Tango mortale

Südamerika und Irak

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Wer ist ein Terrorist und wer dagegen bloß ein Kämpfer, zwar brutal und mordend, aber einer "guten Sache" verpflichtet? Die alte Frage taucht beharrlich als lästiges Pop-up in allen politischen Diskussionen auf, sobald das Stichwort "Widerstand" eingegeben wird. Seit der "War on Terror" ausgerufen wurde, erlebt der Klassiker eine Verjüngungskur nach der anderen. Ein in die Jahre gekommener Terrorist/Widerstandskämpfer konfrontiert nun die USA erneut mit der lästigen Frage. Eine gute Antwort hat sie darauf nicht; sie steht vor einem Dilemma.

Der Mann heißt mit vollständigem Namen Luis Posada Carriles. Zu Last gelegt werden ihm mehrere terroristische Akte: die maßgebliche Beteiligung an einem Bombenattentat auf ein Flugzeug einer kubanischen Fluggesellschaft, das im Jahre 1976 73 Menschen das Leben gekostet hat; die Verstrickung in mehrere Anschläge auf touristische Zentren in Havana - ein Todesopfer; in Panama wurde er wegen eines versuchten Bombenanschlags, der Fidel Castro im Visier hatte, verurteilt.

Gute Verbindungen zur "Agency"

Die Sache, wofür Posada kämpft, ist in den Augen der amerikanischen Regierung eine "gute": Seit 45 Jahren versucht Posado, Fidel Castro mit allen Mitteln zu stürzen. Von 1961 bis 1967 war er nach Regierungsakten Mitglied der CIA und sollte beim amerikanischen Angriff auf die Schweinbucht ursprünglich mit dabei sein. Er behielt seine guten Verbindungen zur "Agency" auch in den nächsten Jahren, als er in Venezuela zunächst beim Geheimdienst "Disip" und dann in einer obskuren Dektektei arbeitete, in der viele Anti-Castro-Kämpfer ein-und ausgingen.

Wegen starker Verdachtsmomente an seiner Beteiligung am Bombenattentat auf das Flugzeug der Cubana Airlines wurde Posada in Venezuela ohne Urteil inhaftiert, neun Jahre lang. 1985 entkam er und schloss sich in El Salvador dem vom CIA unterstützten Kampf der Contras gegen die Regierung in Nicaragua an. Als die Operation 1986 aufflog, folgten mehrere Stationen in Südamerika: u.a. Guatemala, wo er ebenfalls geheimdienstlich tätig war, und später Panama. Dort wurde er im Jahr 2000 wegen eines versuchten Bombenanschlags auf Castro, der eine Konfernenz besuchen wollte, festgenommen, im April letzten Jahres zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und vor acht Monaten begnadigt.

Seit sechs Wochen soll sich der mittlerweile 77-jährige Mann in Florida aufhalten und bittet über seinen Anwalt um politisches Asyl in den Vereinigten Staaten, die er damit vor ein Dilemma stellt.

Denn Venezuela verlangt jetzt, dass Posada ausgeliefert wird - w egen des Bombenattentats auf das kubanische Flugzeug. Der Asylantrag von Posada könnte nun "eine Spannung zwischen der Politik des Global War on Terrorism und den Geistern des Kalten Krieges gegen den Kommunismus schaffen", so die New York Times. Sollte Posada sich tatsächlich als illegaler Einwanderer in den USA aufhalten, dann hätte die Regierung drei Möglichkeiten: ihm Asyl zu gewähren, ihn zu inhaftieren oder ihn an Venezuela auszuliefern.

No-Win-Situation

Alle drei Möglichkeiten liefen auf eine "No-Win"- Situation der Bush-Regierung hinaus: Gewährt man Posada Asyl, würde die Regierung ihr großes Prinzip des "War on Terror" verletzen, wonach keine Nation verdächtige Terroristen beherbergen darf. Würde man Posada ausliefern, könnte dies den Zorn der kubanischen Exilanten in Florida erregen - wichtige, loyale (und zahlungskräftige) Unterstützer von George W. und Jeb Bush, dem Gouverneur von Florida. Darüberhinaus wäre dies ein Imagegewinn für den Präsidenten von Venezuela, Hugo Chavez, der nicht nur wegen seiner Freundschaft zu Fidel Castro bei der amerikanischen Regierung wenig beliebt ist. Sollte Posada hinter Schloss und Gitter kommen, so wäre auch dies ein PR-Erfolg für Fidel Castro, der sich die Verhaftung des "schlimmsten Terroristen der westlichen Heimisphäre" seit langem wünscht.

Südamerikanisches Hinterland im Irak

Auch auf dem "Hauptschlachtfeld im Kampf gegen den Terrorismus" (Bush), im Irak, tummeln sich "Kämpfer", die mit brutalsten Mitteln für die "gute Sache" eintreten. Die gute Sache heißt hier die Niederschlagung der "Aufständischen", hinter welchem Etikett alle möglichen Widerständler zusammengefasst werden, und der aktuelle Trumpf in dieser Angelegenheit sind die "Special Police Commandos" (vgl. Pop-Ups, irakisch), die in letzter Zeit durch Praktiken aufgefallen sind, die den Verhaltensweisen der Schergen unter Saddam Hussein in Nichts nachstehen. Recherchen des amerikanischen Journalisten Peter Maas haben u.a. ergeben, dass im Büro des Kommandanten der "Special Police Commandos", Adnan Thabit, mehrere amerikanische Berater herumsaßen, die ihre "Counter-Insurgency"- Erfahrungen in Südamerika, gesammelt haben: namentlich James Steele, Chef mehrerer "Special Commandos" in den 80er Jahren in El Salvador, der augenscheinlich jetzt eng mit General Adnan befreundet ist, und Steve Casteel, der engste Berater des irakischen Innenministers unter Allawi, Falah al-Nakib.

Nakib formierte die Special Police Commandos im letzten September. Chef der Kommandos, die sich aus Veteranen von Spezialtruppen Saddam Husseins und dessen Republikanischer Garde zusammensetzen, wurde der Onkel Nakibs, Adnan Thabit. Der Amerikaner, so Maas, der am meisten in die Schaffung dieser Verbände unter Bremers CPA involviert war, ist Casteel, der früher ein Topmann in der "Drug Enforcement Administration" war, Haupttätigkeitsfeld: Drogenkriege in Lateinamerika. Und nicht zuletzt verfügte auch der frühere US-Botschafter (und Regierungsberater) im Irak, John Negroponte, über reiche Erfahrungen in der "Counter-Insurgency" in Südamerika (vgl. Aufbau von Todesschwadronen im Irak?).

Man darf gespannt sein, wie die neue irakische Regierung mit diesem Berater-Nachlass umgeht. Die CIA hat vorsorglich schon mal verlauten lassen, dass sie die Kontrolle über den irakischen Geheimdienst nicht an die neue Regierung übergeben will, wichtiges Archivmaterial hat man unmittelbar nach den Parlamentswahlen ins amerikanische Hauptquartier in Bagdad gebracht. Man wolle sie vor iranischen Zugriff schützen, so die offizielle Begründung. Schließlich soll die von Schiiten dominierte irakische Regierung ja souverän bleiben.