Terror aus dem Salzsee

Bolivien hat vermutlich das weltweit größte Vorkommen an Lithium. Weil Iran bei der Ausbeutung dieser Ressource Partner ist, fordern US-Akteure nun Sanktionen

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Der Salar de Uyuni im südlichen Hochland von Bolivien war bislang vor allem ein beliebtes Touristenziel. Nun aber ist der rund 12.000 Quadratkilometer fassende Salzsee zum wichtigsten Kapital des südamerikanischen Landes geworden. Bis zu zehn Millionen Tonnen Lithium finden sich nach bolivianischen Angaben in der bis zu 30 Meter tiefen Salzkruste, das U.S. Geological Survey spricht von neun Millionen Tonnen.

Die sozialistische Regierung von Präsident Evo Morales will das wertvolle Alkalimetall jedoch nicht unmittelbar abbauen und exportieren, sondern die Verarbeitungskette so lange wie möglich im Land behalten. Vor allem Batterien und andere industrielle Produkte sollen in Bolivien selbst entstehen und Arbeitsplätze schaffen. Einer der ersten Partner der Regierung in La Paz war Iran. Seit 2007 haben beide Staaten mehrere Kooperationsverträge unterzeichnet, zuletzt auch zu Erschließung und Förderung des Lithiums. Nun haben die Deals Kritiker auf den Plan gerufen - denn das Alkalimetall kann auch zum Bau von Kernwaffen verwendet werden.

Tatsächlich wurde Lithium-6-Deuterid in der Vergangenheit in mehreren Atombomben als Fusionsstoff für das Spaltmaterial verwendet. Sprengköpfe dieser Art besitzen die USA, Russland, Frankreich und China. Die iranische Staatsführung könnte die Zusammenarbeit mit Bolivien deswegen nutzen, um ihr mutmaßliches militärisches Atomprogramm voranzutreiben, heißt es vor allem aus den USA und Israel seit Unterzeichnung der bilateralen Verträge zwischen Teheran und La Paz im Jahr 2009.

Die Vorwürfe kochen nun zu einem Zeitpunkt wieder hoch, zu dem Bolivien erste Erfolge bei der Erschließung der Lithiumvorkommen zu vermelden hat. In der zweiten Aprilhälfte gab Staatschef Evo Morales in der Stadt Uyuni in der Nähe der Vorkommen bekannt, dass bis zu Jahresende mit der Produktion von Lithiumcarbonat begonnen werden wird. "Und das wird der erste Schritt zur Industrialisierung sein", fügte er an. Lithium wird weltweit für Batterien aller Art, IT-Produkte und die boomende Elektroautoindustrie dringend benötigt.

Iran wird wichtiger Partner bei Boliviens Industrialisierungspolitik

Seit das Ausmaß der Lithiumvorkommen im Süden Boliviens bekannt wurde, bemüht sich die sozialistische Regierung um Investoren. Aus eigener Kraft, so erkennt man in La Paz an, kann keine verarbeitende Industrie aufgebaut werden. Doch während die meisten Industriestaaten auf den reinen Export des Rohstoffs beharren, um die verarbeitende Industrie im eigenen Land zu bedienen, zeigen sich Schwellenländer wie Brasilien und Iran offener.

Im November 2009 war Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad in Bolivien zu Gast, um die Verträge zur Erschließung der Lithiumvorkommen zu unterzeichnen. Die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet werde die bilateralen Beziehungen erheblich voranbringen, sagte er bei einem Festakt im Präsidentenpalast. "Auch wenn zwischen unseren beiden Staaten eine große geografische Entfernung besteht, teilen wir die gleiche Ideen", zitierte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg den Staatschef damals. Diese bestünden in der nationalen Selbstbestimmung und wirtschaftlichen Emanzipation von den Industriestaaten.

Ähnlich äußerte sich Morales bei einem Gegenbesuch im Oktober vergangenen Jahres. "Bolivien ist sich der breiten wissenschaftlichen Erfahrung Irans bewusst", sagte er während einer dreitägigen Visite () in der islamischen Republik, deswegen wolle seine Regierung die Industrialisierung des wertvollen Alkalimetalls mit Iran vorantreiben.

Schon jetzt unterhalten beide Staaten enge wirtschaftliche Kontakte. Seit den ersten Abkommen im Jahr 2007 wurden vor allem soziale und industrielle Vorhaben umgesetzt. Iran importiert inzwischen Agrarprodukte wie Sojabohnen, Reis oder Zucker aus Bolivien und half beim Aufbau von Milchabfüllanlagen und Krankenhäusern in dem Andenstaat. Im Gegenzug ist Iran wichtiger Partner im Lithiumbusiness geworden. In einem internationalen Gremium, das die Vorkommen im Salzsee von Uyuni erforschen soll, sitzen iranische Experten neben Repräsentanten des brasilianischen Wissenschaftsministeriums und der französischen Konzerne Eramet und Bolloré.

Während neben Frankreich Schwellenstaaten wie Iran, Venezuela und Brasilien einen eindeutigen Vorteil haben, bleiben die industriellen Global Player bislang außen vor. Zum einen sind die meisten Industriestaaten - unter ihnen Deutschland - nicht bereit, eine etwaige Kooperation mit Technologie- und Wissenstransfer einhergehen zu lassen. Zum anderen sorgt das selbstsichere Auftreten der neuen Führung in La Paz für Widerstand. Zu den USA ist das Verhältnis seit Jahren angespannt, zuletzt suspendierte Washington Steuervorteile für Bolivien. Wie Kuba zum Anfang der 1960er Jahre orientierte sich das südamerikanische Land daraufhin an Alternativen - unter ihnen Russland, China und Iran.

Debatte um vermeintliche Gefahren der Süd-Süd-Kooperation

In dieser Situation kommt aus den USA zunehmende aggressive Kritik. Ansatzpunkt sind die Kontakte zu Teheran. Wenn Iran an Lithium käme, würde das Land in die Lage versetzt, "kleinere, verheerendere und transportablere Bomben" zu bauen, schreibt der irankritische Journalist und Sicherheitsberater der US-Regierung, Avi Jorisch.

In einem Kommentar für United Press International warf Jorisch der Regierung Boliviens zugleich eine Verschleierungstaktik vor. Bergbauminister Luis Alberto Echazú habe zunächst die Förderung und den Export von Uran geleugnet. Später habe das Kabinettsmitglied die Förderung kleiner Mengen des radioaktiven Stoffes in der Vergangenheit eingestanden, um schließlich, im Dezember vergangenen Jahres, den Bau eines Atomkraftwerks mit iranischer Hilfe anzukündigen. Allerdings hatte Evo Morales zwei Wochen vor der Publikation Jorischs Artikels angekündigt, auf Atomkraft zu verzichten. Dies sei eine Lehre aus der Nuklearkatastrophe in Japan, so Morales.

Dennoch sieht Jorisch dringenden Handlungsbedarf. Iran könnte aus militärischen Erwägungen in Bolivien investieren, mutmaßt der Gründer einer politischen Beratungsfirma, die auf "Terrorbekämpfung" und "radikalen Islamismus" spezialisiert ist. In seinem Text fordert er die US-Behörden zur Ausspähung der Finanzkontakte zwischen Bolivien und Iran sowie zu möglichen Sanktionen gegen La Paz auf.

Andere Experten halten von den Vorwürfen wenig. Die Lithium-Vorkommen seien für das Entwicklungsland Bolivien in erster Linie eine große Chance, sagt der deutsche Journalist Benjamin Beutler, der unlängst ein Buch zu dem Thema veröffentlich hat. "Die Bolivianer wollen nicht weiter die Bettler auf dem goldenen Thron sein", so Beutler, der die Industrialisierungspolitik "angesichts der Jahrhunderte währenden Plünderung von Rohstoffen wie Silber, Zinn oder Kautschuk" durchaus nachvollziehen kann.

Bei den laufenden Verhandlungen sieht der Regionalwissenschaftler einen deutlichen Vorteil bei Staaten wie Japan, China oder Iran. Im Gegensatz zu ehemaligen Kolonialstaaten wie Spanien oder Frankreich oder den USA genießen diese Akteure einen deutlichen Vertrauensvorschuss", sagte Beutler im Gespräch mit Telepolis. Es liege in der Natur der Sache, dass die Industrieländer des Nordes entgegen ihres Entwicklungsdiskurses nicht daran interessiert sind, dass Bolivien den strategischen Rohstoff souverän verwaltet, den Preis mitbestimmt oder den Rohstoff gar selbst verarbeitet.

Die Attacken gegen die Zusammenarbeit überraschen Beutler nicht. "Sollte Boliviens staatliche Bergbaufirma COMIBOL Fortschritte am Salar de Uyuni machen, werden wir in Zukunft wohl weitere Kampagnen gegen die Regierung erleben", prognostiziert er. Auch vor der Nationalisierung der Erdgas- und Erdölvorkommen im Mai 2006 geisterten Vorwürfe durch die Medien, Bolivien stehe in direktem Kontakt mit ETA-Terroristen und der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC.