Symbolpolitik gegen Erdogan

Über die Todesstrafe darf die Türkei in Deutschland nicht abstimmen lassen, aber tödliche Waffen werden weiter in das Land exportiert

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"Kassel entrüsten" lautete das Motto einer symbolischen Aktion, mit der Antimilitaristen den Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann in Nordhessen mit selbstgebastelten Panzersperren blockierten. "Panzerhersteller beliefert Despoten und Regime in der ganzen Welt mit seinen Waffen, das wollen wir verhindern", erklärte Simon Kiebel von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen zur Aktion.

Zu den bevorzugten Exportländern dieser Waffen gehört neben Katar die Türkei. Das dürfte manche wundern, die das Zerwürfnis zwischen der Erdogan-Türkei und Deutschland verfolgt haben. Dabei liefen die Militärgeschäfte auch in dieser angeblich so kritischen Phase in den deutsch-türkischen Beziehungen wie geschmiert weiter. Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat bereits mit der Bundesregierung konferiert, damit die von ihm angepeilte Nachrüstung der Panzer der türkischen Armee nicht noch scheitert. Sogar eine Panzerfabrik will Rheinmetall in der Türkei errichten.

Wenn dann Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace in ihrer Pressemitteilung die besondere moralische Verwerflichkeit der geplanten Investition darin entdecken, dass das Unternehmen der Erdogan-Familie nahesteht, wird das ganze Elend einer Position deutlich, die von Ökonomie- und Staatskritik nichts wissen will. Wäre die Panzerfabrik eher zu rechtfertigen, wenn die Unternehmen der Opposition nahestehen würden?

Dass es im Kapitalismus auch in der Türkei unter Erdogan um sachliche und nicht um personelle Beziehungen geht, auch wenn sich die Unternehmensführung natürlich in der Regel mit den jeweils Regierenden gutstellt, wenn die gute Profitbedingungen garantieren, wird bei einer solchen Kritik ausgeblendet. Das führt dazu, dass die Kritiker der Türkei meistens an die Bundesregierung appellieren können, Erdogan klare Kante zu zeigen und die meistens die Forderungen schon längst erfüllt hat. Denn es geht in der Regel um Symbolpolitik.

Der Flüchtlingsdeal, an dem die türkische Regierung genau so großes Interesse hat wie die deutsche, wie auch die Rüstungsgeschäfte und die Kooperation mit dem türkischen Militär im Rahmen der NATO gehen natürlich weiter. Schließlich war auch nach dem Militärputsch von 1980, bei dem die Repression gegen die türkische Opposition wesentlich blutiger war als unter Erdogan, der Natoausschluss kein Thema. Im Gegenteil: Die Nato hat mit Befriedigung gesehen, dass Friedhofsruhe in dem Land am Bosporus gewaltsam hergestellt wurde, manche sprechen sogar zugespitzt vom Nato-Putsch.

Wie Deutschland die Todesstrafe verabscheuen lernte

Die jüngste Volte in der medial ausgetragenen Fehde ist die Erklärung der Bundesregierung, wonach in Deutschland lebende türkische Staatsbürger über die Wiedereinführung der Todesstrafe hierzulande nicht abstimmen dürfen. Nun steht das Thema zurzeit gar nicht auf der Agenda. Erdogan hatte mehrmals angedroht, ein Referendum gegen die Todesstrafe anzuberaumen. Es gab aber bisher keine konkrete Vorbereitung dazu. Manche politische Analysten bezweifeln, ob es dazu kommt.

Damit würden die Spannungen mit der EU weiterwachsen und alle Verhandlungen storniert. Es gibt aber durchaus Anzeichen, dass die türkische Regierung einen totalen Bruch mit der EU vermeiden und die bisherige Schaukelpolitik fortsetzen will. Zudem ist nach dem trotz massiven Druck und dem vielleicht sogar unregelmäßigen, knappen Ausgang des Referendums unklar, ob Erdogan für die Einführung der Todesstrafe eine Mehrheit bekommen würde. Es könnte allerdings sein, dass die Zustimmung wächst, wenn die Terrorismushysterie weiter angeheizt wird.

Jedenfalls handelt es sich um keine aktuelle Entscheidung. So diente das prophylaktische Verbot des Referendums über die Todesstrafe vor allem der Selbstinszenierung Deutschlands als aufgeklärte Nation. Dass die Todesstrafe generell mit europäischen Werten nicht übereinstimmt, ist eher eine Behauptung. In Frankreich wurde die Todesstrafe erst 1981 nach dem Wahlsieg der Linkskoalition abgeschafft,. In Großbritannien wurde gegen heftigen Widerstand großer Teile der Tories die Todesstrafe abgeschafft, nachdem sie vorher für 5 Jahre ausgesetzt war.

Auch hier war die Labour Party der eigentliche Motor. Das macht deutlich, dass der Kampf gegen die Todesstrafe historisch ein Thema der Linken war, während große Teile der Konservativen das Recht auf staatliches Töten nicht aus der Hand geben wollten. In der Linken gab es zu dem Zeitpunkt eine Zäsur, als die auf einen Staatssozialismus fixierte Fraktion die staatliche Repression einschließlich der Todesstrafe in der immer autoritärer werden Sowjetunion verteidigte.

Auch in Deutschland war der Kampf gegen die Todesstrafe ein linkes Thema, bis zum Ende des Nationalsozialismus. In einer auf historische Themen spezialisierte Onlineplattform ist zu lesen:

Im Parlamentarischen Rat der Jahre 1948/49 waren die Vorzeichen zunächst umgekehrt: Denn plötzlich stand die unausgesprochene Frage im Raum, wie mit deutschen Kriegsverbrechern verfahren werden sollte. So schlug ausgerechnet der rechtsgerichtete Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm vor, ein Verbot der Todesstrafe in der neuen Verfassung zu verankern. Seine "Deutsche Partei" begriff sich als Interessenvertretung der ehemaligen Nationalsozialisten. Die SPD-Abgeordneten jedoch zögerten, wollten sie doch keineswegs der Bestrafung von Kriegsverbrechern Grenzen setzen. Letztlich setzte sich aber bei den SPD-Abgeordneten die Haltung durch, die Ablehnung der Todesstrafe sei ein wichtiges Element der Abkehr von der NS-Barbarei. Am 6. Mai 1949 wurde trotz Einwände der CDU-Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit ein knapper und klarer Satz als Artikel 102 ins Grundgesetz aufgenommen: "Die Todesstrafe ist abgeschafft".

Historeo

Die Maßnahme mit der hohe NS-Täter vor der Hinrichtung bewahrt werden wollte, sollte sich bald für die BRD auszahlen. Da das Land früher als andere westeuropäische Nachbarn die staatliche Hinrichtung abgeschafft hatte, konnte sie jetzt als Vorbild für andere Länder inner- und außerhalb der EU fungieren. Auch Israel blieb natürlich nicht von dem neudeutschen Sendungsbewusstsein verschont.

Nachdem die israelische Justiz des für die Shoah verantwortlichen Adolf Eichmann habhaft werden konnte und die Justiz des Landes zu dem Schluss kam, dass für seine Verbrechen nur die Todesstrafe in Frage kommt, konnte sich Westdeutschland schon als moralische Instanz aufspielen, die aus der Geschichte gelernt und deshalb die Todesstrafe abgeschafft hat.

Hier nahm die Erzählung vom zivilisierten Deutschland, das aus seinen Verbrechen gelernt hat, Konturen an. Dass Eichmann von führenden deutschen Sicherheitsdiensten und Politikern gedeckt und der zuständige antifaschistische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit gutem Grund eher auf die israelische als auf die deutsche Justiz vertraute, wurde natürlich nicht erwähnt.

Dieser kleine historische Diskurs scheint mir notwendig, weil diese Aspekte völlig ausgeblendet werden, wenn sich die Bundesregierung heute den Kampf gegen die Todesstrafe zu ihren Markenzeichen macht.