Supermassive Schwarze Löcher sind nicht "reißerisch"

US-Astrophysiker glaubt, dass eine Reise in ein Schwarzes Loch eine höchst "heiße" Angelegenheit ist

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Wie mag es einem fiktiven Astronauten im Innern eines Schwarzen Loches ergehen? Ausgehend von dieser rational gesehen eigentlich recht abstrusen Frage glaubt der US-Astrophysiker Andrew Hamilton entgegen gängiger Vorstellung, dass ein Raumfahrer im Herzen eines Schwarzes Loches nicht von den Gezeitenkräften zerfetzt wird. Auf einer Physiker-Konferenz in Warwick stellte der Forscher letzte Woche eine neue Theorie vor, die Schwarze Löcher in ein anderes Licht stellt – zumindest was das Geschehen im Zentrum supermassiver Schwarzer Löcher und das Schicksal eines dort zufällig „schwebenden“ Astronauten anbelangt.

Die Vorstellung von einem Ende des Raumes und der Zeit hat in nahezu allen Kulturen ihren stärksten Ausdruck in Religion und Philosophie gefunden. Seit Ende der sechziger Jahre, genauer gesagt seit dem Jahr 1967, als der amerikanische Physiker John Archibald Wheeler ihnen den signifikanten Namen "Black Hole" gab, interessieren sich nicht mehr allein Philosophen (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen), sondern vielmehr die Vertreter der vermeintlich trockenen und weltfremden Disziplinen für die kosmisch bizarren Vagabunden, in deren Zentren selbst Raum und Zeit das Zeitliche zu segnen scheinen.

Biest im Zentrum der Galaxis

Was anno dazumal allenfalls ein höchst hypothetisches Phantasiegebilde war, das nebenher bemerkt 1783 der englische Geologe und Physiker John Mitchell erstmals postulierte, ist heute in der Astrophysik Mainstream: Schwarze Löcher sind höchst mysteriöse Naturphänomene, die im Universum keine Seltenheit sind. Bis vor kurzem präsentierten sich diese unsichtbaren gefräßigen Energiemonster in grundverschiedenen Varianten: mal als stellare Schwarze Löcher von nur wenigen Kilometern Durchmesser, die einem Muttergestirn entstammen, das nur einige Male schwerer ist als unsere Sonne; mal als „mittelschwere“ oder gar supermassive Schwarze Löcher mit rund einer Million bis zu einer Milliarde Sonnenmassen als Quelle intensivster Strahlung, die im Zentrum vieler Galaxien heimisch geworden sind und von denen kein Astronom so recht weiß, wie sie dort hingekommen respektive entstanden sind.

Illustration der Milchstraße, in dessen Zentrum ein supermassives Schwarzes Loch haust. (Bild: Mark Garlick, Space-Art)

Hierzu zählt auch das Biest im Zentrum unserer Galaxis, das – wie seine Kollegen, die sich in fast alle anderen galaktischen Zentren tummeln – durch seine ungeheure Schwerkraft Gas, Staub und sogar ganze Sterne so schnell verschlingt, dass die einfallende Materie sich auf Millionen von Grad aufheizt und daher in Teilbereichen des Spektrums stark emittiert.

Tatsächlich neigen die Licht schluckenden Objekte dazu, dem All Materie und Energie zu entziehen. Alles, was ihnen zu nahe kommt, wird auf Nimmerwiedersehen verschlungen. Was hingegen in ihrem Innern passiert, ist pure Spekulation. Einig sind sich die Forscher immerhin darin, dass hierin die uns vertrauten physikalischen Gesetze höchstwahrscheinlich keine Gültigkeit mehr haben.

Hawkings-Spaghetti-Analogie

Bis dato ist noch kein Mensch aus bekannten und guten Gründen dorthin geflogen. Gedanklich oder im Computerexperiment haben hingegen schon viele Astrophysiker eine fiktive Reise in das Innere eines Schwarzen Loches unternommen. Dabei konnte sich bislang jeder in seiner Fantasie ausmalen, dass ein Trip in solche kosmischen Regionen in der Realität für jede Form von belebter und unbelebter Materie eine Reise ohne Wiederkehr sein muss. Selbst der bestgeschulte und optimal ausgerüstete Astronaut würde der dort vorherrschenden enormen Gravitation unweigerlich Tribut zollen müssen: Er würde regelrecht zusammengequetscht und auseinander gezogen oder – wie es einmal Stephen Hawking pointierte – "zu Spaghetti verarbeitet". Ein lebensmüder Astronaut, der sich einem kosmischen Staubsauger dieses Kalibers bewusst näherte, wäre den Gezeitenkräften schutzlos ausgeliefert.

Illustration eines Jets im Röntgenbereich, der aus dem Innern eines Schwarzen Loches schießt. (Bild: A. Siemiginowska (CfA) et al., CXC, NASA, Illustration M. Weiss, CXC)

Bereits in der mittelbaren Umgebung eines Schwarzen Loches, räumlich noch vor dem Ereignishorizont, würde unser mutiger Freund ein immenses Ziehen und Zerren fühlen, bis ihn der poststellare Gezeiteneffekt förmlich zu einem unförmigen Etwas umformen, besser gesagt zerfetzen würde. Sobald der Astronaut den Ereignishorizont eines Schwarzen Loches überschreitet, also den „point of no return“ überquert, ist seine Sturz in die Singularität programmiert, jenem unendlich dichten und heißen zentralen Punkt eines Schwarzen Loches, in dem alle Qualitäten und Quantitäten von Raum, Zeit und Materie auf undefinierbare Art und Weise enden oder eine wie auch immer anders geartete Wiedergeburt erleben.

Zwei Ereignishorizonte in einem Schwarzen Loch

Aber vielleicht erginge es unserem Raumfahrer doch ganz anders. Vielleicht stünde ihm ein gänzlich anderes Schicksal bevor: eines, das zwar ähnlich ungenehm, dafür aber weniger „reißerisch“ wäre. Hiervon ist zumindest Andrew Hamilton, seines Zeichens Professor für Astrophysik an der Universität von Colorado, überzeugt. Er glaubt dass die bisherige Annahme, wonach ein potentieller Astronaut durch die Gezeitenkräfte auseinander gerissen wird, schlichtweg falsch ist.

In seiner Überlegung geht Hamilton davon aus, dass Schwarze Löcher gleich zwei Ereignishorizonte haben: einen äußeren und einen inneren. Während Hamiltons Ansicht nach im äußeren Horizont Raum und Zeit vertauscht werden, wird dieser Prozess im inneren Horizont wieder rückgängig gemacht. Ein Astronaut, der in ein supermassives Schwarzes Loch eintauchte, sähe viele Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt. So würde er etwa beobachten, wie der Raum mit einer größeren Geschwindigkeit als das Licht ins Innere des Schwarzen Loches stürzt, während es hinter dem zweiten (inneren) Ereignishorizont im Zentrum wieder „normaler“ wäre.

Genau diesen Bereich hat Hamilton nunmehr näher unter die Lupe gekommen – mit einem eindeutigen Ergebnis. In seinem Modell verschluckt die Singularität eines supermassiven Schwarzes Loches derart viel Materie, dass es zu einem abstoßenden Effekt kommt. Anstatt alles weiter zu verschlingen, stößt das Schwarze Loch die Materie gravitativ ab. Heißes Plasma staut sich auf, füllt den Kern und verschwindet peu à peu in der Singularität.

Hitzeschock anstatt Spaghettisierung

Eben dieses heiße Plasma ändert nach Ansicht von Hamilton die Bedingungen für einen Astronauten im Innern eines Schwarzen Lochs radikal. Zwar wäre hierin sein Ableben nur eine Frage der Zeit (oder besser: eine Frage keiner Zeit); aber immerhin bliebe ihm eine Spaghettisierung erspart. Anstatt durch die ungeheure Gravitation wie eine Nudel auseinander gezogen zu werden, er- und durchlebte der Raumfahrer hierin im wahrsten Sinne des Wortes heiße Momente. „Durch die Hitze des Plasmas würde man buchstäblich gegrillt“, sagte Hamilton letzte Woche auf dem Kongress "Physics – A century after Einstein" im britischen Warwick.

Während der von Hawking beschriebene Spaghetti-Effekt nur bei kleineren Schwarzen Löchern zum Tragen kommt, glaubt Hamilton, dass bei supermassereichen Schwarzen Löchern, die Millionen oder Milliarden mal mehr Masse haben als unsere Sonne, die Gezeitenkräfte für eine Spaghettisierung schlichtweg zu schwach sind.

Da bleibt dann wohl nur, die Probe aufs Exempel zu machen. Irgendjemand sollte möglichst bald in das Innere eines supermassiven Schwarzen Loches fliegen, um die Richtigkeit dieser These flugs zu wider- oder belegen. Dummerweise hat aber bislang noch kein Freiwilliger Bereitschaft signalisiert, sich auf ein solches im wahrsten Sinne des Wortes "mitreißendes", oder besser gesagt „heißes“ Abenteuer einzulassen.