mit den Rappern von Roots improvisiert. Die Gruppe war begeistert und nahm mit ihr das Stück für das Album "Things Fall Apart" auf. Danach ging Scott auf eine mehrmonatige Tour. Während ihrer Abwesenheit wurde der Song von Erykah Badu neu eingesungen. Für die bis dahin zwar respektierten, aber nur mäßig kommerziell erfolgreichen Roots könnte dieser Song endlich den entscheidenden Durchbruch bringen. Diese Chance wollte man sich nicht durch eine Sängerin verbauen, die niemand kennt. Heute sieht Scott resigniert ein:

"Klar, ich hätte die Veröffentlichung auch verhindern und den Song selbst veröffentlichen können. Doch dann kam ich zur Einsicht, dass es so vielleicht sogar besser ist, als wenn meine Fassung herausgekommen wäre. Als Frau wirst du im Musikgeschäft oft nur als Sängerin wahrgenommen. So hatte ich jedoch die Chance, zuerst als Songschreiberin auf mich aufmerksam zu machen. Als Songschreiberin für eine Grammy-Gewinnerin!"

Das Ende verlief glimpflich: "You Got Me" wurde mit einem Grammy ausgezeichnet, die Roots hatten ihren Hit und Jill Scott galt plötzlich als eines der gefragtesten Songwriter-Talente. Sie schrieb und sang für Will Smith, u.a. "Wild Wild West" und tourte als Musicaldarstellerin für "Rent" durch Kanada. 2000 schließlich versuchte sie es ein weiteres Mal und veröffentlichte ihr eigenes Debütalbum "Who is Jill Scott?".

Jill Scott, Promotion Photo von ihrer Website

Auch sie fiel durch ihre Erscheinung auf, jedoch weniger über ihren Bezug zum Afrozentrismus, sondern ihre unaufdringliche Ehrlichkeit, Normalität und "Realness". Auf die Frage, wer sie denn nun wirklich sei, antwortete sie:

"Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, ich kann mich nicht in Parametern messen, ich will nicht in eine Schubladen gesteckt werden. Mein Haar ist nicht gemacht, ich bin nicht dünn, ich hab keinen dicken Hintern. Ein wirklich wichtiger Teil meiner Arbeit ist, dass jeder seine eigene Power hat. Wir folgen nicht wie Schafe, jeder hat sein eigenes." (Jill Scott)

Scotts Texte handeln vom ganz normalen Leben in der Großstadt, Liebe, Beziehungen, Trennungen, Schmerz und Hoffnung - nicht so wirklich originelle Themen, dennoch haben sie eine bestimmte subtile Intensität, die vorgetragen mit ihrer sanften, dennoch unnachgiebigen Stimme eine gewisse schlichte Alltags-Erotik ausstrahlen. So eine, die jeden Spaziergang im Park zum Erlebnis machen, jeden gemeinsam erlebten Sonnenuntergang zum Fest. Der Sex steckt im Detail. Als erfahrene Spoken Poetry Künstlerin beherrscht Scott das Spiel mit Begriffen, Assoziationen und verbalen Bildern perfekt. Das Album wurde Platin-Plus, ähnlich wie bei Badu sammelten sich Grammys, NAACP Award, Brit Awards und Soul Train Awards an. Sie wurde vom Peoples Magazine zu eine der 50 schönsten Frauen 2001 gewählt und als kleine Ironie passierte ein ganz besondere Fehler bei der diesjährigen Soul Train Lady of Soul Awards Verleihung.

Dort wurde der Preis für das beste R&B/Soul Album irrtümlicherweise an Erykah Badu für ihr zweites Studio-Album "Mama's Gun" vergeben, obwohl er eigentlich Jill Scott gebühren sollte. Die Moderatoren hatten angeblich die Karten falsch abgelesen, die Fernsehübertragung sollte eine editierte Fassung mit der Nennung Jill Scotts zeigen und der Sender musste sich öffentlich bei Jill Scott entschuldigen. Beide Künstlerinnen waren bei der Verleihung nicht anwesend, Badu jedoch äußerte, dass sie Scott herzlich gratuliere und Scott gab bekannt, dass sie den Award gerne mit Badu teile und dass sie diese Spaltungsversuche seitens der Medien ärgere, ihre Beziehung zu Badu sei freundschaftlich (MTV).

sisterhood is powerfull - it can hurt you

Ursula Rucker, Promotion Photo von ihrer Website

Eine ganze andere Art von Sisterhood, Gender und Spoken Word präsentiert Supa Sista Ursula Rucker im Herbst diesen Jahres mit ihrem gleichnamigen Debütalbum "Supa Sista". Einen gewissen Bekanntheitsgrad konnte sie als "die Stimme", die die Alben der Roots mit kleinen, gesprochenen Real life stories beendete, erlangen. Ihr Album gleicht einem Spaziergang mit ihr durch ihre Heimatstadt. Während man mit ihr durch die streets of philadelphia schlendert, erzählt sie Anekdoten von Bekannten, die aus Verzweiflung in Drogengeschäfte verwickelt sind, nicht mehr aus dem Drogensumpf herauskommen, ärgert sich über das Dilemma der Black community zwischen Widerstand und Affirmation, zeigt auf das eine oder andere Fenster und berichtet von alleinerziehenden, mit Crack dealenden Müttern oder prangert sexuelle Ausbeutung und Missbrauch an. Ihre Worte haben Kraft. Und sie haben eine Schärfe, die erst nach und nach durch die sanfte Stimme dringt.

Ursula Rucker ist "real", im Sinne von ehrlich zu sich und anderen. Sie hat genug von den Mythen, die Leute wie Jay-Z, Ja Rule oder Nelly tagaus tagein auf die Welt und vor allem auf die Schwarzen Amerikas abfeuern. Dem "Gimme that funk, that sweet, that nasty, that Gucci stuff"-Kanon stellt die Supa Sista ein emanzipiertes, intellektuelles wie ehrliches Bild entgegen: "Wake up, America!" Ihre Worte kreisen immer wieder um die vielfaltigen Ebenen der sozialen Verantwortung des Musikers. Die große Meta-Erzahlung des Rap, der Aufstieg aus dem Ghetto zum Superstar als Role-Model entlarvt sie in "What???" als den großen Fake, der ihren Kinder rund um die Uhr vorgegaukelt wird.

Wir sprachen über den derzeitigen Zustand der black music oder vielleicht sollte ich sagen, den fast nicht-existierenden Zustand der black music und wir diskutierten die Verantwortung der Künstler, oder sollte ich sagen, das Fehlen jeglicher Verantwortung.... (...) Wie wäre es über Ungerechtigkeit zu reden die Zahl, die Irrtümer, der schwarzen Männer im Gefängnis oder warum nicht die Wahrheit über unsere fehlgeleitete Jugend sprechen ihr tägliches Sterben vom rumhängen und Drogen verkaufen welches sie hinter Gittern schreien lässt Du könntest ebenfalls sagen scheiß auf die Massen, solange ich meinen Arsch retten kann Deine Misshandlung des Mikrophon...und die Macht der Musik...wird gespielt Es ist Zeit für einen Wechsel, was denkst du...bist du bereit für eine Veränderung?

Auszug aus "What???", Übersetzung Hae Lin Choi

Eingebettet in sanfte, manchmal hektisch-urbane Breakbeats - der Sound kommt von Soundbastlern wie King Britt oder 4Hero - trägt sie ihre Kritik vor. Sie legt ihre Finger in die vielen Wunden der gesellschaftlichen Realität. In ihren Conscious lyrics, die eine Tradition von Billie Holiday, Amir Baraka, den Last Poets oder Gil Scott-Heron fortsetzen, schimmert der Ansatz der klugen akademischen Kulturkritik mit.

"Wenn mich die Menschen kritisieren, ich solle nicht nerven, ich soll aufhören zu predigen, dann muss ich sagen: Ich bin dieser Kritik müde. Ich habe letztens eine Besprechung vom neuem Wyclef Jean-Album gelesen und darin hieß es: "Stop being so conscious!" Es ist unglaublich. Man geht den Leuten auf die Nerven, weil man nachdenkt, dabei sollte es das Höchste sein, nach dem ein Mensch strebt."

Und damit ist sie nicht alleine, eine ganze Reihe von nachdenklichen, klugen neuen Alben, beispielsweise India.Arie mit "Acoustic Soul" oder Alicia Keys mit "Songs in A Minor", aber auch Folgealben von Macy Gray mit "The id", Kelis mit "Wanderland", Lauryn Hill und Übersista Mary J. Blige mit "No more drama", mag man es Nuveau Soul nennen oder nicht, werden in dialektischer Weise als Frauenalben, die Abschaffung dieser Kategorie durchsetzen.