Tanzstunde für ein Elektron

Magnetresonanz erlaubt die Beobachtung eines einzelnen Elektronenspins

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Forscher am IBM-eigenen Almaden Research Center in San Jose, Kalifornien, haben die dreidimensionale Auflösung von Magnetresonanz-Abbildungen bis in den Nanometerbereich gesteigert und wiesen die Position eines einzelnen Elektrons anhand seines Spins nach. Möglicherweise wird man mit dem von ihnen verwendeten Messprinzip, der Magnetresonanz-Kraftmikroskopie, den räumlichen Aufbau komplexer Moleküle entschlüsseln können.

Was, bitte, ist Magnetresonanz-Kraftmikroskopie (magnetic resonance force microscopy, MRFM)? Um der Sache näher zu kommen, muss man die beiden Messverfahren betrachten, die in dieser Anwendung kombiniert wurden: die (Raster-)Kraftmikroskopie und die Magnetresonanz. Die Pioniere der Kraftmikroskopie sind Gerd Binnig und Heinrich Rohrer (Nobelpreis für Physik 1986), die mit dem Rastertunnelmikroskop zum ersten Mal einzelne Atome in Materialoberflächen sichtbar machten. Eine hochfeine Nadelspitze wird über die zu untersuchende Oberfläche geführt und registriert, je nach Mikroskoptyp, elektrische oder magnetische Eigenschaften der zu untersuchenden Probe. Ein piezoelektrischer Antrieb sorgt für die hochpräzise Steuerung der Nadelspitze und die hervorragende zweidimensionale Auflösung im Nanometerbereich.

Die Magnetresonanz kennt man vornehmlich aus dem Medizinbereich (Magnetresonanztomographie, MRT, zuerst entwickelt von Pul C. Lauterbur und Sir Peter Mansfield (Nobelpreis für Medizin 2003) und aus der Materialforschung (Elektronenspinresonanz). Dabei macht man sich den Zeeman-Effekt zunutze: Ein starkes, homogenes, statisches Magnetfeld spaltet den Spin-Grundzustand eines Atomkerns oder Elektrons in zwei Zustände mit verschieden hoher Energie auf, den mit zum Feld parallelem Spin (niedrigere Energie) und den mit antiparallelem Spin (höhere Energie). Ein magnetisches Wechselfeld (Frequenz im MHz-Bereich für Kernspinresonanz, im GHz-Bereich für Elektronenspinresonanz) regt den höheren Energiezustand an – die beim Zurückfallen entstehende Strahlung wird aufgefangen und zu einem Bild verarbeitet. Beliebig fein kann man die Abbildung jedoch nicht machen: Damit ein verwertbares Signal entsteht, braucht es beim gegenwärtigen Stand der Technik mindestens 1012 (eine Billion) angeregte Kernspins oder 107 (10 Millionen) Elektronenspins. Der große Vorteil dieser Technik ist die dreidimensionale, minimal-invasive Darstellung des Inneren des untersuchten Patienten oder Materials.

Raffi Budakian, John Mamin, Daniel Rugar (von links), drei der vier Teammitglieder. (Bild: IBM)

Wie das Wissenschaftsjournal "Nature" in seiner Ausgabe vom 15.7.04 (Vol.430, pp. 329-332) berichtet, gelang es nun dem Team Daniel Rugar, John Mamin, Raffi Budakian und Benjamin Chui in San Jose, die beiden Konzepte zu kombinieren. Bei ihrem Experiment treibt ein elektrischer Schwingkreis einen Hebelarm (cantilever) an, dessen hochfeine Spitze ferromagnetisch ist. Die Probe, über deren Oberfläche sich die Spitze bewegt, besteht aus Quarzglas, reinem Siliziumdioxid, in dem durch Bestrahlung mit einer Gammaquelle einige chemische Bindungen aufgebrochen sind, so dass eine geringe Zahl von Elektronen ungepaart ist, ihr Spin sich also nicht – wie bei der weitaus größten Zahl – paarweise aufhebt.

Ein äußeres Magnetfeld wird angelegt, außerdem ein magnetisches Wechselfeld von etwa 3 GHz; diese sind so eingestellt, dass Resonanz erst auftritt, wenn die magnetische Spitze des hin und her schwingenden Hebelarms in die Nähe kommt und sich ihr statisches, stark inhomogenes Feld passend zum voreingestellten, homogenen Feld addiert. Genau dann, während einer sehr kurzen Zeit, wird sich der Elektronenspin zwischen parallel und antiparallel umorientieren. Dabei üben Spin und Magnetspitze eine Kraft aufeinander aus, die sich in einer veränderten Schwingfrequenz des Cantilevers auswirkt.

Die letzte Feinheit liegt darin, dass im Experiment das zeitlich konstante, äußere Magnetfeld allmählich mit der Probentiefe variiert und damit auch die Resonanzfrequenz für die Elektronspins, was sich wiederum auf die Cantilever-Schwingungen auswirkt. So konnte schließlich mit einer räumlichen Auflösung von 25 nm die Position eines ungepaarten Elektrons im Quarzglas nachgewiesen werden, bis zu einer Tiefe von 100 nm.

Aufbau des Experiments: rötlich dargestellt der Quarzglasblock, darin ein einzelnes ungepaartes Elektron, die Magnetspule, die das magnetische Wechselfeld liefert, der schwingende Hebelarm (cantilever) mit magnetischer Spitze, hellblau die Resonanzzone um die Magnetspitze (schalen- bzw. schüsselförmig) (Bild: IBM)

Wirklich erstaunlich ist dabei die Größenordnung der Kraft zwischen Cantilever-Spitze und Elektronspin: Es geht um Attonewton, das ist ein Milliardstel Milliardstel Newton, eine Million Mal weniger als in anderen Kraftmikroskopie-Anwendungen (Zum Vergleich: 1 Newton ist die Gewichtskraft einer Tafel Schokolade). Es versteht sich, dass für das Auffangen eines so kleinen Signals das Herunterkühlen der Apparatur auf 1,6 Kelvin, das Platzieren in eine Vakuumkammer und eine Messzeit von 13 Stunden nötig waren...

Die Autoren hoffen nun, die Empfindlichkeit ihrer Messaparatur noch weiter steigern zu können, denn um Moleküle abzubilden, wäre es nötig, Kernspins zu beobachten (mangels ungepaarter Elektronen), die magnetische Wechselwirkung ist in diesem Fall aber noch ca. tausendfach kleiner! Daniel Rugar gibt sich in einer IBM-Veröffentlichung zuversichtlich:

Diese neue Fähigkeit dürfte letztlich zu grundlegenden Fortschritten in der Nanotechnologie und Biologie führen

Der zweite Nutzen einer Verbesserung der Apparatur wäre eine kürzere Messzeit. Aus den Messergebnisen war abzulesen, dass unter den Tieftemperatur-Versuchsbedingungen der Elektronenspin (unbeeinflusst) eine Halbwertszeit von einer dreiviertel Sekunde hatte – wenn die Messzeit deutlich darunter bliebe, könnte man nicht nur den Ort, sondern auch die Orientierung des Spins feststellen – dann hätte man eine weitere Fährte in Richtung eines Speichermediums für Qubits...

Der Physiker P. Chris Hammel von der Ohio State University äußert sich in "News and Views" derselben Nature-Ausgabe:

Höhere räumliche Auflösung wird für Arbeitsfelder von Nanoelektronik bis hin zur Abbildung von Biomolekülen fruchtbar sein. [...] Und was vielleicht am bemerkenswertesten ist: für spinbasiertes Quantum Computing wird es nötig sein, Einzelspins nachweisen zu können, einmal zum Auslesen von Quantenzuständen, zum anderen für die Untersuchung von Geräten; MRFM verspricht für diese anspruchsvolle Unternehmung hilfreich zu sein