Taliban ziehen aus Kundus ab

Islamisten werten die zweieinhalbwöchige Besetzung der Stadt als Erfolg und verweisen auf befreite Dschihadisten und erbeutete Waffen

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Die paschtunischen Taliban haben zweieinhalb Wochen nach der handstreichartigen Einnahme (und zwei Wochen nach der etwas voreiligen Regierungsmeldung, die Stadt wäre weitgehend zurückerobert) ihren Abzug aus Kundus erklärt - der nordafghanischen Ortschaft, in der von 2003 bis 2013 die deutsche Bundeswehr stationiert war.

Kundus ist seit den Ende des 19. Jahrhunderts unter britischer Oberaufsicht vorgenommenen Zwangsumsiedlungen des "Eisernen Emirs" ein paschtunischer Wehrort innerhalb des Usbekengebiets (vgl. Das Erbe des "Eisernen Emirs"). In den 1990er Jahren konnten 2.500 Taliban die Stadt gegen eine Übermacht der Nordallianz auch deshalb halten, weil sie sich auf große Teile der paschtunischen Bevölkerung verlassen konnten, die sie nicht nur als Islamisten, sondern auch als Vertreter der eigenen Volksgruppe unterstützten.

Kundus: Eine Paschtuneninsel im Usbekengebiet. Karte: TP

Die Taliban werten die mit nur 700 Mann durchgeführte neuerliche Besetzung der Stadt trotz des jetzt gemeldeten Wiederabzugs als Erfolg, weil sie nach eigenen Angaben mehrere Ziele erreicht haben: Darunter die Befreiung von etwa 500 Dschihadisten aus dem Kunduser Gefängnis (von denen jetzt viele in den Reihen der Islamisten kämpfen) und reiche Beute an Munition, Waffen und Regierungsdaten. Außerdem habe man der Welt und der afghanischen Regierung gezeigt, dass man in der Lage sei, an jeder Stelle des Landes zuzuschlagen. Nun will sich die Organisation zurückziehen und neue Kräfte für zukünftige Operationen sammeln, weil sie eine weitere "Verteidigung" der Stadt für "fruchtlos" hält.

Ein indirekter Erfolg der Taliban ist auch die - geplante oder ungeplante - Schädigung des Rufs der afghanischen Regierung und der im Land verbliebenen US-Soldaten, die am 3. Oktober das Krankenhauses der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen beschossen, wobei mindestens 22 Menschen ums Leben kamen und Dutzende weitere verletzt wurden. Die Hintergründe und der genaue Ablauf dieses Vorfalls sind immer noch unklar. Ärzte ohne Grenzen fordert eine unabhängige Untersuchung, bei der geklärt werden soll, warum afghanische Sicherheitskräfte den Beschuss erbaten, obwohl sich in dem Krankenhaus angeblich keine Taliban aufhielten (vgl. Pentagon: Krankenhaus angeblich unabsichtlich bombardiert, US-Spezialeinheiten waren in Kunduz).

Derzeit befinden sich auch nach dem offiziellen ISAF-Ende etwa 12.000 offiziell als Ausbilder deklarierte NATO-Soldaten der Mission Resolute Support und weitere 5.000 US-Soldaten der Operation Freedom's Sentinel in Afghanistan. Ob sich die afghanische Regierung mit ihnen - und vor allem nach ihrem Abzug - gegen ihre Gegner behaupten kann, ist offen. Zu diesen Gegnern zählen inzwischen nicht nur Taliban, sondern auch Dschihadisten, die für die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) kämpfen (vgl. Afghanistan: Kalifatsterroristen gegen Taliban).

Viele Afghanen gehen offenbar nicht von einem optimistischen Zukunftsszenario aus und besorgen sich deshalb Reisepässe und Visa in den Iran. Von dort aus lassen sie sich von Schleppern für höhere vierstellige Eurosummen über die Balkanroute nach Deutschland schleusen. Beobachter gehen davon aus, dass sich seit dem Bekanntwerden von Angela Merkels neuer Einwanderungspolitik mindestens 100.000 Afghanen auf den Weg gemacht haben - und dass jeden Monat noch einmal so viele dazukommen. Markus Potzel, der deutsche Botschafter in Kabul, versucht diesem Merkel-Effekt mit Interviews in afghanischen Fernsehsendern entgegenzutreten, in denen er erklärt, dass nicht alle Eingereisten mit einer Asylberechtigung rechnen können.

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