Szenen aus dem griechischen Wahlkampf

Ex-Finanzminister Venizelos hat einen schweren Stand. Bild: W. Aswestopoulos

Handkuss für den PASOK-Chef, aber leere Plätze als neue Erfahrung

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Griechen sind bekannt für große Versammlungen. Zahlreich erscheinen sie zu Demonstrationen, dicht gedrängt versammelten sie sich in der Vergangenheit bei Wahlveranstaltungen. Noch 2009 füllten die damaligen Konkurrenten Kostas Karamanlis für die Nea Dimokratia und Giorgos Papandreou für die PASOK bei ihren Freiluftreden die Plätze und Straßen mit zehntausenden, unkritischen und begeisterten Anhängern. Papandreou bekam selbst dann Jubel, als er die Anhänger zu den Strümpfen (Kaltses) statt zu den Wahlurnen (Kalpes) rief.

Seit dem IWF-Gang des Landes hat sich dieses Bild drastisch geändert. Wo immer Politiker ohne ausreichenden Polizeischutz auftauchen, fliegt im besten Fall Yoghurt seitens der Wähler. Es wäre müßig, alle Attacken auf Politiker der letzten Tage aufzuzählen, denn sie sind zu zahlreich. Mal fliegen, wie bei Ex-Minister Petros Efthymiou, Gläser und Wasserkannen, mal Kaffeebecher oder Yoghurt. Der Angriff auf Efthymiou war das Werk von Anhängern der Neonazis. Die Chryssi Avgi bekannte sich zu dem "Anschlag". Parteichef Nikos Michaloliakos bemerkte im Fernsehen süffisant, dass man dem PASOK-Politiker doch angesichts der frühlingshaften Hitze schlicht eine Abkühlung gegönnt habe.

Diese Art von Radikalisierung lässt Schlimmes erahnen, zumal die die Chryssi Avgi für die Wahlnacht vom 6. auf den 7. Mai bereits Randale angekündigt hat, falls das Ergebnis nicht den eigenen Erwartungen entspricht.

Außer den radikalen Anhängern der Neonazis, die unter Jugendlichen ohne Ausbildung ihre meisten Anhänger rekrutieren, und einigen Überbleibseln der Bewegung der "Empörten Bürger" lässt die Griechen die Politikerjagd in Wahlkampfzeiten weitgehend kalt. Selbst die ansonsten üblichen wöchentlichen Demonstrationszüge bleiben aus.

Für viele im Land sind die Wahlen nur ein weiterer Meilenstein bis zum nächsten Eklat, denn bereits im Juni stehen neue Sparmaßnahmen über zusätzlich einzusparende 11,7 Milliarden Euro an. Neue Lohnkürzungen sind bereits beschlossen und weitere Steuerabgaben stehen schon im neuen Kreditvertrag. Was sollen Wahlen daran noch ändern, fragen die Bürger auf der Straße. In täglichen Gesprächen hört man fast ausschließlich Schwarzmalerei, stille Wut und die Einschätzung, dass die aktuelle Phase nur die Ruhe vor dem Sturm ist.

Schon während der Rede von Venizelos fielen die Fähnchen. Bild: W. Aswestopoulos

Derweil übt sich die Politik in den traditionellen Wahlkampflügen. Venizelos hatte am Sonntagabend in seiner Heimatstadt Thessaloniki "seinen" Auftritt. Wohlweislich wurde seitens der Partei kein großer, weiter Platz für die Ansprache des PASOK-Chefs gewählt, obwohl dieser seit mehr als einem Jahrzehnt stimmstärkster Politiker der Region ist. Steuern möchte er senken, versprach er und versicherte hoch und heilig, dass es unter ihm in der neuen Regierung keine Lohnkürzungen oder Steuererhöhungen gäbe. Der Ex-Finanzminister und Urheber der Kopfsteuern als Sparprogrammsgegner?

Während des Montags erklärten seine Parteimitglieder den ungläubigen Journalisten, dass Venizelos schlicht betont habe, es werde keine über die bisherigen, bereits mit dem Kreditgebern unterschriebenen Verpflichtungen hinausgehende Belastungen geben. Diese, so betonen die in allen Fernsehkanälen diskutierenden PASOK-Politiker, seinen schließlich bereits bekannt. Ansonsten geht es bei nahezu allen Diskussionen nur darum, der jeweils anderen Partei die Schuld zuzuschreiben oder abenteuerliche Lösungspläne zu präsentieren. Sachliche Diskussionen oder gar Programme werden nicht präsentiert.

Samaras verspricht das Blaue vom Himmel und drescht gleichzeitig nationalistische Sprüche. Linken-Chef Alexis Tsipras flirtet mit Rechtsausleger Panos Kammenos von den "Unabhängigen Griechen", um so eine eventuelle Regierungskoalition aufzubauen. Fotis Kouvelis denkt als Parteivorsitzender der Demokratischen Linken laut darüber nach, was er mit einem Regierungsauftrag alles machen könnte. Aleka Papariga, Generalsekretärin der Kommunistischen Partei, bleibt als einzige ihrer Linie treu. Sie bittet möglichst viel Wähler um die Stimme, schließt aber Koalitionen mit anderen Parteien strikt aus.

Handküsschen für den PASOK-Parteichef. Bild: W. Aswestopoulos

Verständlich, dass solche Reden kaum einen potentiellen Wähler auf die Straße bringen. Venizelos Galavorstellung war daher lediglich eine Vorstellung für die treuesten Parteianhänger. Knapp 2500 Menschen versammelten sich am Pier A des Hafens von Thessaloniki. Fanatismus gab es auch hier. Ein älterer Herr konnte nicht anders, er musste dem geliebten Parteichef einen Handkuss geben.

Seltsamerweise sind die verbliebenen PASOK-Anhänger überwiegend im Rentenalter. Einer der beliebtesten politischen Witze ruft deshalb die Jugend auf, Omas und Opas am 6. Mai zu Hause einzuschließen.

Bemerkenswert ist dies deshalb, weil gerade die Rentner außer den Steuern die meisten Einkommenskürzungen hinnehmen mussten. Aber logisch ist im heutigen Griechenland kaum noch etwas. Denn laut Umfragen wollen fast achtzig Prozent der Griechen eine Koalitionsregierung. Trotzdem hatte die Koalitionsverweigerin Aleka Papariga am Montag in Thessaloniki fast doppelt so viele Zuhörer als all ihre Konkurrenten. Papariga benötigte für ihre dicht stehenden Anhänger den kompletten Aristoteles-Platz, während Venizelos' Wahlkampfteam mit dem Trick zahlreicher Sitzplätze den halb so großen Pier A nicht vollständig füllen konnte.

Kein großer Andrang. Bild: W. Aswestopoulos

Wenn aus Wahlkampfveranstaltungsgrößen auf das Ergebnis Rückschlüsse gezogen werden könnten, dann würden die Kommunisten vor den Linken und den Unabhängigen Griechen siegen. Venizelos und Samaras könnten sich dann ihre Regierungsposten abschminken. Die letzten Umfragen sahen jedoch Nea Dimokratia vor PASOK und Kommunisten. Berufspolitiker aller Parteien sind sich in einem einig: "Wir werden am Sonntag zahlreiche Überraschungen erleben."