Tausche Insel gegen Wirtschaftsbeziehungen

Die Bundesrepublik verkauft am Tag der Pressefreiheit Taiwans Selbstbestimmungsrecht für ein paar Milliarden Euro an die Volksrepublik China

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Auch wenn aus dem Verkauf der MOX-Brennelementefabrik in Hanau wohl kein großer Deal wird: China ist hip. Infineon baut eine Chipfabrik in Shanghai, DaimlerChrysler lässt Mercedes-PKW demnächst "Made in China" vom Band laufen und deutsche Containerfrachter sind im bevölkerungsreichsten Land der Erde ebenso gefragt wie Flugzeuge. Mit autoritären Staaten Wirtschaftsbeziehungen zu pflegen, hat allerdings seinen Preis: Eine konsequente Ein-China-Politik auf Kosten Taiwans.

Kritische Dialoge haben in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Klaus Kinkel pflegte mit den Mullahs im Iran einen solchen, mit zweifelhaftem Erfolg. Von Demokratisierung keine Spur, die Menschenrechtslage hat sich seitdem auch nicht signifikant verbessert. Was soll dann erst der "partnerschaftliche Dialog" mit sich bringen, den Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao eifrig bemühte?

Wen Jiabao war mit klaren Vorgaben nach Berlin gekommen. Deutsche Firmen sollen im turbokapitalistischen Überbleibsel kommunistischer Feldversuche investieren. China ist, anders als die Bundesrepublik, ein Wachstumsmarkt. Das haben auch viele deutsche Firmen erkannt, und so unterzeichnete beispielsweise Infineon unauffällig die Investition von einer Milliarde US-Dollar in eine Chipfabrik in Shanghai.

"Die Bundesrepublik wendet sich gegen die Unabhängigkeit von Taiwan."

Die kleine Insel Taiwan stellt für die Bundesregierung nur mehr einen Störfaktor dar. "Ein-China-Politik" heißt die offizielle Losung, festgehalten in der gemeinsamen Erklärung. Die dem einzigen verbliebenen (seit 1991) demokratischen Gebiet die Unabhängigkeit von Festland-China abspricht. Wenig verwunderlich, denn die fetten Jahre Taiwans scheinen bereits vorbei. Was sind schon die 5,7 Milliarden Euro Handelsvolumen mit einer Insel gegen die überzeugende Strahlkraft eines kapitalistisch gefärbten autoritären Riesenreiches wie der Volksrepublik China (Handelsvolumen 2003 über 50 Milliarden Euro)?

Halbherziger als Schröders Außenwirtschaftspolitik ist sein Drängen auf Einhaltung der Menschenrechte in China. Wen Jiabao stattete ausgerechnet am wenig passenden "Tag der Pressefreiheit" der Bundesrepublik seinen wirtschaftlich motivierten Besuch ab. Kritische Fragen wurden von vornherein ausgeklammert. Doch was nützt die von Schröder gelobte Aufnahme der Menschenrechte in die Verfassung in einem autoritären Staat wie der Volksrepublik? Und wen interessieren schon Menschenrechte und Pressefreiheit, wenn bare Münze lockt. Gerhard Schröder wohl nicht, denn die Ankündigung des fünften Rechtsstaatssymposiums im Mai diesen Jahres in Peking muss für die Angehörigen der Opfer des Tiananmen-Massakers 1989 wie blanker Hohn wirken.