Telepolis.sucks

Das Consumer Project on Technology hat die ICANN aufgefordert, neue Top-Level Domains zur Förderung der Kritik und der Meinungsfreiheit einzuführen

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Seit Jahren wird schon darum gekämpft, neue Top-Level Domains einzuführen, doch bislang wurden alle Vorschläge abgelehnt, um die "Stabilität" des Systems zu erhalten. Natürlich steht auch die ICANN, nachdem sie von der US-Regierung als nicht-kommerzielle Organisation zur Verwaltung der Domainnamen und Adressen ins Leben gerufen wurde, unter Druck, die Möglichkeiten zu erweitern. Vor allem die .com-TLDs werden ebenso knapp, wie sie begehrt sind. Die Domainnamenkonflikte häufen sich, zumal sich die vorsorgliche Registrierung von Domainnamen manchmal als gutes Geschäft erwiesen hat oder man versucht, möglichst viele mit einem Namen verbundene Variationen des Domainnamens zu schützen, um Plagiaten oder Karikaturwebsites den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Bislang gibt es 250 Top-Level Domains für Länder (ccTLDs) und sieben allgemeine TLDs wie .com, .org, .net, .int oder .edu, wobei sich die USA zwei weitere TLDs, also .gov und .mil, für eigene Zwecke gesichert haben, was man sicher auch als Anmaßung verstehen kann. Zumindest demonstriert dies symbolisch, dass die USA sich auch hier als Supermacht darstellen wollen, denn warum sollte .gov einzig für Behörden der USA gelten? Seit langem versucht etwa die EU durchzusetzen, dass auch zur Stärkung der europäischen Einheit und Identität die TLD .eu zugelassen wird. Im Web scheint der symbolische Wert eines Namens und der Markenschutz mehr denn je Bedeutung als geistiges Eigentum zu besitzen. Man könnte fast zum Glauben kommen, als trete man in ein magisches Zeitalter ein, in dem der Besitz oder die Nennung eines Namens direkte Auswirkungen auf die Realität hat. Natürlich ist der Name im Web gleichzeitig eine Adresse, über die man zu einer Website kommt, er hat also durchaus performative Eigenschaften.

Eine große Rolle spielt dabei auch die Unfähigkeit der Menschen, sich mit ihrem biologischen Gehirn die numerischen Adressen merken zu können. Der Erinnerungsraum wird nicht durch eindeutige Zahlenfolgen, sondern durch leichter einprägsame Namen beherrscht. Der Idealfall wäre wohl der, dass man durch Eingabe eines Namens bei einer Suchmaschine oder im Location-Feld eines Browsers direkt zum Gewünschten kommt. Doch in einem globalen Umfeld reichen Namen natürlich nicht zur eindeutigen Identifizierung aus, da es schlicht zu wenige gibt oder sie durch eine ausreichende Verlängerung wieder zu kompliziert würden. Der Kampf um die knappe Ressource der Namen ist also eine logische Folge, und wohl auch die Konsequenz, dass die Lösung kaum nach Gesichtspunkten der Gleichheit erreicht wird, sondern sich dabei Macht und Geld durchsetzen. Die Bekämpfung des sogenannten Cybersquatting, das auf der zunächst bestehenden Möglichkeit beruht, dass derjenige zuerst einen Domainnamen erhält, der ihn zuerst registrieren lässt, wird vielfach schon durch den Anspruch von Firmen oder Prominenten untergraben, vor allen anderen Menschen ein größeres Recht auf einen Namen zu haben.

Die unterschiedlichen internationalen und nationalen TLDs bieten zwar die Möglichkeit, die Konkurrenz um einen Domainnamen zu entschärfen und prinzipiell auf verschiedenen Ebenen auch gleiche Namen vergeben zu können, aber das Begehren auf eine umfassende Inbesitznahme des Namens in allen Variationen scheint doch sehr groß zu sein. Die ICANN hat inzwischen mehrere Schiedsgerichte zur Lösung von Domainnamenkonflikten zugelassen, darunter auch ein Online-Schiedsgericht der WIPO, das bereits mehrere Fälle verhandelt hat und bei dem bereits eine ganze Reihe von Klagen vorliegen. Schon allein die Gebühren zwischen 1000 und 2500 Dollar für die Forderung nach einer Rückgabe eines Domainnamens stellt eine Schwelle dar, die etwa Unternehmen vor Einzelpersonen oder nicht-kommerziellen Organisationen privilegiert. Zudem scheint das Gericht eher zugunsten der Firmen zu entscheiden, die ihren Markennamen als Domainadresse nicht nur etwa in dem eigentlich dafür zuständigen Bereich der .com-TLDs sichern wollen, sondern auch in allen anderen internationalen TLDs wie .org oder .net.

5.1 Paragraph 4(a) of the Uniform Policy sets out the three elements which must be present for a proceeding to be brought against the Respondent, and which the Complainant must prove to obtain a remedy. It provides as follows:

a. Applicable Disputes. You [the Respondent] are required to submit to a mandatory administrative proceeding in the event that a third party (a "complainant") asserts to the applicable Provider, in compliance with the Rules of Procedure, that

(i) your domain name is identical or confusingly similar to a trademark or service mark in which the complainant has rights; and

(ii) you have no rights or legitimate interests in respect of the domain name; and

(iii) your domain name has been registered and is being used in bad faith.

In the administrative proceeding, the complainant must prove that each of these three elements are present.

So hat beispielsweise die FIFA eine Klage auf Herausgabe der Domain worldcup2002.com, aber auch für worldcup2002.net und worldcup2002.org eingereicht. Auch Microsoft oder Dior sind nicht mit microsoft.com oder dior.com zufrieden, sondern wollen auch die TLD .org besetzen, die eigentlich für nichtkommerzielle Organisationen gedacht ist. Symptomatisch ist die Entscheidung des WIPO-Schiedsgerichts zugunsten des größten australischen Telekom-Unternehmens Telstra, gleichzeitig die am höchsten an der Börse platzierte Firma, im Februar diesen Jahres gewesen. Telstra hatte sich bereits die Domains telstra.com, telstra.net, telstra.com.au, telstra-inc.com sowie telstrainc.com gesichert, aber man wollte auch telstra.org. Die Ansprüche auf einen Domainnamen werden, siehe oben, lediglich über das "Recht" auf einen Namen geregelt, nicht aber hinsichtlich der TLD, in der ein Name registriert wurde. Die Entscheidung des WIPO-Schiedsgerichts macht diese mangelnde Differenzierung, die zugunsten der mächtigen Besitzer eines Domainnamens ausschlägt, in seiner Begründung für die Rückforderung des Domainnamens telstra.org deutlich: "The domain name in issue is "telstra.org". The relevant part of this domain name is "telstra". The Administrative Panel finds that this part of the domain name is identical to the numerous trademark registrations of the word "TELSTRA" held by the Complainant. In addition, the Administrative Panel finds that the whole of the domain name is confusingly similar to those trademark registrations."

Auf dem Hintergrund dieser Tendenz, hat das von Ralph Nader gegründete Consumer Project for Technology (CPT) bei der ICANN Vorschläge für die Einrichtung weiterer internationaler TLDs eingereicht, was sicher für neue Diskussionen sorgen und alte Vorschläge wieder hervorkommen lassen wird. Die Organisation schlägt vor, eine weitere nichtkommerzielle Institution namens "Essential Information" anzuerkennen, die die vorgeschlagenen TLDs registrieren und mit den dabei erzielten Gebühren dafür sorgen soll, dass die Meinungsfreiheit im Internet gefördert wird. CPT schlägt die Einrichtung von TLDs vor, die ausdrücklich für Betreiber von Websites gedacht sind, die sich beispielsweise kritisch gegenüber Firmen, Institutionen oder Organisationen äußern wollen. Damit die Eigentümer von Markennamen nicht über die Reklamierung von Rechten am geistigen Eigentum Kritik oder Opposition durch Übernahme aller Domainnamen in allen TLDs zumindest im Bereich der Namen unterdrücken können, soll "Essential Information" dafür sorgen, dass die jeweils ins Korn genommenen Firmen oder Organisationen den Domainnamen in den neuen TLDs nicht registrieren können.

Think of it this way: assume that there were lots of top-level domains -- not just the existing ccTLDs and the seven existing gTLDs, but an ever-expanding supply of new top-level domains (.Children, .Biz., .Music, .Auto, .Bank, Sex, .Store, .Computers, . . .). In such a world, do I care that the French government is going to be given explicit and near-total control over .FR? Why should I? Let the French government try to build a French corner of cyberspace, let them, if they wish, limit that corner to French language sites, and/or to sites that uphold "French values," and/or whatever they think the people of France would (or should) like. And let the Japanese government do the same with .JP, the Chinese government with .CN, the Nepalis with .NP, etc. It is a rather imaginative way to introduce a kind of localism onto the net that people might find useful and valuable; countries can structure their domains to provide for further geographical subdivision (much the way the .US domain is currently structured, with a hierarchical <> structure (e.g., <>), so that people can map, if they wish, their familiar local geographies onto the global network in ways they may find coherent (without interfering with those who wish to take advantage of the global character of the medium and build non-geographical places in the generic TLDs).

David Post: The Great Internet Giveaway?

Vorgeschlagen werden von CPT 10 neue TLDs: .union für gewerkschaftliche Belange (microsoft.union, exxon.union ...), .customers für Kunden bestimmter Firmen (ford.customers oder opel.customers), .complaints für Informationen über Beschwerdeverfahren oder Praktiken von Unternehmen), .ecology und .isnotgreen für Umweltgruppen, um auf mangelhaften Umweltschutz bei Firmen oder Regierungen hinzuweisen, .isnotfair für Bürgerrechtsgruppen oder Beschwerden über den Umgang von Firmen oder Behörden mit ihren Angestelten, .shareholders für Aktienbesitzer, die bei einem Unternehmen etwas durchsetzen wollen, .unite für Organisation von Bürgergruppen in der Zivilgesellschaft und schließlich .sucks, um der Kritik an einer Firme, Organisation oder Regierung zum Ausdruck zu verhelfen, wobei diese TLD nicht gegenüber dem Eigentümer eines Domainnamens wie wipo.sucks, icann.sucks oder helmutkohl.sucks zum Einsatz kommen soll, sondern auch allgemeinen Zwecken dienen soll: work.sucks, life.sucks oder television.sucks.

CPT räumt zwar ein, dass gerade .sucks für manche Personen verletzend sein könne, aber dass man allein aus diesem Grund die TLD nicht verbieten sollte. Man geht wahrscheinlich zurecht davon aus, dass besonders diese TDL populär werden könnte und genügend Einnahmen über die Registrierungsgebühren einbringen wird, um die Rechte auf freie Meinungsäußerung für Einzelpersonen und kleine Organisationen fördern zu können.

Natürlich wurde auch schon Kritik an diesen Vorschlägen laut. Ein Einwand geht etwa dahin, dass die Schaffung von Domains für die Kritik an Produkten oder Firmen gerade die Möglichkeit eröffne, Kritik in allen anderen Domains zu verbieten. Mit den neuen Unterteilungen könnte man allerdings auch weitere Gebiete eng eingrenzen. Warum nicht beispielsweise .porno oder .sex für den Rotlichtbezirk im Web oder .complaint für jede Form der Kritik? James Love, Direktor des CPT meint allerdings nicht, dass sich diese Art der "Zonierung" durch die Einführung von TLDs wie .sucks durchsetzen werde, die möglicherweise dann das Gegenteil des Bezweckten, also eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, bewirken könnte.

Das Thema neuer Domainnamen wird auch Gegenstand des ICANN-Treffens in Kairo sein. Falls trotz aller Bedenken die Vorschläge des CPT aufgegriffen werden sollten, ist zu erwarten, dass der Druck steigen wird, weitere TDLs einzuführen, wie sie schon lange gefordert werden. Möglichkeiten gibt es ja unendlich viele, der Fantasie sind fast keine Grenzen gesetzt. Tatsächlich könnte der "Name Space" durch eine Flut unterschiedlicher Domainnamen aber auch zu sehr fragmentiert werden, die dann zumindest als Orientierungsgröße ihren Wert verlieren, weswegen man dann gleich zum egalitären System der Zahlen übergehen könnte (Is it now time to replace the domain name system?). Zumindest ist dem CPT-Vorschlag angesichts der Domainnamenstreitigkeiten und dem Übergewicht der Mächtigen einiges abzugewinnen. Love sagt, man wolle damit das Problem der TLDs über die reine kommerzielle Ebene hinaustreiben und zeigen, dass man Domainnamen auch nutzen kann, ohne damit Millionen verdienen zu wollen: "Es gibt hier eine soziale Agenda." Allerdings könnte man denselben Zweck auch vielleicht schon dadurch erreichen, dass man die Verwendung der internationalen TLDs strenger handhabt. Wer eine .com-TLD für sich beansprucht, braucht dann nicht auch noch .org oder .int, und .org könnte man tatsächlich für Organisationen jeder Art reservieren, die nichtkommerzieller Art sind.