Symbolpolitik mit der Todesstrafe

Durch die Exekution Saddam Husseins ist eine Debatte über die Todesstrafe entfacht worden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Letztes Jahr wurde in 21 Staaten mindestens 2,052 Mal die Todesstrafe vollstreckt. Spitzenreiter ist China mit 1524 Hinrichtungen, im weiten Abstand gefolgt von dem Iran mit 182 Exekutionen im letzten Jahr. Bezogen auf die Bevölkerungszahl gehört aber Kuwait mit 11 Hinrichtungen zu dem Staat mit den meisten Hinrichtungen. Im Irak wurden 54 Menschen auf diese Weise zu Tode gebracht. Doch wahrscheinlich wird nur ein Name im Gedächtnis bleiben.

Die Hinrichtung des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein hat nicht nur durch seine spektakulären Umstände für Wirbel im Irak gesorgt, sondern auch weltweit die Debatte um die Todesstrafe neu angeheizt. Dafür sorgte vor allem eine Erklärung des neuen UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon. Am ersten Tag seiner Amtszeit hatte er in New York erklärt, dass es die Sache jedes einzelnen Staates sei, über die Todesstrafe zu entscheiden.

Damit hat er eigentlich nur eine offensichtliche Binsenweisheit ausgesprochen. Denn tatsächlich hat die UN keine Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten, die die Todesstrafe anwenden. Aus dem in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebenem Recht auf Leben kann man nicht unbedingt eine totale Ablehnung der Todesstrafe herauslesen, was sich schon daran zeigt, dass die meisten der Staaten, die diese Erklärung mit unterzeichneten, damals die Todesstrafe noch praktizierten. Rechtsverbindlicher ist der 1966 beschlossene Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte, der wiederum gerade keine totale Ächtung der Todesstrafe vorsieht. Bei besonders schweren Verbrechen ist sie ausdrücklich erlaubt. Jugendliche und so genannte Unzurechnungsfähige sind davon ausgenommen. Das Urteil gegen Saddam Hussein wäre also hiermit gerechtfertigt. Erst ein Zusatzprotokoll von 1989 sieht die völlige Abschaffung der Todesstrafe vor. Zu den knapp über 100 Unterzeichnerstaaten gehört auch Deutschland.

Schon kurz vor Jahresfrist hatte Kanzlerin Merkel sinngemäß auf einer Linie mit Ban Ki Moon gelegen, als sie erklärte, dass man die Entscheidung der irakischen Regierung respektiere. Doch anders als der Newcomer im UN-Gebäude hat Merkel hinzugefügt, dass die Todesstrafe selbstverständlich nicht "unserem Wertesystem" entspricht und sich Deutschland weiterhin für die weltweite Abschaffung einsetze. Diese Floskel hatte Ki Moon zunächst weggelassen und stattdessen an die Verbrechen des Saddam-Regimes erinnert. Damit habe der er zunächst den Eindruck hinterlassen, die weltweite Ächtung der Todesstrafe nicht mehr als vordringliches Ziel zu betrachten und damit von der bisherigen UN-Position abzuweichen, so die Kritiker des UN-Generalsekretärs. In nachfolgenden Stellungnahmen versuchte er diesen Eindruck zu korrigieren.

USA versus Old Europe

Nicht wenige Kommentatoren erklärten Ban Ki Moons Statement mit seiner Herkunft aus Südkorea. Dort ist die Todesstrafe noch nicht abgeschafft, wird aber auch schon länger nicht mehr angewandt. Der ehemalige Außenminister seines Landes habe eben noch nicht registriert, dass er als UN-Generalsekretär nicht mehr nur die Position seines Landes zu vertreten habe. Das mag sein. Doch die heftigen Reaktionen vor allem in Deutschland, Italien und Frankreich haben einen anderen Hintergrund.

In der Auseinandersetzung um die Todesstrafe drücken sich die Kontroversen zwischen den USA und jenen Staaten in der EU aus, die Donald Rumsfeld einmal Old Europe genannt hat. Vor allem Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien haben die Abschaffung der Todesstrafe zu einer der Grundlagen einer Demokratie erklärt. Sie zielen damit auf Neumitglieder in der EU. Als einige Politiker der rechtskonservativen polnischen Regierung einschließlich des Präsidenten vor einigen Monaten laut über die Wiedereinführung der Todesstrafe in ihrem Land nachdachten, wurde aus Brüssel mit Sanktionen gedroht. Doch im Hintergrund zielt die Kampagne gegen die Todesstrafe natürlich auch gegen die USA, die bei ihrer gegenwärtigen Todesstrafenpraxis keine Aussicht auf Aufnahme hätte. Old Europe lässt sich hier die Gelegenheit nicht entgehen, die USA und die Staaten, die in dieser Frage mit ihr auf einer Linie liegen, moralisch vorzuführen.

Hungern gegen die Todesstrafe

Dass es sich dabei neben ehrlichem Engagement oft um symbolische Politik handelt, zeigt sich derzeit in Italien. Die Basis der gegenwärtig regierenden Mitte-Links-Regierung hat in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, gegen den US-Freund Berlusconi auf die Straße zu gehen. Die Proteste sind mit dem Amtsantritt von Prodi wesentlich zurückgegangen. Doch Teile der aktivistischen Basis sind unzufrieden. Schließlich kann das international in zahlreiche Bündnisse eingebundene Italien nicht einfach umsetzen, was die rebellische Basis fordert. Da macht sich eine Symbolpolitik gut.

Besonders deutlich wird das bei dem Chef der populistischen Radikalen Partei Marco Panella, der sogar medienwirksam in einen befristeten Hungerstreik getreten ist, um seiner Forderung nach einen Moratorium für die Todesstrafe Nachdruck zu verleihen. Prodi schlägt mit seinen Erklärungen nach dem Todesurteil gegen Saddam-Hussein in die gleiche Kerbe. Er will sich aber auch für eine weltweite Ächtung der Todesstrafe einsetzen. Das wurde in den USA sofort kritisch registriert.

Außenministerin Rice forderte die Kritiker, besonders Italien, vor Jahresfrist auf, die souveräne Entscheidung des Irak anzuerkennen. Zuvor hatte Präsident Bush das Todesurteil schon zum Meilenstein für die irakische Demokratie erklärt (Mit der eiligen Exekution Husseins wird viel zugedeckt). US-Militärs betonten, dass die Hinrichtung allein Sache des Iraks gewesen sei und das US-Militär nach der Übergabe des gefangenen Ex-Diktators an die irakischen Behörden mit der Exekution nichts zu tun gehabt habe.

Schlag nach bei Foucault

Woher der plötzliche Umschwung? Da könnte in Blick in die Bücher des französischen Philosophen Michel Foucault Aufschluss geben. Der hatte in "Überwachen und Strafen“ skizziert, wie aus der öffentlichen Hinrichtung als Volksbelustigung die klinisch reine Exekution wurde, wie sie beispielsweise in vielen Bundesstaaten der USA praktiziert wird.

Die Schiiten hatten schon lange auf eine möglichst öffentliche Hinrichtung ihres Erzfeindes gedrängt. Mit den Handyaufnahmen war die Exekution Husseins dann auch öffentlich geworden. DVerdammungsrufe erinnern zudem an Foucaults Beschreibung der Hinrichtungen im Mittelalter und der frühen Neuzeit.

Das die modernere Methode für Betroffenen nicht humaner sein muss, zeigte sich erst Ende Dezember im US-Staat Philadelphia. Der Verurteilte Angel Diaz musste einen 30 Minuten langen Todeskampf erleiden, weil die Giftmenge falsch indiziert wurde. Darauf sah sich Gouverneur Jeff Bush, Bruder des Präsidenten und wie dieser Befürworter der Todesstrafe, zu einer Aussetzung der Hinrichtungen veranlasst. Auch Kalifornien erließ ein Moratorium für Hinrichtungen. Anders als Hussein ist der Name des qualvoll Gestorbenen weltweit aber kaum jemand. Die beiden Bundesstaaten haben schon angekündigt, die gesetzliche Grundlage zu ändern, um die Exekutionen im Einklang mit der Verfassung wieder fortzusetzen.