Symptomatisch für den Umgang mit den Grundrechten

Anatomie eines teilweise verfassungswidrigen BKA-Gesetzes - Teil 3

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Kaum war das BKA-Gesetz vom obersten Gerichts Deutschlands als teilweise verfassungswidrig beurteilt worden, setzten die üblichen Reaktionen seitens derjenigen ein, die sich für den "starken Staat" und einen Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit möglichst vielen umfassenden Befugnissen für die Strafverfolger aussprechen. Unverzüglich, so betonte Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke, werde sich der Gesetzgeber daran machen, den Urteilsspruch umzusetzen. Die Eile ist nachvollziehbar, da die bisherigen Befugnisse in ihrer jetzigen Form nur bis Mitte 2016 angewandt werden dürfen. Dennoch zeigt sich daran, wie wenig Zeit sich die Gesetzgeber nach einem Urteil Karlsruhes für Reflektion nehmen. Fast reflexartig wird von Nachbesserung gesprochen, wird sich daran gemacht, das inkriminierte Gesetz dann erneut auf den Weg zu schicken.

Über die Frage, was das Urteil für den Umgang mit den Grundrechten bedeutet und inwiefern der Gesetzgeber hier letztendlich immer öfter versagt und dem Bundesverfassungsgericht damit wieder und wieder Arbeit aufgibt, die vermieden werden könnte, wird nicht einmal nachgedacht. Eine Äußerung Herrn Engelkes lässt diesbezüglich aufhorchen, zeugt sie doch von dem fehlenden Respekt gegenüber den Hütern der Verfassung und des Grundgesetzes. Man habe, so Herr Engelke, mit dem Gesetz Neuland betreten und daher sei Korrekturbedarf von vorneherein nicht ausgeschlossen gewesen.

Diese Argumentation, wenn es um Gesetze und deren mögliche Nichtvereinbarkeit mit dem Grundgesetz geht, ist nicht neu. Bereits 2007, als die Vorratsdatenspeicherung auch mit Hilfe der SPD verabschiedet wurde, sahen die SPD-Abgeordneten, die eigentlich gegen die VDS waren, es als vertretbar an, dennoch für das Gesetz zu stimmen, da davon auszugehen war, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.

Mit einer gegenüber den Grundrechten geradezu brutalen Nonchalance verabschiedete Gesetzestexte

Diese Einstellung zeugt weiterhin von einer in Bezug auf das Grundgesetz bedenklichen Haltung. Die Frage, warum einem Gesetz, das sowieso voraussichtlich von dem obersten Gericht als (teilweise) verfassungswidrig erklärt werden wird, dann überhaupt der Gesetzesrang verliehen wird, statt das dafür Sorge getragen wird, dass diese Verfassungswidrigkeit überhaupt nicht erst eintritt, stellt sich für den Gesetzgeber nicht mehr. Vielmehr wird sich darauf verlassen, dass das Gericht nicht mehr nur in Ausnahmefällen korrigierend eingreift, sondern die mit einer gegenüber den Grundrechten geradezu brutalen Nonchalance verabschiedeten Gesetzestexte regelmäßig überprüft. Dies bedeutet nicht nur, dass sich immer wieder Menschen finden müssen, die personell und materiell dazu in der Lage sind, eine Verfassungsbeschwerde einzureichen, es bedeutet auch, dass das Gericht zunehmend überlastet ist, weil es dauerhaft damit beschäftigt ist, die achselzuckend per Gesetz erlaubten Grundrechtsverstöße wieder rückgängig zu machen.

Gerade wenn es um die Abwägung zwischen der Sicherheit und der Menschenwürde geht, wurden in den vergangenen Jahren fast sämtliche Gesetze entweder komplett gekippt oder aber mit zahlreichen Rügen zurück an den Absender geschickt. Doch statt innezuhalten, geht es quasi munter weiter. Die in Foren oder auch in Privatgesprächen kaum mehr zu findende Freude bezüglich eines "Sieges" in Karlsruhe ist die logische Folge dieser Entwicklung. Längst ist die Hoffnung, es könne nun, nach der "Klatsche aus Karlsruhe", einmal bei den Sicherheitsapologeten zum Nachdenken kommen, einer tiefen Resignation gewichen, die nicht zuletzt auch zur Politik(er)verdrossenheit führt.

Der Bundesinnenminister und seine Ansichten bezüglich des Verfassungsgerichtes tragen dazu noch weiter bei. Thomas de Maiziere hat nach dem Urteil zum BKA-Gesetz mitgeteilt, dass es nicht Aufgabe des obersten Gerichtes sei, dem Gesetzgeber im Bereich Sicherheit in den Rücken zu fallen. "Ich finde, dass ein nationaler Grundrechteschutz, so wichtig er ist, auch im Angesicht der Internationalisierung von Gefahren betrachtet werden muss." Mit diesen Worten suggeriert er, dass das BVerfG hier nicht die Gefahr beachtet hat, sondern einseitig pro Grundrechte entschieden hat, obgleich das Gegenteil der Fall ist. Das Gericht hat ja gerade die Gefahrenlage durch den internationalen Terrorismus und die Notwendigkeit für die Befugnisse des BKA anerkannt.

Aber noch bedenklicher ist seine Ansicht, es sei nicht Aufgabe des BVerfG, dem Gesetzgeber in den Rücken zu fallen. Es stellt sich die Frage, was seiner Meinung nach Aufgabe des BVerfG ist. Und warum der Minister nicht auch einmal überlegen sollte, was es über den Gesetzgeber aussagt, wenn ihm das Gericht dauernd in den Rücken fallen muss.

Er zeigt hier eine Hybris, die spätestens seit Otto Schilys Zeit gerade bei den Innenministern schon die Regel und nicht die Ausnahme ist. Im Zweifelsfall kritisieren halt "ein paar Hanseln" und die Sicherheitskarawane zieht weiter zur nächsten Abstimmung, holt sich kurz ein paar Watschen in Karlsruhe ab, gibt sich empört ob dieser Behandlung und macht weiter wie bisher. Eine Handlungweise, die zeigt, dass für manche das Grundgesetz tatsächlich nur noch ein Abreißkalender ist. Doch wenn das Grundgesetz wie auch sein oberster Hüter für die Sicherheitsapologeten zunehmend eher vernachlässigbare Hindernisse sind, stellt sich die Frage, wieso es für andere noch von Wichtigkeit sein sollte.