Swap-4175

Ex-Gewerkschaftsbank Bawag kämpft mit Stadt Linz um eine halbe Milliarde Euro

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Am letzten Freitag hat am Wiener Handelsgericht ein Prozess um ein Swap-Geschäft begonnen, bei dem erstmals geklärt werden könnte, wie österreichische Gerichte die alltäglichen Gepflogenheiten an den Finanzmärkten einschätzen. Ein eindeutiges Urteil zugunsten einer Seite dürfte zudem international auf ähnlich gelagerte Fälle ausstrahlen.

Der Fall ist jedenfalls brisant. So fordert die Bawag samt Zinsen mittlerweile 470 Millionen Euro, zu denen noch enorme Verfahrens- und Beratungskosten kommen, weshalb es wohl bei beiden Streitparteien um das finanzielle Überleben geht. So wäre es für die Bawag, die 2006 als "Partner in Crime" des gescheiterten Wall Street Brokers Refco bekannt wurde (Bawag/Refco - Bilanzfälschung auf Gegenseitigkeit?) und heute vom US-Hedge Fonds Cerberus kontrolliert wird, immerhin rund ein Prozent der Bilanzsumme und etwa ein Viertel des Eigenkapitals. Für die Stadt Linz, die dieses Jahr mit Einnahmen von 556,6 Millionen Euro rechnet und 112,4 Millionen Euro für den Sozialbereich aufwenden will, würden sich die Schulden im Misserfolgsfall verdoppeln, was wohl auf Jahre hinaus jeden finanziellen Spielraum eliminieren würde.

Gleichzeitig ist die Angelegenheit relativ überschaubar. So handelt es sich bei dem "Swap 4175" nur um ein einziges schief gelaufenes Geschäft, das zwar seitens der Bank hoch strukturiert war, aus Sicht der Stadt Linz aber eine simple Wette auf eine künftige Wechselkursentwicklung darstellte. Abgeschlossen wurde es im Februar 2007 zwischen der Stadt Linz (vertreten von Finanzdirektor Werner Penn) mit dem offiziellen Ziel, eine noch bis Oktober 2017 laufende Anleihe über 195 Millionen Franken "abzusichern", die die Stadt gerade im Zuge einer Umschuldung aufgenommen hatte.

Wie aus der Klagschrift der Linzer hervorgeht, war diese Anleihe im Oktober 2005 von der österreichischen Kommunalkredit begeben worden, um Frankenfinanzierungen zu prolongieren, die teilweise seit 1993 bestanden. Darüber hinaus sei die Stadt zu diesem Zeitpunkt jedoch keinerlei weiteren Fremdwährungskredite und schon gar keine Derivativgeschäfte eingegangen, heißt es jedenfalls in der Klageschrift. Die Franken-Finanzierung sollte beibehalten werden, wobei das Interesse der Stadt bei einer möglichst niedrigen Verzinsung lag und auch das Währungsrisiko begrenzt werden sollte. Das geht jedenfalls aus einer Ausschreibung hervor, die der damalige Finanzchef am 8. September 2006 an eine Reihe von Banken ausschickte und die Vorschläge zur Absicherung der variablen Zinsen aus der bestehenden Frankenfinanzierung einholte, wobei "ausdrücklich" verlangt wurde, das Risiko der Stadt Linz aus Sicherungsgeschäften durch "Caps" zu begrenzen. Schon zuvor hatte die Bawag jedoch einen "Resettable CHF Linked Swap" angeboten, der wenig später auch abgeschlossen wurde - und fatale Folgen haben sollte.

Wette auf starken Euro

Welche Überlegungen auf der Linzer Seite genau angestellt wurden, dürfte schwierig zu eruieren sein, da sich der damals zuständige Finanzchef Penn, der das Geschäft am 12. Februar 2007 via E-Mail abgeschlossen hatte, mittlerweile als Angeklagter in einem Strafverfahren befindet und im zivilrechtlichen Verfahren am Handelsgericht daher die Aussage verweigern kann.

Offenbar hatte Linz mit dem Swap aber Frankenerträge zur Abdeckung ihrer Franken-Kosten erzielen wollen, ohne eigenes Kapital dafür bereitzustellen. Stattdessen wollte sie dafür offenbar ihre "Bonität" anzapfen, ähnlich wie es zur selben Zeit offensichtlich der damals weltgrößte Versicherer AIG versucht hatte und daran pleite ging.

Anstatt Zins und Wechselkursrisiken zu verringern, war Linz eine Wette auf einen starken Euro eingegangen, wobei Chancen und Risken offenbar höchst ungleich verteilt waren. Das Geschäft hatte eine Laufzeit bis April 2017 und eine Nominale von 195 Mio. CHF, wobei die Zahlungsströme jeweils halbjährlich am 15. April und am 15. Oktober getauscht werden sollten. Die Bawag sollte also die variablen Kosten der Anleihe (6-Monats-CHF-Libor + 0,049 Prozentpunkte) zahlen, während die Stadt Linz vorerst nur 0,065 % auf die Nominale überweisen musste und anfangs folglich einen Gewinn erzielte.

Dieser Gewinn war allerdings abhängig davon, ob die Wette der Stadt auf einen starken Euro aufging, der Euro also nicht unter 1,54 Franken abfiel. Zu diesem Zeitpunkt bekam man für einen Euro immerhin rund 1,65 Franken, was nur knapp unter dem absoluten Höchststand des Euro lag, der im darauffolgenden Oktober mit 1,68 erreicht wurde. Allerdings war der Euro, der 1999 mit 1,60 zum Franken gestartet war, schon von 2002 bis 2004 mit nur rund 1,45 bewertet worden, woraus man wohl durchaus hätte schließen können, dass ein negativer Kursverlauf des Euro besser nicht ausgeschlossen werden sollte.

Denn dann sollte auf die bislang halbjährlich fälligen 0,065 % ein Zinsaufschlag erfolgen, der sich aus Differenz des vereinbarten "Strike" von 1,54 und dem tatsächlichen Wechselkurs, dividiert durch den tatsächlichen Kurs und multipliziert mit 100, ergibt ("0,065 % + (1,5400 - EZB-Wechselkurs) /EZB-Wechselkurs x 100). Laut der Klagschrift der Stadt lasse sich zwar "keinesfalls" der von der Bawag verrechnete Zins ableiten, jedoch zeigt schon eine einfache Schlussrechnung das durchaus bedrohliches Zinsszenario. So würden bereits bei einem Wechselkurs von 1,45 immerhin 9,065 % (0,065 % + (1,5400 - 1,45) /1,45 x 100) fällig, während beim bisherigen Tiefstkurs von 1,20 satte 28,4 % ("0,065 % + (1,5400 - 1,20) /1,20 x 100) an die Bawag gehen müssten.

Anstatt sich abzusichern, hatte die Stadt also mit wesentlich höheren Wechselkurs- und Zinsänderungsverlusten zu rechnen und so ein doppeltes Risiko übernommen. Wie es aussieht hatte Penn dabei zudem übersehen oder ignoriert, dass etwaige Wechselkursverluste - anders als bei normalen Fremdwährungskrediten - nicht nur buchmäßig anfielen und sich bei günstiger Kursentwicklung wieder aufheben könnten, sondern sie sollten halbjährlich realisiert werden. Diese nicht unbeträchtliche Gefahr für die Liquiditätslage der Stadt wurde seitens der Bawag immerhin angedeutet, wie ein Telefonprotokoll zwischen einer Bawag-Mitarbeiterin und dem Linzer Finanzmanager Penn zeigt:

S Lacht ... dass sie da einen anderen gehabt haben, oder?

P: Lacht. Ja, ja, genau.

S: Na auf jeden Fall na ... ich mein das einzige auf was ich … sag ich einmal hinweisen muss ist natürlich ... wenn die Euro Schweiz runtergeht ja ...

P: Ja.

S: also wo ich mein 46 wie auch immer ja …

P: Ja

S: dann … wil ja der Kredit sozusagen schlechter bewertet wird ...

P: Mhm

S: ... weil ja der Kurs runter ... runtergeht … Konditionen ja auch..

P: Mhm

S: Sozusagen runtergehen … ins Minus gehen. Aber gut ich mein, das ist eine Sache...

S: doppeltes Risiko aber...

P: Mhm

S: Es wird halt irgendwie von der Bewertung her ...

P: Ja, ja, na bei der Stadt ist das unproblematisch.

S: Ja, na passt. Lacht.

P: Lacht.

Telefonat zwischen der Bawag-Mitarbeiterin Sahinogla und dem Linzer Finanzmanager Penn vom 1. Februar 2007.

Was Penn hier verstanden hat, ist zwar rätselhaft, wie sich aus seiner Bemerkung "bei der Stadt ist das unproblematisch" aber schließen lässt, dürfte er hier wohl davon ausgegangen sein, die Risiken würden nicht realisiert, sondern es handle sich allenfalls um ein Problem der "Margin", also um die Sicherheitsleistung, die von einem Derivativ-Partner verlangt wird, wenn ein Kontrakt ins Minus gerät. Unproblematisch könnte das sein, wenn eine Schieflage dann nicht zu Zahlungsströmen, sondern nur zu einer buchmäßigen Belastung führt, die die tatsächlich bezahlten Zinsen nicht berührt. Dem gegenständlichen Swap-Vertrag ist freilich das Gegenteil zu entnehmen, was niemandem entgehen sollte der des Lesens kundig ist.

Swap wegen "List und Irrtum" und Wuchers unwirksam

Aus Sicht der Stadt wäre der Vertrag unter anderem deshalb ungültig, weil Informationspflichten verletzt wurden. Insbesondere aber deshalb, weil die Bawag hätte wissen müssen, dass die formalen Erfordernisse für derartiger Verträge nicht vorgelegen waren. So sei gegen kommunalrechtliche Organisationsvorschriften verstoßen worden und es fehle die Genehmigung durch die Gemeindeaufsichtsbehörde. Darüber hinaus sei ein Vertretungsmissbrauch evident, während der Swap wegen Wuchers unwirksam sei, der von Linz zudem wegen "List und Irrtum" und wegen "laesio enormis" angefechtet wird.

Laut Bawag handle es sich hingegen um ein "marktübliches Finanztermingeschäft, das den Zielen der Stadt Linz gerecht wurde". Der Stadt wären die Risiken bekannt gewesen, noch dazu hätte die Bawag der Stadt nach dem Ausbruch der Weltfinanzkrise und der negativen Entwicklung mehrmals empfohlen auszusteigen, was Linz abgelehnt habe.

Bis April 2009 wurde der Vertrag "gelebt", was der Stadt in Summe 10,141 Millionen Euro an Erträgen gebracht hatte. Seit er massiv ins Minus gedreht hatte, verweigert Linz die Zahlungen, über deren Richtung der Richter offenbar nur ungern entscheiden will. So drängte er beide Parteien inständig auf eine Verhandlungslösung, die sich im schon länger laufenden Mediationsverfahren aber als unerreichbar erwiesen hatte. Zum Prozessstart versprach Richter Andreas Pablik, das Verfahren "möglichst offen" zu führen und die Parteien stets darüber zu informieren, welche Einstellung er gerade habe. Er drängte zudem "die Leute, die das Sagen haben", sich zu einigen, denn es sei ein "Wahnsinn", dass sich die beteiligten Parteien bisher noch nicht verglichen hätten". Andernfalls werde es "nur viel Geld kosten", wobei es angesichts beider Schriftsätze "das Wahrscheinlichste" sei, "dass an jedem etwas hängen bleiben wird".

Was sich am ersten Verhandlungstag nun aber als wesentliche Frage zwischen den Parteien herausstellte, war, ob es sich im Falle einer Nichtzahlung für die Bawag um einen "entgangenen Gewinn" handle, wie Linz meint, oder um "konkrete Kosten", die die Bawag in ihrer Klageschrift für die "Schließung" der Risiken mit 404,7 Mio. Euro beziffert, was seitens der Bawag im Verfahren wohl noch detailliert wird klargestellt werden müssen.

Zu klären wird also sein, in welchem Ausmaß die Bawag die Risiken aus dem Swap weiterverkauft (bzw. abgesichert) und wie viel davon sie selbst übernommen hat. Bei einer Absicherung über den Markt hätte sie ihren Gegenparteien jedenfalls von Anfang an für unterbliebene Zahlungen der Stadt einstehen müssen. Da dies offenbar erfolgt ist, sollte sich im Gerichtsverfahren wohl auch ergeben, welchen Aufschlag auf den "Marktpreis" die Bawag der Stadt verrechnet hatte. Wenn sie die Risiken aber behalten und nicht weiterverkauft hat, wären die Zahlungen hingegen als Spekulationsgewinn zu betrachten, den die Bank auf Kosten der Stadt erzielen wollte.